Quo vadis, Europa?

1979 verkündete Griechenlands Präsident Konstantinos Tsatsos (1899-1987) in seiner Neujahrsansprache, Europa kehre nach Griechenland zurück. Er meinte den 1981 erfolgten EU-Beitritt seines Landes, eine politische Aufnahmeoption. Ähnlich jener, derzufolge auch Rumänien in die EU aufgenommen wurde. Nur hatte sich inzwischen mit der Aufnahme ehemals kommunistischer Länder die Formel umgekehrt: Man sei nach Europa zurückgekehrt, hieß es im eilends salonfähig gemachten (oder gedachten?) „Ostblock“. „Europa“, meint man, sei griechischen Ursprungs. Seine Wurzel (das assyrische oder phönizische „ereb“ = Dunkel, Sonnenuntergang) und seine Erstbedeutung (ein Teil westlich von Kleinasien, Thrakien) kommt von Homers Hymnen auf Apoll. Die (Erkenntnis-) Grenze der Griechen zu Europa dehnte sich über Herodot, Strabon und Ptolemäus weiter nach Osten (Don und Asowsches Meer) und Westen (Säulen des Herkules) aus, während und nach der Völkerwanderung, als sich der Osthorizont der „Europäer“ erweiterte, „verbalkanisierte“ sich das Zentrum Griechenlands, mit seinem Provinzwerden, zur Römerzeit.

1893 (in einer noch nicht überwundenen Türkenzeit), kam das „Verschuldet wie Griechenland“ auf, das bis heute, als reelle Gefahr und Gefährdung nicht nur EU-Europas, weiterbesteht. Die (oft diffusen und nur intuitiv erfassbaren) Werte, die hinter den Begriffen „Europa“ und „Balkan“ stecken, die (oft krassen und von vielen als unvereinbar angenommenen) Unterschiede, die sie definieren – alles jenseits der exakten Wissenschaft Geografie – versuchte die EU durch Aufnahme und „Gleichschaltungsmaßnahmen“ zu harmonisieren – bis der Brexit kam. „Auf wen soll ein Klub noch anziehend wirken, in dem Großbritannien, Norwegen und Island nicht Mitglied sein wollen und in dem Viktor Orbán, Beata Szydlo oder Liviu Dragnea das Sagen haben“, wird in einer „Spiegel“-Ausgabe der kroatische Autor Jurica Pavicic zitiert. „Auch die Dümmsten hätten begriffen, dass man sich nur verstellen müsse, bis man endlich im Klub sei – und dann könne man sich entspannen und sein wahres Gesicht zeigen“, setzt die an der Adria geborene und in Münster lebende Autorin, Alida Bremer, das Pavicic-Zitat fort.

Haben die beiden Südslawen nicht recht? Der krasseste Beleg ist unser westlicher Nachbar Viktor Orbán. Vom Hätschelknaben (nicht vergessen: das Wort „hätscheln“ ist verwandt mit „hatschen“= hinken) des Westens zum hinter vorgehaltener Hand beschimpften Buhmann und faschistoiden Populist mutiert, hat er für Ungarn einen EU-Sonderweg gefunden (man denke an den „Gulaschkommunismus“ János Kádárs), der ihm im Inland bei Wahlen Traumwerte bringt, im Ausland Geduldetsein und Wangenstreicheln von Jean-Claude Juncker. Pavicic erwähnt in seiner Aufzählung die nationalistisch-konservative Polin Szydlo und PSD-Drahtzieher Liviu Dragnea, der einem Europa vergällt (kommt von „Galle“). Bis zur jüngsten Entscheidung des Justizministers hockte Dragnea auf einem sorgfältig aufgeworfenen Neutralitätshügel und hatte „unbeteiligt“ den Dingen ihren Lauf gelassen. Dass Tudorel Toader den Generalstaatsanwalt und die DNA-Chefin nach jüngsten Untersuchungen nicht abgesetzt hat – beide Ermutiger der bislang entschlossensten und erfolgreichsten Pro-Europa-Bewegung (= die Dauerdemos gegen die nächtlichen Eilbeschlüsse zur Entkriminalisierung der Gesetzesbrecher der Parteien – auch Dragneas), das hat Dragneas Geduldsfaden zerfetzt.

Im Exekutivkomitee der PSD wurde gestern nach Redaktionsschluss über Toaders „Feuern oder Verbleib“ auf dem Ministerstuhl verhandelt. In Anwesenheit des Premiers. Toaders Vorgänger, der durch den Inhalt der Eilbeschlüsse und seinen Versuch diese mitten in der Nacht zu genehmigen, die Proteste ausgelöst hat, soll Stellvertreter von Dragnea, Vizepräsident der Abgeordnetenkammer, werden.