Nicht (nur) der Drache ist das Problem

Zur Premiere von Kordonskys und Schwarz‘ „Der Drache“ am DSTT

Lustig und bitter rechnet das Stück mittels ritueller Beerdigungsszene zur „Zeremonie des gefallenseinwerdenden Helden“ mit dem Fatalismus und dem Traditionalismus ab.

Der Drache ist tot – lang lebe der Drache! - Die Hochzeitsszene mit der genötigten Jungfrau und ihrem traumatisierten Vater, sich dem neuen sozialistischen Präsidenten unterwerfend

Die einzige Szene mit Farbe: gut skizzierte typologische Schaulustige verfolgen aus vermeintlich sicherer Entfernung den Kampf. Fotos: Astrid Weisz

Weil jeder sich einen Drachen wünscht...
und sich vor der Freiheit fürchtet


Das Deutsche Staatstheater Temeswar (DSTT) beendete seine Spielzeit 2022/2023 mit einem lauten Knall… oder, besser gesagt, mit dem Gebrüll des „Drachen“ von Jewgeni Schwarz. Es gab die Premiere am 28. Juli. Als Spielleiter konnte der in Odessa geborene Yuri Kordonsky gewonnen werden, der damit für seine dritte Inszenierung am DSTT zeichnet. Ähnlich wie seine ersten beiden, verspricht auch dieses Stück zu Erfolgen der Temeswarer deutschen Bühne zu gehören.


Ein Drache hat sich eine Stadt über Jahrhunderte hinweg untertan gemacht. Sie muss ihn mit Tausenden von Kühen, Schafen und Hühnern ernähren und ihm jährlich eine Jungfrau opfern. Die Bewohner der Stadt haben sich damit aber abgefunden, niemand begehrt dagegen auf, im Gegenteil, sie finden sogar, dass ihnen die Herrschaft des Drachen Sicherheit bietet. Eines Tages kommt ein junger Mann des Wegs, der Ritter Lanzelot, der diese Ordnung infrage stellt. Er verliebt sich in die schöne Elsa, die in diesem Jahr geopfert werden soll, und will mit dem Drachen kämpfen. Doch so gut wie niemand sieht in ihm den möglichen Befreier oder wäre bereit, ihn im Kampf zu unterstützen.

Einen furchterregenden, undurchschaubaren, unvorhersehbaren, launischen und gleichsam grausamen Drachen, der in belehrenden Monologen Spiegelungen von Gesellschaften mit einer Natürlichkeit sonderglei-chen zeigt, spielt Ioana Iacob. Ihr Gegenstück ist augenscheinlich der Ritter in glänzender Rüstung, der sich in die Jungfrau verliebt und dann den Drachen tötet. Lanzelot, kraftvoll interpretiert von Harald Weisz, der beweist, dass der junge Schauspieler ähnlich wie seinerzeit in Elektra, diesmal aber durchaus gereifter, nuancenreicher mehr kann als Don Juan oder komödienhafte Rollen zu übernehmen.

Isa Berger, die seit mittler-weile zehn Jahren am DSTT in verschiedensten Rollen zu sehen ist, überrascht das Publikum mit einem ganz neuen, wandelfähigen Gesicht in der Rolle der Elsa, mit entwaffnender Mimik und Gestik, die zum Ein- und Mitfühlen verführen. Alle darauf angesprochenen Schauspieler loben die gute Zusammenarbeit mit dem Regisseur, das gemeinsame Experimentieren, die Freiheiten, die ihnen gegeben wurden und nicht nur die Akzeptanz, sondern das aktive Fordern von eigenem schauspielerischem Input.
Viel Gefühl, vieles, das zum Nachdenken anregt, zur Selbstanalyse, aber eben auch ein ener-giegeladenes Spiel begeisterten, sorgten für ergriffenen, langanhaltenden Applaus am Ende der Premiere. Die Erstaufführung bewegte sowohl DSTT-Intendant Lucian V˛r{˛ndan, als auch Regisseur Yuri Kordonsky, was sie bei der Premierenfeier im Anschluss öffentlich kundtaten. Beide würdigten die Begeisterung, mit der das Ensemble vor und hinter den Kulissen an der Produktion beteiligt war. „Alle drei Projekte, die ich bislang am Deutschen Staatstheater durchgeführt habe, waren richtige Abenteuer für mich, und bei allen drei, beginnend mit der Möwe, dann Erendira und jetzt der Drache, habe ich selbst als Künstler Neues ausprobiert. Es ist eine ungemeine Freude, ein Geschenk, ein so rezeptives Ensemble vorzufinden, das bis ans Ende der Welt gehen würde, um Dinge zu versuchen, die man bisher noch nicht ausprobiert hat. Sie sind Risiken eingegangen, haben neue Terrains erforscht, die auch für mich neu waren. Und sie haben mir alle ein gutes Gefühl gegeben, dass ich hier ungewöhnliche Vorschläge machen kann, die sie mit Leidenschaft und ihrem ganzen Herzen umsetzen“, sagte Regisseur Yuri Korondsky. Er unterstrich jedoch auch die Rolle des Autors, der selbst die Aufführung dieser zeitgenössischen Fabel nicht mehr erleben konnte.

Überzeugen konnten mit ihrer Darstellung diesmal auch: Robert Bogdanov-Schein als Charlemagne, der gefügige, ängstliche Vater Elsas, Alma Diaconu als der Kater, der sehr wohl im Drachen etwas Bekämpfenswertes erkennt und vor dem auch der Drache Respekt zu haben scheint, Marc Illich als dienerischer Heinrich und dessen Vater, der Bürgermeis-
ter, gespielt von Alexandru Mih˛escu, der es nach der Drachentötung zum sozialistischen Präsidenten schafft, den jedoch am Ende optimistisch oder nicht ein anderer Drache ablöst. Das Spiel von Licht und Schatten, die Grautöne, die darauf hinweisen, dass eben nicht klar schwarz und weiß zu verstehen ist, was passiert. Die Inszenierung ist voller Metaphern, doch die Darsteller brechen mit der Märchenwelt und bringen sie ins Heute, Jetzt und Hier, beziehen das Publikum ein, sprechen es direkt an. Zu hören ist auch, dass es für diese Inszenierung die sprecherzieherische Betreuung durch Ulrike Schulze gegeben hat, als Gast aus Deutschland, zumal es in den letzten Jahren immer schlimmer um die Aussprache mancher Ensemble-Mitglieder stand, dass man sich an den rumänischen Übertiteln orientieren musste.

Sich den Drachen von Jewgeni Schwarz im heutigen Kontext des russisch-ukrainischen Kriegs anzusehen, wohl wissend, dass der Regisseur aus der Ukraine stammt, in Sankt Petersburg geschult wurde und gearbeitet hat, mittlerweile Regie an einer renommierten Yale-Akademie unterrichtet, gibt der Inszenierung zusätzliche Tiefe. Der russisch-ukra-inische Angriffskrieg sei der Grund schlechthin, dieses Stück zu inszenieren. „Die Grausamkeit dieses Krieges und dessen, was Russland in der Ukraine anrichtet, ist unglaublich und überwältigend. Das Stück versucht über den wachsenden Faschismus zu sprechen und was er bedeutet, dass das Problem nicht nur beim Herrscher liegt: Die Welt wäre einfach, läge es nur an den Herrschern, wie Hitler, Stalin, Putin, Mussolini oder wie sie sonst heißen. Das große Problem ist der internalisierte Faschismus, den jeder von uns in sich trägt, unser Verlangen, uns einer sogenannten starken Hand zu unterwerfen und die Angst vor Freiheit, die in uns lebt“, sagt Regisseur Yuri Kordonsky.

Der Drache - ein fesselndes Märchen, ein packendes Drama am DSTT, versehen mit humorvollen Szenen und auflockernden, unerwarteten, komischen Wortmeldungen, nicht zu viel und nicht zu wenig, damit die schwere Kost noch so halbwegs verdaut werden kann. Keine mindere Rolle spielen bei der Inszenierung die originelle Live-Musik von Sorina Savii und Lukas Kohl, das inspirierte, vielseitig und praktisch einzusetzende Bühnenbild, sowie die einfallsreichen, schönen Kostüme von Ioana Smara Popescu. Auch die eingesetzte Videokunst kommt gekonnt zur Geltung, schafft Kontext, hebt das schauspielerische Talent hervor, bereichert Bühnenbild und ist gut integriert worden, so dass es zur Dramatik mancher Szenen beiträgt. Feine direkte oder indirekte Kritik wird an vielem geübt:  an Systemen, menschlichen Schwächen, den Massenmedien, die ein Thema einfach ausschlachten. Ein eigenes Bild von der Inszenierung Yuri Kodonkys nach Jewgeni Schwarz‘ „Der Drache“ kann sich das Publikum in der Spielzeit 2023/2024 machen, wahrscheinlich im Oktober.


Erlebniswelten TM23
Eine subjektive Auswahl von A.Weisz

18.-20. August
Aquatim-Wassermuseum/Calea Urseni
Sommernächte im Museum (Musik, Film, Workshops, Führungen, Zirkusvorstellungen und Fotoausstellung)

Bis zum 30. August
Gedenkstätte der Revolution
Litauische Tataren in Archivaufnahmen (Dokumentenausstellung)

Bis zum 30. August
MV Sci-Art Center
Expanded Nature (Kunstausstellung)

Bis zum 1. September
HEI-House of European Institutes/Theresien-Bastei
ILUSTRAD/AS (Spanische, feministische Gegenwartskunstausstellung)

Bis zum 17. September
Jecza-Gallerie
Quarks, Leptons & Bosons (Gruppenausstellung)

Bis zum 17. September
Kunstmueum
I, Human  (Empathische Media-Kunstinstallation von Saint Machine)

Donnerstag, 17. August
Freiheitsplatz, 12 Uhr
Platzkonzert mit den Siebenbürger Musikanten Heidenheim

Reformiertes Zentrum „Neues Millenium“, 19 Uhr
Steinhübl Zoltán (Vernissage, Kunstausstellung)

CODRU Urban Garden/U-Kaserne, 20 Uhr
Disco Fever with ABBA Real Tribute

Samstag, 19. August
Porto Arte, 19 Uhr
Maria Răducanu (Ethno-Jazz-Konzert)

Sonntag, 20. August
Herz-Jesu-Kirche in der Elisabethstadt, 19.30 Uhr
Orgelkonzert mit Marcel Costea (Orgel)und Zsuzsana Cerveni (Sopran)(im Rahmen des Festivals „Orgeln der Festung“)

Montag, 21. August
Arader Kulturpalast, 20 Uhr
Organo bel Canto mit Dr. Balatoni Sándor (Orgel) und Balatoni-Schultz Jennyfer (Sopran) aus Fünfkirchen/Pécs (Ungarn)

Mittwoch, 23. August
Orpheum-Saal der Fakultät für Musik und Theater, 19 Uhr 
Orgelkonzert (Studenten der Orgelklasse der Fakultät für Musik und Theater in Temeswar)