„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines eigenen Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist seine Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“
Es bringt etwas, im Kant- und Wahljahr 2024 den gar nicht allzu langen Text „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“, vor allem den einleitenden Syllogismus des Immanuel Kant (1724-1804) öfter zu lesen und zum Durch-Lesen weiterzuempfehlen, den er 1784 veröffentlicht hat. Denn: „Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen (naturaliter maiorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein.“
Daran musste ich denken, seit wir mitten in Aufregungen stecken, die uns der rumänische Wahl-Frühwinter beschert. Viel zu spät, jetzt absolut wirkungslos kommt die halbherzige Entschuldigung von Präsident Johannis für „Fehler“ in seiner Amtszeit. Zu spät auch die angekündigte Kehrtwende der Establishment-Parteien – ihre jämmerlichen Kandidatenlisten voller Nullitäten standen zur Wahl – nichts sonst. Nie werden die so Gewählten Entscheider, die Politik umsetzen werden – „Politik ist die Kunst der Entscheidung!“ Wir haben mehrheitlich unmündige Entscheider anstelle von Poltikern zur Wahl vorgesetzt bekommen. Es fehlt ihnen das kritische Denken, die Nutzung ihres „eigenen Verstandes“.
Die Moderne beginnt mit der Gründungsgeste der Laizität des Staates, der Trennung von Religion und Staat. Die ist bis heute in Rumänien, trotz Kommunismus, nie vollzogen worden. Krönung: der Erfolg des Ethno-Mystikers und unverkappten Faschisten C²lin Georgescu. Glauben ersetzt Ideologie. Keine Partei Rumäniens hat eine kohärente Ideologie. Geschweige denn eine Doktrin. Die Doktrin ist die Antwort auf die Frage: Was haben wir vor? Was wollen wir umsetzen? Das „Wir“ ist der Kern jeder wirklichen Partei. Je glaubhafter das Wir ist, umso sympathischer, wählbarer wird eine Partei. Das setzt natürlich tolerierte Diversität voraus.
Deswegen sind Dialog, ergebnisoffene Debatten, Verhandlung und Kompromisse im politischen Leben so wichtig. Dialog setzt gegenseitiges Zuhören, eigenes Überlegen, Beratung untereinander – also auch Zeit und Dialogkultur - voraus, die mit der Erziehung beginnen und mit politischer Bildung gekrönt werden. Seit 1990 hat im öffentlichen Dialog Rumäniens immer der/die das „letzte Wort“, der/die am lautesten brüllt….
Politik machen immer und noch die Bürger, die Bewohner der „Burg“. Und sie wollen sie demo-kratisch, volks-herrschaftlich ausüben. Kulissen-„Politik“ und Kunkelei sind bloß Zeichen unmündigen Denkens und Mißtrauens der vom „Volk“ Erwählten in ihre Wählerschaft – ein unumdeutbares Zeichen, dass Unwürdige gewählt wurden. Mündige Bürger müssen die Möglichkeit haben, anderen mündigen Bürgern ihr Vertrauen per Urnengang zuzusprechen – deswegen sind Listen-„Wahlen“ ein Blödsinn. Sie sind das Vorsetzen politischer Vormund-Gerichte, die unmöglich schmecken können, weil nicht alle – und, fallweise, keine der - Zutaten dem Geschmack/Streben des „Kunden“ entsprechen.
Auch nach Wahlen müssen wir, die Bürger, den Verstand und das Rückgrat haben, solidarisch und unseren mündig erarbeiteten Überzeugungen treu zu bleiben. Weder der Staat, noch ein „Er-Wählter“ darf und kann uns von dieser Solidarität abbringen. Sie garantiert die Freiheit künftiger Entscheidungen.