„Rumänien steht vor der schwierigen Aufgabe, politisch und wirtschaftlich verloren gegangenes Vertrauen wiederzugewinnen“

ADZ-Gespräch mit Andreas von Mettenheim, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Bukarest

Herr Botschafter, die Bundesregierung verweist seit der Staatskrise vom Sommer darauf, dass Rumänien das Vertrauen der europäischen Partner wiedergewinnen muss. Von den üblichen Zusicherungen mal abgesehen, sehen Sie konkrete Zeichen dafür, dass die Behörden in Bukarest tatsächlich darum bemüht sind?

Es freut mich feststellen zu können, dass die politischen Empfehlungen der sogenannten Barroso-Liste in vielen Bereichen umgesetzt wurden. Die noch ausstehende Ernennung eines parteiübergreifend anerkannten Ombudsmannes wird erst nach den Wahlen möglich sein. Es muss dann auch sichergestellt werden, dass Regierung und Parlament in Zukunft keine Mitglieder mehr angehören, gegen die Entscheidungen wegen Inkompatibilität, Korruption oder Interessenkonflikts vorliegen.

Eine zügige Neubesetzung der Leitungspositionen der Generalstaatsanwaltschaft und der DNA ist von herausragender Bedeutung für die Konsolidierung der Rechtsstaatlichkeit in Rumänien. Wir erwarten, dass das Auswahlverfahren auf transparente Art und Weise weitergeführt wird und sich nach gewissenhafter Prüfung der Kandidaturen alle an dem Verfahren beteiligten Institutionen auf gut geeignete Kandidaten verständigen können. Entscheidend wird sein, den europäischen Partnern zu beweisen, dass der Reformprozess nachhaltig und unumkehrbar ist, vor den Wahlen und nach den Wahlen.


Sie haben jüngst in der rumänischen Presse vor einer Einschränkung der Tätigkeit der Nationalen Integritätsbehörde ANI gewarnt. Sie sagten, ein solcher Vorstoß werde nicht nur Konsequenzen im Rahmen des Kooperations- und Kontrollmechanismus der EU haben, sondern sich auch auf konnexe politische Aktivitäten auswirken. Würden Sie bitte erläutern.

Ich habe in dem Statement, auf das Sie sich beziehen, klar gesagt, dass mir nicht bekannt ist, ob und welche Änderungen am ANI-Gesetz vorgenommen werden sollen. Das wird man sich erst einmal genau ansehen müssen. Einer Stärkung der Rolle der ANI sollte selbstverständlich nichts im Wege stehen. Wie wir alle wissen, hat die ANI als Institution eine herausragende Bedeutung im Rahmen der zwischen dem rumänischen Staat und der Europäischen Union vereinbarten Strategie zur Korruptionsbekämpfung. Eine Einschränkung ihrer Befugnisse wäre deshalb das völlig falsche Signal nach Brüssel. Die EU-Kommission wird zum Jahreswechsel einen Sonderbericht zum Kooperations- und Kontrollmechanismus vorlegen. Realistischerweise muss man davon ausgehen, dass nur ein zufriedenstellender Bericht den Weg zur Schengen-Vollanwendung für Rumänien frei machen kann. Bei aller Anerkennung der großen Anstrengungen, die Rumänien im Rahmen der Sicherung seiner Außengrenzen unternommen hat, muss darauf hingewiesen werden, dass diese Entscheidung eine politische bleibt, die von allen Mitgliedsstaaten gemeinsam getroffen werden muss.


Obwohl das Thema des Schengen-Beitritts Rumäniens beim jüngsten Treffen der EU-Innenminister vom Tisch war, gab sich Außenminister Corlăţean danach gegenüber der Auslandspresse durchaus optimistisch bezüglich 2013. Ist dieser Optimismus aus Sicht der Bundesregierung begründet?

Warum eigentlich nicht? Wir wollen ja dahin. Die rumänische Seite hat es doch selbst in der Hand. Dafür zu sorgen, dass der bereits erwähnte Sonderbericht der EU-Kommission zufriedenstellend ausfällt, ist kein Ding der Unmöglichkeit.


Deutschland ist Rumäniens wichtigster Handelspartner. Inwiefern hat sich die politische Instabilität des Landes auf die Pläne der deutschen Investoren ausgewirkt, wie sehr ist ihr Vertrauen in den Standort erschüttert worden?

Rumänien ist und bleibt für viele deutsche Unternehmen ein interessanter Standort. In der Kfz-Zulieferindustrie hat es auch im vergangenen Jahr umfangreiche Investitionen gegeben. Ich nenne hier stellvertretend für andere Bosch, Continental und Kirchhoff Automotive mit einem neuen Werk in Craiova. Diese Branche ist von politischen Entwicklungen relativ unabhängig; sie reagiert mehr auf Veränderungen der Nachfrage in Europa und weltweit. Aber natürlich hat die innenpolitische Krise des Sommers für Unruhe gesorgt. Sie dürfen den psychologischen Effekt nicht unterschätzen: Der Ruf Rumäniens als verlässlicher Partner hat in den Unternehmenszentralen daheim gelitten. Außerdem sind wichtige Reformbaustellen wie die Reform des Justizsystems, die Bekämpfung der Korruption und der Ausbau der Infrastruktur in den Monaten der innenpolitischen Auseinandersetzung nicht wirklich vorangekommen. Die Defizite betreffen vor allem diejenigen, die mit der öffentlichen Hand zu tun haben. Oft höre ich von deutschen Unternehmern in Rumänien: „Mit dem Staat kann man keine Geschäfte machen!“. Jetzt steht Rumänien vor der schwierigen Aufgabe, politisch und wirtschaftlich verloren gegangenes Vertrauen wiederzugewinnen. Jüngere Investitionsentscheidungen deutscher Unternehmen sind – so gesehen – auch ein Vertrauensvorschuss, der nicht enttäuscht werden will. Wir hoffen deshalb sehr, dass eine neue Regierung diese Aufgabe im Bewusstsein der herausragenden Bedeutung von Auslandsinvestitionen – beileibe nicht nur der deutschen – beherzt in Angriff nimmt.


Wegen „schwerer Unregelmäßigkeiten“, besonders bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, hat Brüssel Rumänien den Geldhahn bei Subventionen für Transport, regionale Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit zugedreht. Inwiefern hat das Land noch Chancen, im Rahmen des EU-Finanzrahmens 2014-2020 ungekappte Strukturfonds zugesprochen zu bekommen?

Dass es Rumänien nicht gelungen ist, die ihm zur Verfügung stehenden EU-Fördermittel in der laufenden Förderperiode abzurufen, und dass es immer noch tiefgreifende Defizite bei der Verwaltung der Strukturfondsmittel gibt, ist sehr bedauerlich. Das nun eingeleitete Suspendierungsverfahren trifft das Land zusätzlich hart und wird sicherlich negative Auswirkungen auf die weitere Wirtschafts- und Haushaltslage haben.Auf dem europäischen Parkett treten die Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen 2014-2020 gerade in die heiße Phase und sollen bis Jahresende abgeschlossen werden. Sie müssen sich diese multilateralen Verhandlungen als einen gruppendynamischen Prozess vorstellen. Natürlich will Rumänien wie andere Mitgliedsstaaten auch für die nächsten Jahre, in denen es sich viel vorgenommen hat, weitgehende Sicherheit haben, dass die Ausgleichsmechanismen in der EU funktionieren und Rumänien – völlig zu Recht – seinen Anspruch auf Solidarität der wohlhabenderen Mitgliedstaaten aufrechterhalten kann.

Seinen Status als Nettoempfänger kann Rumänien insbesondere dann halten und ausbauen, wenn es seine Aufnahmefähigkeit von EU-Mitteln drastisch erhöht, weniger, wenn sich der EU-Haushalt aufbläht, zu dem – das dürfen wir nicht vergessen – Rumänien wie jedes Mitgliedsland seinen dann wachsenden Beitrag leisten muss.
Deutschland geht in die Verhandlungen unter dem Motto „better spending, not more spending“. Das bedeutet einerseits: Überall in Europa werden erhebliche Anstrengungen zur Haushaltskonsolidierung unternommen. Das muss sich auch in den EU-Finanzen widerspiegeln. Unser Ziel ist eine Ausgabenbegrenzung auf 1,0 Prozent des EU-Bruttonationaleinkommens. Das ist aus unserer Sicht absolut ausreichend. Wer neue Herausforderungen mit der Forderung nach einem größeren Budget beantwortet, wird das Budget niemals modernisieren, sondern einfach nur mehr ausgeben. Der Gegensatz „Better Spending“ und „Solidarität“ ist künstlich. Für uns bedeutet „Better Spending“ nichts anderes als nachhaltige Solidarität.

„Better spending“ bedeutet auch: Die zur Verfügung stehenden Mittel sollen gezielter  ausgegeben werden, vor allem für Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung. Wir wollen den EU-Haushalt zu einem veritablen Wachstumsprogramm für die EU umbauen. Bisher wird das Geld zu oft für Projekte ausgegeben, die man „nice to have“ nennen kann, die aber nicht wirklich wachstums- und beschäftigungsfördernd sind.


Politikbeobachter sind zunehmend der Meinung, dass die spärliche Abrufungsrate der EU-Fonds hauptsächlich auf das mangelnde persönliche Interesse der rumänischen Politiker zurückzuführen ist, sie würden sich nicht darum kümmern, weil in diesem Bereich zu viele Kontrollen anstehen und sie nicht genug absahnen können, so der Analysten-Tenor. Was halten Sie von dieser Meinung?

Für die schwache Abrufungsrate der EU-Fonds in Rumänien gibt es viele Gründe. Korruption und die Vermischung privater und öffentlicher Interessen spielen offensichtlich eine Rolle und haben ja auch zur Entscheidung der EU-Kommission geführt, für einige der wichtigsten Förderprogramme das Suspendierungsverfahren einzuleiten. Umso wichtiger ist es, dass die Regierung nun endlich entschiedene Maßnahmen trifft, um das – berechtigte – Misstrauen der EU-Kommission auszuräumen und zu einer professionellen Verwaltung der EU-Fonds zu gelangen. Keiner behauptet, dass das einfach ist. Dazu gehört auch, die nächste Finanzierungsperiode strategisch vorzubereiten und Prioritäten zu definieren, die sich an den dringendsten Bedürfnissen der rumänischen Wirtschaft orientieren. Die EU-Fördermittel sind weiterhin das beste Wachstums- und Modernisierungsprogramm, das Rumänien zur Verfügung steht. Ihre Abrufung sollte die Priorität einer jeden Regierung sein.


In wenigen Wochen stehen hierzulande Parlamentswahlen an. Welche Erwartungen hat Berlin an die neue Regierung in Bukarest?

Wir erwarten von einer neuen rumänischen Regierung das, was wir von jeder Regierung in einem europäischen Mitgliedsstaat erwarten, nämlich Treue zu den Prinzipien und Werten der Europäischen Union und eine proaktive und engagierte Fortsetzung der deutsch-rumänischen Zusammenarbeit in Politik, Wirtschaft und Kultur. Wir sind ein starker Partner Rumäniens und wollen mit unseren Ideen, aber auch unseren Sorgen ernst genommen werden. Ganz besonders wichtig aber ist, dass mit den Wahlen am 9. Dezember die ausschließliche Beschäftigung mit der innenpolitischen Auseinandersetzung ein Ende findet und sich dieser Staat geplant und energisch den Herausforderungen der Gegenwart und den drängenden Zukunftsfragen widmen kann. Mit Hilfe einer verbesserten Abrufungsstrategie von EU-Mitteln, aber auch aus eigener Kraft, kann dieses Land in vielen Bereichen neues Wachstum generieren und dringende soziale Probleme, beispielsweise im Gesundheitswesen, lösen.


US-Botschafter Gitenstein erklärte sich jüngst besorgt über die starke Polarisierung der rumänischen Gesellschaft, er sei angesichts der Wahlen „ehrlich in Sorge“ um den sozialen Zusammenhalt. Teilen Sie diese Besorgnis des scheidenden US-Diplomaten?

Ich weiß nicht genau, auf welche Aussage Sie sich spezifisch beziehen. Ich habe über die letzten drei Jahre mit meinem amerikanischen Kollegen sehr gut zusammengearbeitet. Wir sind auch, was die Analyse angeht, meist einer Meinung. Vor der Polarisierung im Wahlkampf habe ich keine Angst. Das gehört zur Demokratie dazu. Wichtiger ist, dass nach den Wahlen eine solide Mehrheit in der Lage ist, zu einem ausbalancierten Verhältnis aller Verfassungsinstitutionen beizutragen. Die Frage des sozialen Zusammenhalts stellt sich in vielen unserer Länder.

Führende Koalitionspolitiker schlagen seit Monaten antieuropäische Töne an, es gab wiederholt scharfe Angriffe auf die Bundeskanzlerin, nachdem Berlin Rechtsstaatlichkeit in Rumänien anmahnte. Wie würden Sie die bilateralen Beziehungen derzeit beschreiben?

Man sollte das nicht überbetonen und nicht zu empfindlich sein. Solange hinter den von Ihnen genannten Äußerungen keine gewandelte Grundeinstellung steckt, kann man das aushalten. Europa ist und bleibt für uns alle doch immer noch das Beste, was uns passieren konnte. Schauen wir auch auf die Substanz unserer bilateralen Beziehungen. Sie sind doch gut. Das haben zuletzt die guten Gespräche, die Außenminister Corlăţean in Berlin geführt hat, bewiesen. Wer jetzt unser Verhältnis herunterredet, ist ein Prophet im Sinne der „Self-fulfilling Prophecy“.


Bundestagspräsident Lammert sprach sich jüngst eingedenk der „Erfahrungen mit Rumänien und Bulgarien“ für einen vorläufigen Erweiterungsstopp aus, erst müsse die bestehende Gemeinschaft vertieft werden. Sehen Sie in Rumänien derzeit den Willen zu einer vertieften ökonomischen und politischen Integration? Und kann das Land sie noch schaffen oder hat es den Anschluss bereits verpasst?

Ich bin entschieden dagegen, dass sich eine Stimmung breit macht, die den Beitritt Bulgariens und Rumäniens nachträglich – seien wir doch einmal offen – mit einem Fragezeichen versieht. Der Wille zu vertiefter Integration ist in Rumänien vielleicht sogar mehr als in anderen Mitgliedsstaaten da, das sehe ich in meiner Zusammenarbeit mit meinen rumänischen Kollegen nahezu täglich. Außerdem: Rumänien hat sich freiwillig auch nach seinem Beitritt weitergehenden Integrationsschritten mutig angeschlossen. Es hat den Euro-Plus-Pakt und den Fiskalpakt gezeichnet und steht auch der sogenannten Bankenunion positiv gegenüber. Wenn man nach fehlendem Willen zur Integration fahndet, muss man ganz woanders suchen. Natürlich kann Rumänien das auch schaffen, vorausgesetzt es unternimmt alle Anstrengungen, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Marktwirtschaft und soziale Gerechtigkeit weiterzuentwickeln.

Das Gespräch führte Lilo Millitz-Stoica.