Wort zum Sonntag: Reinheit und Vergebung

Wenn wir uns auf die vorgesehene Perikope Epheser 5,8b-14 beschränken, ist es, als ob wir durch das Schlüsselloch in einen Raum hineingucken. Man lese deshalb das ganze 5. Kapitel, und da man schon beim Lesen ist, das 6. noch dazu, dann erschließt sich einem das Leben im Licht in seiner ganzen Fülle. Wir können verstehen, wie die Ratschläge einander bedingen und ergänzen, wie sie zusammen das neue Sein ergeben, welches Christus uns durch Liebe schenkt. Dass die Leute immer noch glauben, die Gebote wollten uns etwas wegnehmen von den Freuden des Lebens, zeigt, wie wenige es ernsthaft versucht haben, sie zu erfüllen. Die Welt der eingehaltenen Gebote ist nämlich eine andere als jene der übertretenen Gebote. 

Wie das Licht von der Finsternis, so soll sich der Lebenswandel der Christen von ihrer vorigen Existenz als Heiden abheben. Aufgerufen werden wir, Gott nachzufolgen und nachzuahmen in den Werken der Liebe; alles sorgfältig zu prüfen und keine Gemeinschaft mehr zu haben mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis. Welches diese sind, muss der Einzelne selber herausfinden, auf jeden Fall gehören dazu alle Taten und Gedanken, derer wir uns schämen müssten, wenn sie bekannt würden. Darum wird auf die Beichte ein so großes Siegel der Verschwiegenheit gelegt. Aber besser als es beichten ist allemal, das Werk gar nicht zu tun. Ein gesäuberter, gewaschener Anzug ist nicht mehr derselbe, der er in seiner Reinheit war.
Weil die Liebe des Gesetzes Erfüllung ist, wird, wer meint, in der Liebe zu stehen, hinter sich lauter erfüllte Gebote haben, oder er täuscht sich selbst und andere. Liebe und Licht setzen Beständigkeit und Intensität voraus; sie fordern den ganzen Menschen und seine ganze Zeit. So wie Zwielicht und Blinklicht kein wahres Licht sind, so sind auch Verlangen nach Liebe oder ein Pendeln zwischen Verfehlung und Reue keine wahre Liebe. Ein Gott wohlgefälliger Lebenswandel wird nicht schon durch die Erkenntnis der Wahrheit erreicht, auch nicht durch gelegentlich korrektes Verhalten, sondern dadurch, dass man wie Luther ausrufen muss: Hier stehe ich! Ich kann nicht anders! Gnade und Bekehrung sind ganzheitlich und grundlegend.

Die Verführer flüstern den Getauften von klein auf ein, es sei nicht möglich, nicht zu sündigen und so kommt es, dass dort, wo Tugend und Heiligkeit tonangebend sein sollten, Laster und Verderbtheit herrschen. Es gibt ja die Vergebung und Gott ist barmherzig, beschwichtigen die Theologen; gerade so, als sei die Gnade eine Tafel Speck im Turm der Kirchenburg, von der man sich bei Bedarf ein Stück abschneiden kann. Gott ist dabei der Küster mit dem Schlüssel. Selbst wenn Jesus uns empfiehlt, dem Bruder siebzig mal siebenmal täglich zu verzeihen,  ist das noch keine Aufforderung, so oft zu sündigen. Nur ein satter, fühlloser Brocken wird das so auffassen. Was dem Bruder gegenüber unverschämt ist, dürfen wir auch Gott nicht zumuten.

Das Neue des Evangeliums besteht darin, dass wir in Jesus Christus dank der Begabung mit dem heiligen Geist und den zahlreichen Gnadenmitteln in den Stand gesetzt werden, nicht mehr sündigen zu müssen. Die Rechtfertigung aus Glauben ist im Leben eines Menschen ein punktuelles Ereignis. Wir werden dadurch nicht auf ein schmales Ufer gestellt, von dem wir ab und zu wieder in das alte Sündenleben fallen, sondern sie entlässt uns in das weite Land des Friedens mit Gott, das wir als neue Menschen betreten, ein für allemal gewaschen und gerecht gemacht durch das Opferblut Jesu. Wer als Geretteter und Versöhnter bei Christus bleibt, auf den hat der Böse keinen Zugriff mehr, der wohnt in einer festen Burg. Amen.