Heftige Reaktionen aus der Bretagne, dem Elsass und aus Korsika hat eine Ansprache ausgelöst, die der französische Präsident Emmanuel Macron am 14. November vor der Académie Française hielt. Die Gesellschaft von Gelehrten wurde 1635 gegründet, um die französische Sprache zu vereinheitlichen und zu pflegen. Anlass von Macrons Ansprache war die Präsentation eines neuen französischen Wörterbuchs.
In seiner Ansprache lobte Macron die Arbeit der Akademie in einer Weise und mit Begründungen, die François Alfonsi, den langjährigen korsischen Europaparlamentarier, in einem Kommentar in der korsischen Wochenzeitung „Arritti“ zu der Aussage veranlasste, Macron sei „ein Anhänger der Doppelzüngigkeit, je nachdem, ob er am Rednerpult der Versammlung von Korsika oder der Académie française steht“. Macron hatte gesagt, Französisch sei „der Schmelztiegel der Einheit des Landes“, aber die Dialekte und Regionalsprachen seien ein Instrument zur Spaltung der Nation.
Die Vereinigung der bretonischen Immersionsschulen Diwan erklärte laut dem katalanischen Online-Medium „El Diari de la llengua“, dass sie nicht „die Nation spalte“, sondern vielmehr „ihre Vielfalt stärke“. In diesem Sinne äußerte sich auch der Rat der korsischen Sprache, der die Förderung der kulturellen Vielfalt forderte.
„Das Komischste an Emmanuel Macrons Auftritt in der Académie française war, dass er wenige Augenblicke später nicht zögerte, die französischsprachigen Sprecher in Quebec zu begrüßen und die Quebecer aufrief, der Uniformierung zu widerstehen, indem sie die französische Sprache systematisch gegen die Dominanz des Englischen in einem überwiegend englischsprachigen Kanada einsetzen, ohne dass jemand auf den eklatanten Widerspruch hingewiesen hätte“, schreibt Alfonsi.
Der korsische Politiker weist noch auf zwei weitere Ereignisse aus derselben Zeit hin. So entschied ein Berufungsgericht in Marseille, dass korsische Abgeordnete im Regionalparlament nicht in ihrer Sprache sprechen dürfen, obwohl ihre Redebeiträge simultan ins Französische übersetzt würden. Das Regionalparlament hatte die entsprechende Geschäftsordnung einstimmig gefasst. In Toulouse wurde ein gleich lautendes Urteil in Sachen katalanischer Sprache gefällt, denn „die Sprache der Republik ist Französisch“. „Der tiefe Staat herrscht und verfolgt sein jakobinisches Sprachmordprojekt weiter“, schreibt Alfonsi dazu. Die korsische Gebietskörperschaft will die Urteile bis hinauf zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anfechten. „In dieser Frage der Sprache, einer Identitätsfrage par excellence, die für die Zukunft des korsischen Volkes von entscheidender Bedeutung ist, stehen wir dem reaktionärsten Volk der Welt gegenüber. Nur China geht so weit...“, schreibt Alfonsi abschließend.
Frankreich leugnet die Existenz nationaler Minderheiten auf seinem Staatsgebiet, obwohl dort insgesamt rund vier Millionen Okzitanen, Deutsche, Bretonen, Katalanen, Korsen, Basken, Flamen und Frano-Provenzalen leben (siehe Pan/Pfeil/Videsott, Handbuch der europäischen Volksgruppen Band 1). Staatsräson ist die Annahme einer homogenen Nation, nur dass eben manche Franzosen auch Dialekte oder Regionalsprachen sprechen. Ein Pfeiler dieser Staatsräson war das 1539 erlassene Edikt von Villers-Cotterêts, in dem König François I. Französisch als alleinige Verwaltungssprache festlegte, was der Ausgangspunkt einer Politik zur Durchsetzung des Französischen als Nationalsprache war.
Die janusköpfige Ansprache Emmanuel Macrons ist ein Ausdruck dieser Politik. Dass er in seiner Ansprache ausdrücklich die vor einem Jahr verstorbene Ständige Sekretärin der Académie Française lobte, Hélène Carrère d’Encausse, hat seine Gründe. Die Historikerin wurde 1929 in Paris als Tochter eines emigrierten Georgiers mit dem Familiennamen Surabischwili geboren und setzte sich Zeit ihres Lebens für den Ausschließlichkeitsanspruch des Französischen als Staatssprache in Frankreich ein. Sie schrieb 2002 unter der Prämisse, sie fürchte, dass die Vorrangstellung des Französischen in Gefahr sei, die bemerkenswerten Sätze: „Die Gefahr ist heute um so größer, als die wahrscheinliche Entwicklung Europas hin zu einer Regionalisierung und die versprochene Dezentralisierung in Frankreich, von der einige sich wünschen, dass sie über den Rahmen von Politik und Verwaltung hinaus auch die Sprachen miteinbeziehen möge, zu einer Schwächung der nationalen Zusammengehörigkeit und des Nationalbewusstseins führen könnten. In dieser bereits eingeleiteten und wahrscheinlich irreversiblen Entwicklung wird es die gemeinsame Sprache sein, nämlich die französische Sprache, die allein die moralische und kulturelle Einheit der Franzosen verkörpern und erhalten wird. Muss sie dazu verurteilt sein, diese Rolle mit den Sprachen Frankreichs zu teilen, die übrigens Legion sind, so dass unser kulturelles Erbe, unsere Identität in einem Knall aufgehen werden? Es ist keine Zukunft der Science Fiction, die ich in diesem Augenblick beschwöre, sondern es sind präzise Projekte, die sich heimtückisch im Schatten einiger Institutionen und Klüngel entwickeln. Ignorieren wir nicht diese Gefahr, retten wir unsere Sprache solange es noch Zeit ist, denn was auf dem Spiele steht sind wir, unsere lange Geschichte, unser Gemeinschaftsleben, unsere Identität.“