Randbemerkungen: Überlebt hat sie ja, die Demokratie

Die europäische Demokratie hat die Wahlen fürs EU-Parlament (EP) überlebt. Am geographischen Ort, von dem aus wir das politische Geschehen unseres Bezugsraums betrachten, und wo wir zeitgleich einen formalen wie faktischen Ruck auf Rot erlebt haben, Konsolidierung des Rechtsrucks inklusive, könnte man meinen, dass die bedrohliche Rechtsbeugung Westeuropas gedämpfter durch die Wahlen legitimiert wurde, als befürchtet. Dank Osteuropa. Die Schimpftiraden des George Simion auf seine Kandidaten bestätigen den limitierten Erfolg, gemessen an den AUR-Erwartungen. Wohl auch der europäischen Rechten. Die Erfolge der Moderaten und Linken Osteuropas tragen wesentlich zum Ausgleich bei im EP. Zur Beibehaltung eines Status quo, der allerdings verhandlungs- und kompromissbedürftiger, weil insgesamt fragiler, wurde.

In der Slowakei Robert Ficos siegten die oppositionellen Liberalen. In Polen setzte sich der Parteienbund um Donald Tusk durch und hat die Position des Regierungschefs konsolidiert. Sogar die russland- und chinaschleckende FIDESZ des Un-Europäers Victor Orbán (für den die EU finanzielle Melkkuh und Bremse für Russlandsanktionen ist) fuhr ihr schlechtestes Wahlergebnis seit 20 Jahren ein, während die Tisza-Partei des Péter Magyar großen Anklang signalisiert bekam. In Ungarn das Ungewöhnliche für eine Oppositionspartei, beim Zukunftsdruck und den katastrophischen Prophezeiungen Orbáns, wenn es um die Wahl anderer als seiner Partei geht… In diesem Kontext soll (halbherzig) auch die überwältigende Zustimmung für PSD-PNL, die naturwidrige rumänische Allianz, positiv Erwähnung finden. 

Osteuropa hat grundsätzlich vernünftiger gewählt als Westeuropa. Das politische Zentrum des EU-Parlaments bleibt, trotz westeuropäischer Entgleisungen nach rechts, solide.
Der Vormarsch der Antieuropäer, Populisten und Souveränisten aus Frankreich, Deutschland, dem peinlich prorussischen offiziellen Österreich, aus Belgien und Spanien weckt trotzdem Besorgnis. Wird sicher nicht ohne Folgen bleiben. Eine sieht man schon: die putinfreundlichen Souveränisten Salvinis haben zwar massiv verloren, aber Giorgia Meloni, die moderatere Schützin aus demselben Winkel, zeigt sich neuerdings gleichauf mit Ursula von der Leyen. Die massiven Sitzverluste von Renew Europe (-22) und der Grünen (-15) haben, trotz Osteuropa, die moderate Mitte im EP geschwächt.

Bis auf Weiteres ist die Unverträglichkeit von ECR (Konservative und Reformisten Europas, 73 Sitze) und ID (Identität und Demokratie, 58 Sitze) sowie der aus der ID gefeuerten AfD (15 Sitze) der beste Demokratie-Schutzwall für Europa, solange die ID offen putin- und chinaschmusend agiert. Vereinigt, stellten sie die zweitgrößte Fraktion des EU-Parlaments dar… Fakt bleibt auf alle Fälle, dass die geschwächte Mehrheit aus PE-S&D-Renew in wichtigen Entscheidungen mit der ECR zusammenarbeiten muss. Ohne die ECR wird Ursula von der Leyen nicht nochmal ihren Wunschposten bekommen, ganz egal, ob der zu ihr passt oder nicht. Viel kommt´s drauf an, wie die moderate(re)n aus ID und die extreme(re)n aus ECR in bestimmten Situationen reagieren werden. Will sagen: die Reaktionen des EP werden nun kaum noch kalkulierbar, unvoraussehbarer. Zentrifugale Tendenzen werden häufiger überraschen.

Die Wahlen fürs EP waren immer Popularitäts- und Erfolgsteste der Regierungen der Mitgliedsländer. Macron und das Regierungstrio Deutschlands sind politische Sitzenbleiber geworden. Europas politischer Motor stottert. Auch Belgiens Premier will, ähnlich Macron, auf den Erfolg der Vlaams Belang mit Neuwahlen reagieren. 

Antiökologische, antimigrationistische und fortschrittsfeindliche Zeiten erwarten uns. „Grüner Pakt“? Passé! Doch nicht einmal die Extremen können den Klimawandel wegdenken. Müssen drüber nachdenken. Können/Wollen sie es?

Kann Europas Mitte sich neu aufstellen?