Phantastischer Realismus lässt Raum für vielfältige Deutungen

Zum Bildband von Friedrich Schreiber, „en passant“

Der 2024 erschienene Kunst-Bildband „en passant“ zum Banater Maler Friedrich Schreiber ist im Banat Verlag Erding erhältlich, ISBN 978-3-9813976-9-8

Selbstporträt Friedrich Schreibers: „3 x Selbst“, Öl/Presskarton, 63 x 50 cm, 2013

Eigentlich sollte er die Erde stützen, doch er sitzt betrübt vor ihr auf dem Boden, einige Splitter verstreut neben seinen Füßen. „Atlas“ betitelt sich die Ölmalerei Friedrich Schreibers, 1993 geschaffen, die das Verhältnis des Menschen zur Welt ausdrückt. Ein Thema, das heute - genau wie damals - aktuell ist und auf unterschiedlichste Art und Weise interpretiert werden kann. Die Welt ist zerbrechlich, und das kommt in Friedrichs Schreibers Schaffen öfters zum Ausdruck.

Ein Kunst-Bildband, der Friedrich Schreiber, dem in Siebenbürgen geborenen Künstler mit Banater Wurzeln gewidmet ist, ist vor Kurzem auf dem Büchermarkt erschienen. In diesem Herbst gab der aus dem Banat stammende Publizist Walther Konschitzky in seinem „Banat Verlag Erding“ den Kunstband „en passant“ (im Vorübergehen) heraus, welcher das künstlerische Schaffen Friedrich Schreibers beleuchtet. „en passant“ ist auch der Titel der Ausstellung, in dem die in dem Band veröffentlichten Werke im Oberpfälzer Künstlerhaus in Schwandorf in diesem Herbst zu sehen waren.

Wer Friedrich Schreiber nicht kennt, der kann am Anfang des Bildbandes die Biografie des Künstlers lesen – der Kunsthistoriker Prof. Dr. Hans-Christoph Dittscheid von der Universität Regensburg sorgt dafür, dass der Leser den Künstler und seinen Stil näher kennenlernt. Es folgt ein Interview, das Walther Konschitzky mit Friedrich Schreiber geführt hat.

Mehr als einhundert Illustrationen seiner Werke sind in dem Band abgebildet und bieten einen Einblick in die vielfältigen Schaffenswelten Schreibers. Realismus, aber kein klassischer, der den Künstlern während der Diktatur in Rumänien mehr oder weniger aufgezwungen wurde, sondern ein phantastischer Realismus, der Raum für vielfältige Interpretationen übrig lässt.   

Friedrich Schreiber wurde 1936 in Kronstadt/Bra{ov geboren – seine Vorfahren waren 1793 aus dem Salzburger Land ins Banat gezogen, lebten im Banater Bergland. Schreiber selbst erlernte zunächst den Eisendreher-Beruf, um sich später dem Studium der Monumentalmalerei an der Akademie der Bildenden Künste in Bukarest zu widmen. Er zog anschließend nach Temeswar/Timi{oara, wo er als Hochschullehrer an der Fakultät für Kunst unterrichtete. Doch da kam es 1978 zur Schließung der Kunsthochschule – und Schreiber zog als Bühnenmaler ans Nationaltheater Temeswar, wirkte aber aktiv auch in der Regie mit. Er heiratete und bekam eine Tochter. Die Familie wanderte 1980 nach Deutschland aus, wo sich Schreiber in Regensburg niederließ. Dort wurde ein eigenständiger Lehrstuhl für Kunsterziehung gegründet und man suchte nach einem Leiter der Werkstatt. Ein Glück für den Künstler Friedrich Schreiber, der sodann Werkstattleiter wurde. Seinen rumänischen Wurzeln blieb Schreiber stets treu. 2010, 30 Jahre nach seiner Auswanderung, wurde in Temeswar seine erste Retrospektivausstellung gezeigt. Schon damals brachte Walther Konschitzky einen Band in deutscher und rumänischer Sprache zu Friedrich Schreibers Wirken heraus. In dem jüngst erschienenen Bildband sind fast alle Illustrationen neu. Beide Bände sind großformatig, mit festem Bucheinband, von sehr guter Qualität.

Ein Blick auf die Kunstwerke Schreibers, die während seiner Zeit im rumänischen Kommunismus entstanden sind, zeigt, wie meisterhaft der Maler mit dem Realismus umzugehen konnte, indem er einen phantastischen Realismus daraus machte. Der Künstler verarbeitet nämlich in seinen häufig surrealistisch-phantastischen Kunstwerken sowohl Szenen aus Mythologie und Religion als auch Themen der Gegenwart, die aktuellen Gesprächsstoff bieten. Dabei setzt er sich mit Ereignissen wie der Covid-19-Pandemie und den technologischen Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz auseinander.

In seinen lebendigen, zeitlosen Bildräumen spielen menschliche Dramen und Komödien mit tragischem Unterton vor den Augen des Betrachters. Was zunächst wie eine fremde, geheimnisvolle Gegenwelt erscheint, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als poetische Interpretation der Gegenwart, in der das Böse stets unerwartet in Erscheinung treten kann. Die Titel und Kompositionen vieler Werke, die Kunstliebhaber in der Ausstellung „en passant“ bewundern konnten, lassen nur wenig Hoffnung auf eine friedliche, lebenswertere Welt erkennen. Verloren wirkende Gestalten und verzweifelte Szenen deuten eher auf ein düsteres Ende hin - so etwa in dem Werk „Letzter Akt“, das 2015 entstand, oder in dem Ölgemälde „Am äußersten Ende“ (2020). Das stets wiederkehrende Motiv der Uhr lässt sich auf Friedrich Schreibers Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit/Sterblichkeit des Menschen zurückführen, was vor allem in seinem Spätwerk, aber nicht nur, sichtbar wird – „Kampf mit der Zeit“ (2023) oder „Die Last der Zeit“ (2024) sind nur zwei Beispiele hierfür.  

Die letzte Illustration in dem Kunst-Bildband ist ein Selbstporträt des Künstlers mit dem Titel „Letztes Selbstporträt“. Dabei ist von seinem Gesicht lediglich ein Auge zu sehen, denn Schreiber hält seine rechte Hand vor sich, scheint sich vor etwas wehren zu wollen. Wovor? Die Interpretation lässt der Künstler dem Betrachter übrig. All seine Gemälde machen unterschiedliche Interpretationsvarianten möglich, seine Kunst regt zum Nachdenken an. Das Geheimnisvolle, Ungewisse ist prägend für sein Werk – und auch die Atmosphäre in seinen Gemälden ist mysteriös, ja sogar bedrohlich.

Eines muss außerdem noch gesagt werden: Friedrich Schreiber bleibt interessant nicht nur durch sein Wirken, sondern auch dadurch, dass er sich in zwei sehr unterschiedlichen Lebenswelten – zunächst in Rumänien und später in Deutschland – sowohl als Künstler als auch als Lehrender behaupten konnte. Schreibers Werke zeigen außerdem, wie fragil die Welt sein kann und wie stark der gesellschaftliche Rahmen die künstlerische Darstellung prägen kann.