Neugier

Symbolfoto: sxc.hu

Neugier ist eine der schlimmsten Arten von Gier. Verbreitet ist diese vor allem unter Forschern, Geheimagenten und alten Dorfweibern, wobei man sie im Falle ersterer eher als Talent schätzt. Beim Wissenschaftler besteht es darin, durch Rekombination alter Informationen neue zu schaffen, beim Agenten darin, bereits vorhandene zielsicher aufzuspüren. Die dritte Kategorie, die Dorfweiblein, sind zu beidem fähig. Nur dass ihnen ihr Talent im Gegensatz zu den ersten beiden Berufen, wo es von außerordentlichem Nutzen ist, wenig Ruhm und Ehre einbringt. Im Gegenteil: Wer ständig nach Informationen giert und Klatsch und Tratsch aufs Heftigste bedient, den lassen andere gerne mal genüsslich am langen Arm verhungern. Denn nichts ist so komisch wie ein Mensch, der sich unter Informationsentzug windet wie ein Fisch auf dem Trockenen. Wobei die Kunst darin besteht, sein neugieriges Gegenüber stets höflich und elegant abzuspeisen, anstatt es mit einem schroffen „Was geht Sie das eigentlich an?“ zu brüskieren.

So erging es mir mit einer früheren Nachbarin auf dem Dorf, mit der ich ansonsten kaum Kontakt hatte – es sei denn, es tauchte Besuch bei mir auf! Dann und nur dann fand „Tanti Kati“ zielsicher den Weg in meinen Hof, um sich Mehl zu borgen oder mir überraschend ein paar Eier zu schenken. War die Pforte verschlossen, so lauerte sie mir bis zur Verabschiedung auf der Straße auf, wo sie mir dann ganz „zufällig“ begegnete. Ein Geduldsspiel für die Arme, denn sie musste ihre Anwesenheit auf der Straße ja irgendwie motivieren – nutzlose Kastanien sammeln, fremde Hühner verscheuchen, den nächsten Passanten mit einem überflüssigen Tratsch aufhalten... Dann, wenn mein Besuch endlich abgefahren war, spielte sich in etwa folgende Konversation ab. Sie (zuckersüß): „Hatten Sie Besuch?“ Ich (ebenso, lächelnd): „Ja“. Natürlich hätte ich jetzt ins Haus eilen können, doch ich war viel zu neugierig (!) auf ihre weitere Strategie. „Aus Deutschland?“ „Nein.“ Erstmal Funkstille. Dann ein erneuter Vorstoß: „Aus Rumänien also?“ „Ja“. Wieder Funkstille. Qualvolle Momente verstrichen. Dann, endlich, ein verzweifelter Ausruf: „Aber – WER WAR DENN DAS?“ Nach einer längeren Denkerpause, die ihr schier unendlich erschienen sein muss, erwiderte ich lächelnd: „Freunde“ und verschwand durchs Gartentor. Ich hätte auch sagen können: Familie Wrdlbrmpft aus Hinterschoderhausen – der Wert der Information wäre für „Tanti Kati“ der gleiche gewesen.

Die Neugierde alter Frauen lässt sich nur durch eines toppen – Katzen! Alles was offen zugänglich und nicht verboten ist, kümmert den Stubentiger einen feuchten Kehricht. Stundenlang kann er unter minimalstem Bewegungsaufwand auf der Ofenbank liegen. Kaum geht jedoch die Schranktür auf, schlüpft das schlagartig hellwache Tier auf leisen Sohlen hinterrücks hinein und verhält sich so mucksmäuschenstill, dass man den Schrank arglos zuklappt – um den mysteriös verschwundenen Samtpföter Stunden später verzweifelt im ganzen Haus zu suchen. Alles Rufen und Locken vergeblich. Bis die Katze den geheimnisvollen Schrank ausgiebig erkundet hat – erst die Kleider und Mäntel rauf und runter, dann in die Sockenbällchen gebissen – und scheinbar empört lauthals klagend Auslass begehrt.

Auch Blutegel sind neugierig wie die Pest. Nur einmal das Glas offengelassen, und schon durfte ich sie in der Duschnische überall einsammeln. Doch sie tun dies auf der Suche nach Nahrung, was wohl weder auf die dralle Nachbarin, noch auf den verwöhnten Stubentiger zutrifft. Welchen Vorteil sie wohl von ihrer Neugier haben? Ist das vielleicht krankhaft? Das würde ich jetzt schon gern wissen. Nicht dass ich neugierig wäre – ich würd’s halt nur ganz gern wissen. Und zwar jetzt, sofort. Auf der Stelle – sonst platz ich!