Neue Weinsorten und steigender Zuckergehalt

Deutsche Winzer profitieren vom Klimawandel

Rebsorten, die vor 30 Jahren nicht reif geworden wären, gedeihen inzwi-schen auch in Deutschland. Daran ist der Klimawandel „schuld“.

Dr. Otmar Löhnertz von der Forschungsanstalt Geisenheim: „Der Zuckergehalt im Wein nimmt von Jahr zu Jahr zu“.
Fotos: Raluca Nelepcu

Deutschland produziert fast doppelt soviel Wein wie Rumänien. Trotzdem müssen sich deutsche Winzer mit denselben Problemen auseinandersetzen wie ihre Kollegen aus dem Osten. Schuld an der stetig sinkenden Weinproduktion sei vor allem der Klimawandel, glauben Experten zu wissen. Im hessischen Geisenheim, rund 60 Kilometer von Frankfurt am Main entfernt, gibt es eine Forschungsanstalt für Wein- und Gartenbau, die unter anderem auch dieser Entwicklung nachgeht.

Der Klang der angestoßenen Gläser verrät schon, dass sich diesmal – obwohl im Bier-Land Deutschland – kein Gerstensaft, sondern Wein in den Gläsern befindet. Man sagt „Prost“ und nimmt einen ersten Schluck, lässt den edlen Rebensaft langsam im Munde kreisen und schluckt ihn schließlich, dem Gaumen zur Freude. Prof. Dr. Otmar Löhnertz stellt danach die entscheidende Frage: Wonach schmeckt denn der Wein, den Sie gerade probiert haben? Fruchtig, antworten die unerfahrenen Weinverkoster, und Löhnertz zeigt sich mit der Äußerung recht unzufrieden. Man müsse da genau erkennen können, um welche Frucht es sich handelt, erklärt der Experte. Otmar Löhnertz kennt sich auf dem Gebiet Weinbau und -herstellung sehr gut aus. Er ist der Dekan des Fachbereichs Geisenheim der Hochschule RheinMain, etwa 60 Kilometer von Frankfurt am Main entfernt.

Dr. Löhnertz ist an einer der ältesten Forschungseinrichtungen des Wein- und Gartenbaus im deutschsprachigen Raum tätig, gegründet 1872 durch Freiherr von Lade und die damalige preußische Landesregierung. Im Rahmen einer Zusammenarbeit mit der Hochschule RheinMain werden in Geisenheim rund eintausend Studierende der Fachrichtungen Weinbau und Önologie, Getränketechnologie, Gartenbau sowie Landschaftsarchitektur betreut. Die Absolventen schlagen unterschiedliche Berufswege ein. „Die meisten werden danach Betriebsleiter. Inzwischen sehen wir aber, dass unsere Abgänger im gesamten Umfeld Weinbau tätig sind – in der Zulieferindustrie, in der Forschung oder Beratung“, sagt der Weinspezialist. „Zurzeit sind die Bedingungen sehr gut, Sie werden kaum einen arbeitslosen Abgänger finden“, fügt Löhnertz hinzu.

An der Forschungsanstalt Geisenheim, die ab dem 1. Januar 2013 als eine eigenständige Hochschule „neuen Typs“ funktionieren wird, gibt es zwar keinen Numerus Klausus, dennoch kann sich nicht jeder für ein Studium bewerben. Ein Praktikum von mindestens einem halben Jahr sei verpflichtend, verrät Löhnertz, denn dadurch solle vermieden werden, dass jemand einfach „aus einer Laune heraus“ Weinbau studiert – gegenwärtig ein sehr gefragter Ausbildungsbereich. Der Weinbau in Deutschland hat eine mehrere Hundert Jahre alte Tradition. Insgesamt 13 Anbaugebiete gibt es bundesweit – die meisten im Südwesten. 48.000 Weinbaubetriebe sind dort angesiedelt. Im vergangenen Jahr stellten die deutschen Winzer etwa 9,6 Millionen Hektoliter Wein her.

Was die Weinproduktion angeht, so befindet sich Deutschland auf Platz vier in Europa, nach Frankreich mit 51 Millionen Hektolitern Wein, Italien mit 48 und Spanien mit rund 38 Millionen Hektolitern Wein. Es folgen Portugal mit 7,5 und Rumänien mit knapp fünf Millionen Hektolitern Wein. „Die Beschreibung von Weinqualität ist absolut subjektiv. Der Charme des Weines ist eigentlich seine Vielfalt“, sagt Otmar Löhnertz. „Und das im Gegensatz zu Bier, denn die deutsche Bierbranche leidet sehr darunter, dass Biere immer ähnlicher werden“, erklärt er.

Diese Vielfalt ist eigentlich das „Typische“ für den deutschen Wein, der alles andere als „uniform“ schmeckt. Einen Wein, wie es ihn beispielsweise vor einem Jahr gab, kann man heute nicht mehr produzieren, erklärt Otmar Löhnertz. Der Grund heißt „Klimawandel“ und ist heute mehr denn je spürbar. Das Phänomen ist allerdings nicht nur in Deutschland, sondern europaweit präsent. Auch rumänische Winzer klagten bereits in den vergangenen Jahren darüber, dass die Produktion gesunken war, der Wein jedoch immer süßer wurde. „Wir haben das Phänomen, dass wir seit 1988 ständig steigenden Zuckergehalt haben. Ein Herr von Lade hat diese Einrichtung am 50. Breitengrad gegründet, um einen einigermaßen trinkbaren Wein zu produzieren, um den Winzern damals zu helfen. Inzwischen ist die Vegetationszeit immer weiter nach vorne verschoben worden und wir haben extrem reifes Material und zu viel Alkohol“, sagt Otmar Löhnertz.

Um zu beobachten, welchen Einfluss der Klimawandel in den nächsten zehn bis 20 Jahren auf den Wein- und Gemüsebau haben wird, wurde in Geisenheim ein weltweit einzigartiges Forschungsprojekt initiiert. Den Reben, Obstbäumen und Gemüsekulturen wird eine immer höhere Menge an Kohlendioxid hinzugefügt, um zu sehen, wie sie sich entwickeln. Die Folgen des Klimawandels haben die deutschen Winzer bereits zu spüren bekommen. „Rotwein nimmt immer mehr zu und deutsche Winzer pflanzen Sorten an, die vor 30 Jahren hier nie reif geworden wären“, erklärt der Spezialist. Chardonnay oder Tempranillo, Merlot und Shiraz – diese Weinsorten wären vor 30 Jahren in Deutschland so gut wie unvorstellbar gewesen. Heute gedeihen die Reben, aus denen sie hergestellt werden, auf den Weinbergen Südwestdeutschlands.

Die schmackhaften neuen Sorten werden in Deutschland gerne konsumiert. Der Pro-Kopf-Verbrauch liegt bundesweit bei 25 Litern, wobei 5 Liter davon der Sektkonsum einnimmt. Die Hälfte des in Deutschland getrunkenen Weins ist allerdings importiert. Anders in Rumänien, wo 95 Prozent des Weinkonsums von rumänischen Sorten gedeckt wird. Hauptlieferant Deutschlands ist aktuell Italien, weil das Preis-Leistungs-Verhältnis dort besser ist, weiß Otmar Löhnertz von der Weinforschungsanstalt Geisenheim. Traditionell war Frankreich der Weinzulieferer Deutschlands gewesen, doch dies veränderte sich in den letzten Jahren, vor allem wegen den unflexiblen Partnern dort und den hohen Preisen, die sie für ihre Produkte forderten, schließt Dekan Löhnertz.