Parametrisches Entwerfen und generative Architektur

„Menschen sollen wissen, dass es so etwas gibt“

Die Abschlussarbeit von Andrei Răducanu war die Philharmonie des Banats in Temeswar, die sich in der Nähe des Bega-Flusses befinden würde.
Foto: Andrei Raducanu

Das „Hexigloo“ wurde 2011 im Rahmen von Street Delivery in der Bukarester Arthur-Verona-Straße präsentiert.

Die Symbiose zwischen Computerprogrammierung und Architektur wurde erreicht. Das Resultat: generative Architektur. Architektonische Modelle können anhand eines Algorithmus erzeugt werden. Algorithmen, Parameter und Scripting-Techniken gelten als Basisinstrumente generativer Gestaltung und digitalen Designs. Dank dieser Techniken können höchst komplexe Gebäude errichtet werden, deren raffinierte Formen früher undenkbar waren. Ein Stil der zeitgenössischen Architektur ist dementsprechend im Werden. Manche Theoretiker beschreiben ihn als „Poesie der Bewegung“. Vorausgesagt wird, dass er sich zu einem epochalen Stil entwickeln wird, so wie  der Barock oder die Renaissance. Über die Tatsache, dass es eine Avantgarde Bewegung ist, die sich weltweit zu verbreiten scheint und niveauvolle Eleganz und fluide Formen fördert, sind sich hingegen die meisten einig.

Software, die Eigenschaften eines Baus generiert


Zu den Vertretern der jungen Architektengeneration, die daran interessiert sind, diese Methode einzuführen, gehören auch die drei Mitglieder der rumänischen TAI Research-Gruppe. Auf die leistungsfähigen, computergestützten Entwurfstechnologien haben Architekten Tudor Cosmatu, Andrei Răducanu und Irina Bogdan schon seit einer Weile ein Auge geworfen. Sie haben diese neue Entwurfsmethode in Deutschland kennengelernt und sind schon auf dem richtigen Weg, sie in Rumänien bekannt zu machen: Abgesehen von den Workshops, die sie oft organisieren, haben sie vor nicht allzu langer Zeit eine TEDx-Präsentation im Parlamentspalast über die neue Art, Gebäude  zu entwerfen, abgehalten.

Nach ihrem Studienaufenthalt am Institut für Architektur in Dessau haben sich die drei entschlossen, die generative Gestaltung nach Rumänien zu bringen. So wurde das Forschungsteam TAI-Technologie, Architektur, Innovation gegründet. Tatsächlich sind sie die Einzigen hierzulande, die dieses Thema erforschen. Obwohl sich alle drei in unterschiedlichen Anwendungsbereichen bewegen, ist das grundlegende Prinzip trotzdem immer dasselbe. Andrei arbeitet an seiner Doktorarbeit am Polytechnikum Bukarest über metallurgische Strukturen, die algorithmisch optimiert werden.

Irina möchte sich auf Produktdesign – nützliche Produkte wie Dreiräder für Kinder in Krankenhäusern, aber auch Fashion-Accesoires – konzentrieren. Tudor arbeitet bei einer Firma in München, wo er im Bereich der „Brand Identity“ an der Grenze zwischen Architektur-, Brand-, Produkt- und Grafic Design betätigt. Ihm fällt es noch schwer, sich auf eine klare Richtung festzulegen, was seine Zukunftspläne anbelangt. Bisher hatte er durch verschiedene Projekte die Möglichkeit, vom Produktdesign bis zur Stadtplanung zu experimentieren.

Andrei, ein ernsthafter junger Mann, macht deutlich, worum es geht: „Mit Hilfe moderner Software kann man bestimmte Eigenschaften  eines Objektes generieren. Es ist eine Art Skriptsprache und das Endresultat kann visualisiert werden.“ Simulationen und Veränderungen können extrem leicht vollzogen werden, dementsprechend wird Zeit gespart und Fehler werden vermieden: Das parametrische Entwerfen erleichtert auch die Arbeit des Architekten sehr stark: Soll man beispielsweise die Flächengröße ändern, dann passt der Computer automatisch auch alle anderen Parameter an.

Um diese abstrakten Beschreibungen zu veranschaulichen, bringt die hilfsbereite Irina ihren Laptop und zeigt, wie man mit dem Programm Grasshopper algorithmisch modellieren kann. Verschiedene 3-D-Modelle verändern sich gehorsam auf den Befehl der erfahrenen jungen Frau. Da versteht man, dass es ein leistungsstarkes Medium ist: Die Zeit, die üblicherweise dem händischen Entwerfen gewidmet ist, wird gespart.

Dadurch ermöglicht sich eine ungeheuer breite Vielfalt an Varianten. Andrei und Irina erklären mit großer Begeisterung, worin einer der Vorteile der generativen Gestaltung besteht: „Will man ein Objekt mit der Hand machen, dann geht es nicht, zweimal dieselbe Form entstehen zu lassen, es ist unmöglich, dass zwei Gegenstände gleich sind. Benutzt man die neue Technologie, können zahllose Repliken desselben Objektes hergestellt werden.“

Es scheint, dass die Professoren in Rumänien das Potenzial dieser Methode noch nicht erkennen. Auch vielen Architekturstudenten ist daher nicht bewusst, dass es diese performanten Design-Methoden gibt. „Das Schulwesen ist rigid, die Anpassung und Einführung neuer, internationaler Trends ist möglich, aber braucht viel Zeit. Zurzeit kann man anhand von Workshops beginnen,“ erklärt Tudor.  Deshalb hat TAI schon ab 2010 Workshops in verschiedenen Großstädten durchgeführt (Temeswar/Timişoara, Jassy/Iaşi und Bukarest), damit die Studenten sich mit diesen Methoden vertraut machen.

Die gute Nachricht ist, dass heuer auch ein optionaler Kurs an der Bukarester Architekturuniversität „Ion Mincu“ eingeführt wurde. In Deutschland hingegen gibt es solche Studienmöglichkeiten in verschiedenen wichtigen Universitätszentren. Dort geht man davon aus, dass diese Entwurfsmethode in ein paar Jahren breite Anwendung finden wird.

Ziele und Beispiele

Algorithmen können auf sehr viele Arten angewandt werden, sobald man sie völlig versteht. Mit ihrer Hilfe werden auf der Basis bestimmter vorgegebener Bedingungen komplexe Systeme generiert. Sie sind ein Werkzeug, um sowohl Anwendungsmöglichkeit als auch Aussehen von Objekten allerlei Größe zu verbessern. Man kann damit Formen gestalten, die früher nicht möglich waren, und hat eine extrem breite Vielfalt an Möglichkeiten.

Immer komplexere Strukturen können gestaltet werden – früher dauerte das ewig lang. Hervorzuheben aber ist die Effizienz, wenn es um Wiederholung des Arbeitsvorgangs geht. „Durch generative Architektur wird die Palette der Werkzeuge vergrößert, die man im Prozess des Entwerfens einsetzt, also eine Verbreitung des Spektrums. Die Methode bietet die Möglichkeit, neue Ideen und Geometrien zu formulieren, Elemente aus anderen Bereichen einzugliedern und auf kohärente Weise ein Konzept zu entwickeln“, erläutert Tudor.

Dabei geht es eher um strukturelle Bedürfnisse, s dass Ästhetik nur ein Nebenprodukt der Bedingungen ist, die das Design erfüllen soll. „Es ist so wie Natur“, erklärt Irina. „Die Natur ist schön, da sie praktischen Bedürfnissen entspricht. Es geht nicht darum, bloß interessante Muster herzustellen. Wir versuchen, den Eigenschaften der Natur ein Design aufzuprägen. Die Natur hat ihre eigene Schönheit, die aus der energetischen, strukturellen Optimierung resultiert. Jeder Organismus folgt Regeln, deshalb funktioniert er gut.“

Alles soll effizient sein, vom Standpunkt des benutzten Stoffes bis zu Belüftung und Beleuchtung.  Das Modell hat fließende Formen und folgt denen der Natur. Die Harmonie besteht darin, dass jedes Element selbstständig und notwendig ist, es gibt keine Bauteile, die nur eine ästhetische Rolle haben. Design bietet unendlich viele Möglichkeiten, doch es ist wichtig, sich zu beschränken, damit auch etwas Machbares daraus resultiert.

Die Abschlussarbeiten von Tudor und Andrei sind Beispiele, die solche Grundregeln sehr gut veranschaulichen. Das experimentelle Projekt von Tudor, „Polymorph Islands“,  ist ein Forschungszentrum in der Antarktis für eine mobile Gemeinschaft von internationalen Wissenschaftlern, eine schwimmende Stadt, wo jedes Modul unabhängig von dem anderen funktioniert.

Er setzt sich auch mit sozialen Problemen auseinander: Inwieweit kann ein umgestaltungsfähiges System  eine formelle Identität haben und wie können die funktionellen Eigenschaften durch Permutationen auf dem Niveau der aufbauenden Elemente erfüllt oder verbessert werden. Andreis Abschlussarbeit war die Philharmonie des Banats, ein herausragend komplexes Gebäude mit runden, wellenähnlichen Formen, die die Übertragung von Schallwellen ermöglichen.

TAI ist das erste Forschungsteam in Rumänien, das sich um generative Architektur kümmert. In Rumänien ist die generative Architektur bisher nur auf theoretischem Niveau zu finden, es gibt keine Architekten oder Firmen, die mit diesen Entwurfsmethoden arbeiten und es gibt keine Forschung. Andrei forscht selbstständig für seine Dissertation. „Wir sind die Einzigen, die das untersuchen. Es muss sich entwickeln, Menschen sollen wissen, dass es so was gibt“, meint Irina.

Es gibt hingegen eine weltweite Gemeinschaft, die  um die generative Gestaltung bemüht ist und Wettbewerb auf internationalem Niveau anstrebt. Die drei gescheiten Köpfe bleiben in Verbindung mit anderen durch das soziale Netzwerk Facebook: Diejenigen, die davon begeistert sind, posten immer wieder etwas Neues. So soll die ganze Gesellschaft über die Vorteile der generativen Gestaltung erfahren. Dafür ist es notwendig, dass die Akademiker sich  engagieren, damit die Industrie später mitspielt. Ihr Ziel wäre, dass ein Netzwerk von Experten aus verschiedenen Bereichen entsteht, damit Ingenieurwissenschaft- und Metallurgie-Spezialisten, sowie Hersteller zusammenarbeiten können. Der Weg ist lang, aber der erste Schritt ist bereits getan.