„Nabucco“ in der Entschädigungsphase

16.000 Grundstücks- und Immobilienbesitzer unter Zwang

Drei Tätigkeitsbereiche beherrschen gegenwärtig die Vorbereitungen für den Bau der Nabucco-Flüssiggaspipeline, die aus dem Kaspischen Raum über die Türkei und den Balkan nach Westeuropa führen soll: die Feinplanungen, die Inventarisierung der Grundstücke und Immobilien, für welche Entschädigungen zu zahlen sein werden, und die archäologische Sicherung der Trasse – die bereits im vergangenen Sommer begonnen hat und aufgrund welcher erst die endgültige Trassenführung bestimmt werden kann.

Die Pipeline kommt aus Bulgarien und überquert die Donau. Auf rumänischem Territorium durchzieht sie die Verwaltungskreise Mehedinţi, Dolj, Karasch-Severin/Caraş-Severin, Temesch/Timiş und Arad, von wo sie ins Komitat Csongrád in Ungarn weiterführt. In den vier rumänischen Verwaltungskreisen sind insgesamt 16.000 Grundstücks- und Immobilienbesitzer von der Trassenführung betroffen, also zu entschädigen. Die Regierung arbeitet gegenwärtig die entsprechenden Entschädigungsbestimmungen aus, die grundsätzlich zwischen dem rumänischen Staat, den Erbauern und künftigen Betreibern von „Nabucco“ und den Betroffenen, je nach den örtlichen Gegebenheiten auszuhandeln sind. Bloß im Falle einer Unvereinbarkeit der Meinungen kann gerichtlich vorgegangen oder zu Zwangsenteignungen im Interesse der Allgemeinheit geschritten werden. Diese beiden Wege sollten in der Absicht der Regierung die Ausnahme sein, wird vom Wirtschaftsministerium verlautet.

Los von der Russlandabhängigkeit

Das letztendliche Ziel des Baus der Nabucco-Pipeline – ebenso wie der südlicheren Variante Southstream - soll die Relativierung der Abhängigkeit und implizite der Quasi-Totalauslieferung und der Erpressbarkeit Europas von den russischen Erdgaslieferungen sein. Nebenbei bemerkt: Dem entgegenzuwirken bemüht sich, seit Geburt der Gedanken alternativer Pipelines, der russische Gasriese Gazprom, der auch eigene Zuliefervarianten (etwa über das Schwarze Meer nach Bulgarien) versucht, ebenso wie die Staaten an den westeuropäischen Küsten Lösungen ausarbeiten für die Erdgasimporte von den Schiefergasfeldern der Vereinigen Staaten (die viel kostengünstiger sein könnten als die Gasimporte aus Russland und dem Mittleren Orient).

Das Wirtschaftsministerium, das von der Regierung beauftragt ist, den gesetzlichen Rahmen für den Bau und das Funktionieren der Nabucco-Pipeline auf rumänischem Territorium vorzubereiten, hat die Fragen betreffend Gebäuderecht und Nutzungsrecht der Grundstücke für die Räume, durch welche die Gaspipeline gebaut wird, ausgearbeitet. Diese gelten, laut aktueller Gesetzesvorlage, ohne vorherige Zustimmung der Besitzer der Grundstücke und Gebäude, sofern im Vorfeld Kompensationen dafür ausgezahlt wurden.  

Prozessieren möglichst vermeiden

Das Wirtschaftsministerium und die Juristen der Regierung sind der Meinung, dass diese Vorgehensweise langwierige Prozesse vermeiden wird, und damit kaum bezahlbare Baustopps an der Pipeline. Das sei unter anderem eine Erfahrung, die man aus den Vorfällen beim Bau der Siebenbürgenautobahn machen musste und die künftig möglichst zu vermeiden sei. „Die Kompensation für das Abtreten der Nutzungsrechte an Grundstücken und Immobilien wird aus zwei Elementen bestehen müssen“, steht im Projektvorschlag des Wirtschaftsministeriums. „Die Bezahlung von Rechten an die Grundstücksbesitzer für die Akzeptierung von Begrenzungen ihrer Nutzungsrechte für diese Grundstücksabschnitte, andrerseits die Entschädigungen für eventuelle Schäden, die bei Bau angerichtet werden im Bereich der Grundstücke, die von `Nabucco´ überquert werden.“ Das Quantum der Geldrechte für die Grundstücksbesitzer wird in gegenseitigem Einvernehmen festgelegt – „zumindest die Höhe der Mietrechte für Immobilien, die während des Baus und der Nutzung von Nabucco sich als nötig erweisen sollten“, gibt sich das Wirtschaftsministerium vorsichtig.

Trassenführung im Bergland

Von den 3300 Kilometern der Gesamtlänge von „Nabucco“ gehen 470 Kilometer über das Gebiet Rumäniens. 110 Kilometer davon überqueren das Banater Bergland in seinem nördlichen Teil. Aus Mehedinţi kommt die Gasleitung bei Topletz nach Karasch-Severin. Von hier aus werden das Naturreservat des Domogled-Kalksteingebirges und der Bela-Reka/Râul Alb-Fluss überquert. Dann geht es erneut über die Berge von Domaşnea, um zwischen Armeniş und Alt-Sadowa in die Ebene von Karansebesch hinabzusteigen. Karansebesch wird im Raum des aufgelassenen Flughafens umgangen. Die Gasleitung führt dann vorbei an Zăgujeni und irgendwo bei Constantin Daicoviciu/Căvăran in den Verwaltungskreis Temesch.

Neben den legislativen Vorbereitungen werden dieser Tage auch die archäologischen Sicherungen der Trasse durchgeführt. Bisher sind in den rumänischen Verwaltungskreisen 650 Standorte archäologischer Fundstätten ausgemacht worden. Vier unter ihnen befinden sich im Verwaltungskreis Karasch-Severin. Die Trasse führt übrigens auch am Standort des Römercastrums Tibiscum am Westrand des Verwaltungsgebiets von Karansebsch vorbei. Unter Archäologen war ironisch zu hören: „Die einmal festgelegte Nabucco-Trasse kann nur noch geändert werden, wenn wir eine Sensationsentdeckung machen: eine umgekehrte Pyramide, eine römische Terrakotta-Legion oder eine komplett erhaltene antike Stadt unter der Ackerkrume.“