Predigt zum 25. Jubiläum der Konsekration S.E. Martin Roos, Bischof emeritus

Das Bischofsamt ist, wie jedes Amt in der Kirche, keine Macht, die dazu bestimmt ist, die Karriere desjenigen zu fördern, der es erhält, sondern es ist ein Dienst zum Wohl aller, für das Wachstum aller auf dem gemeinsamen Weg mit allen.

Vielleicht fragt sich der eine oder andere, was ich als relativ junger Priester überhaupt über das heutige Fest sagen kann. Ich bediene mich eines Bildes, das Papst Franziskus oft gebraucht, um nicht nur Bischöfen, sondern auch Priestern eine Hilfe für ihre Mission – das Mitgehen mit der ihnen anvertrauten Herde – zu geben. Er sagt nämlich, dass ein Hirte in diesem Mitgehen mit seiner Herde drei Positionen einnehmen soll: er soll vor der Herde gehen, um den Weg zu weisen; mitten in der Herde sein, um den Geruch des Volkes anzunehmen und hinter der Herde ziehen, um den Nachzüglern, die müde und schwach geworden sind, zu helfen weiterzugehen.

Was bedeutet es, vor der Herde zu gehen? Nun, der Hirte soll den Weg zeigen! Wohl durch das Beispiel eines authentischen Lebens. Das ist ein Leben, das in all seinen unterschiedlichen Facetten mit dem Evangelium übereinstimmt. Ein leuchtendes Beispiel eines solchen Lebens gibt uns auf seine Weise Bischof Martin. Deutlich wird es darin, wie er mit Zeit umgeht. So lehrt er uns, dass Zeit nicht mit Nebensächlichkeiten verschwendet werden sollte, sondern als wertvolles Geschenk Gottes verstanden werden muss (Eph. 5,16). Ein anderes Beispiel ist seine Liebe zur Geschichte und zur Wahrheit. Diese Liebe verdeutlicht, dass gerade jene, die ihre eigene Identität klar und fest im Blick haben, mutig in die Zukunft schreiten können. So bringt das Leben von Bischof Martin auch zum Ausdruck, dass eine starke Identität aus tiefen Wurzeln wächst! Nur wer seine Wurzeln kennt, hat eine Chance auf eine fruchtbare Zukunft. Das ist das wahre Erbe und Auftrag. 

Was aber bedeutet es, mitten in der Herde zu sein? Ich denke an die Jahre der Visitation der Pfarreien. Diese Zeit war geprägt von einem tiefen Wachstum in der Communio. Die Gemeinschaft mit den Priestern, den Gläubigen, Jung und Alt, und den Kranken und Schwachen prägte diese Zeit. Gleichzeitig war es eine fundamentale Zeit, in der es darum ging, Einheit und Gemeinschaft mit Gläubigen und Priestern anderer Konfessionen aufzubauen. Die Visitation war aber auch eine Möglichkeit, die Freude und das Leid der Herde zu entdecken. So heißt es doch in den Seligpreisungen des Bischofs Mimmo Battaglia aus Neapel: „Selig der Bischof, der nicht zögert, sein Gesicht mit Tränen zu benetzen, damit sich in ihnen die Schmerzen der Menschen und die Mühen der Priester spiegeln können, und der im Umarmen der Leidenden den Trost Gottes findet.“

Der Herde nachzugehen bedeutet vor allem, der Herde Mut zu schenken. Wie gelingt das? Wohl in erster Hinsicht durch das tägliche Gebet für die anvertraute Herde. Es ist wichtig, für die Herde zu beten, damit sie inmitten aller Schwächen, Stürze und in den Momenten der Mutlosigkeit wieder Kraft findet, weiterzugehen. Das bringt auch Papst Franziskus zum Ausdruck, indem er schreibt: „Selig der Bischof, der ein Herz für das Elend der Welt hat, der sich nicht scheut, seine Hände im Schlamm der menschlichen Seele zu beschmutzen, um darin das Gold Gottes zu finden, der sich nicht über die Sünden und Schwächen anderer empört, weil er sich seiner eigenen Not bewusst ist; denn der Blick des Gekreuzigten wird für ihn das Siegel der unendlichen Vergebung sein!“ 

Jeder von uns ist berufen, sein eigenes Gesicht in der Menge zu entdecken, die dem Lamm folgt; in der Versammlung derer, die ihre Kleider in seinem Blut gewaschen haben, einem Blut, das nicht verschmutzt, nicht befleckt, nicht rot färbt, sondern alles in seiner ursprünglichen Klarheit und Reinheit wiederherstellt! Wir sind aufgerufen, unsere Schritte mit Dankbarkeit zu machen, ermutigt durch das Beispiel der bekannten und berühmten Heiligen, aber auch der  anonymen, jener, die Papst Franziskus „die Heiligen von nebenan“ nennt. Nach dem Buch der Offenbarung bilden sie „eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus jeder Nation, aus allen Stämmen, Völkern und Sprachen“, eine Schar, die glücklich ist, weil sie von den Seligpreisungen des Evangeliums geprägt ist. 

Lieber Bischof Martin, wir sind Ihnen dankbar, dass Sie in dieser Menge Ihr Gesicht erkannt haben und uns 25 Jahre lang auf unserem gemeinsamen Weg begleitet haben. Ihr beeindruckendes Zeugnis war für unser Wachstum von unschätzbarem Wert. Vergelt’s Gott! Danke! Ad multos!