Siebenbürgen zum Anklicken

Ein Online-Magazin in persönlicher Lektüre

www.reporterreisen.com führt den Leser nach „7bürgen“.

„Wir waren zu elft, hatten zwei Busse und zehn Tage Zeit. So machten wir uns auf den Weg in ein unbekanntes Land: Siebenbürgen. Dort trafen wir auf Dracula...“ Schon wieder Dracula im ersten Absatz, wenn es um Siebenbürgen geht! So dachte ich bei der Lektüre des Editorials von „Zehn Tage 7bürgen“ unter www.reporterreisen.com.

Die Autoren des Online-Magazins sind der siebte Jahrgang der Zeitenspiegel-Reportageschule Günter Dahl Reutlingen. Elf waren im Frühling auf Dokumentationsreise in siebenbürgischen Dörfern und in Hermannstadt/Sibiu, die zwölfte Kollegin recherchierte in Deutschland. Sie alle entdeckten „Geschichten von Menschen, die weggingen. Von welchen, die blieben. Und anderen, die zurückkehrten.“

Mit dem etwas bitteren Beigeschmack von „Dracula im ersten Absatz“ machte ich mich zuallererst auf die Suche nach dem Vampir im Online-Magazin. „Fürstchen der Finsternis“ heißt die Geschichte in Tagebuchform. „Dracula lebt, hat aber Schnupfen. Zwischen Gummimasken, schlechten Filmen und frechen Touristen kämpft der Fürst der Finsternis sein letztes Gefecht“, schreibt der Autor und macht sich auf den Weg nach Bran mit Bram Stokers Roman „Dracula“ in der Tasche.

Ihm gelingt ein hochlustiger Artikel, in dem es um Vollmond, Untote, die Mehrzahl „Draculi“ und ein wenig Hollywood geht. Der heutige Blutsauger zeigt sich weltoffen, modern und tolerant: „Immer mehr Menschen glauben, man könne jeden Vampir mit einem Kreuz in die Flucht schlagen. (…) Ich meine, da geht jemand durch Istanbul und will einen türkischen Vampir stoppen. Da lacht der doch nur und sagt: Was soll das, ich bin Moslem.“

Eine ganz andere Stimmung herrscht in der Reportage „Die vergiftete Stadt“. Wie sieht es heute um Kleinkopisch/Copşa Mică, dem „verseuchtesten Ort Rumäniens“, aus? Kümmerlich, noch immer! Mit Ausdruckskraft und Sprachgefühl schreiben die Autorinnen: „Wie eine Fotomontage erhebt sich neben der Hauptstraße eine Landschaft aus Schornsteinen und Häusergerippen, mit schwarzer Schlacke überzogen wie mit Schokoladenglasur. (...) Wäre nicht die große Tafel in der Mitte des Dorfes, die die Luftverschmutzung misst, man könnte die Vergangenheit fast vergessen. (…) Wenn nur nicht der Friedhof wäre.“

Damit wird das Bild sehr düster: auf der einen Seite Kinder, die nur sieben Tage oder vier Monate oder zwei Jahre überleben, auf der anderen Seite die strahlende Arztpraxis oder die Bemühungen der Stadtverwaltung, Investoren zu finden. Selbst die Zukunft ist in Kleinkopisch mit schwarzer Schlacke überzogen.

Mehr Hoffnung schimmert in der Reportage „Der Bär im Hinterhof“. Für Bären, die in Käfigen leben, die „als Haustier schick“ oder als „Maskottchen“ lustig sind und zur Zähmung eventuell ein paar Nadelstiche in die Augen bekommen, gibt es in Siebenbürgen „das größte Bärenasyl Europas“.

Auch „Himmelstürmer von Hermannstadt“ zählt zu den Texten, bei denen man nicht gleichgültig bleibt. Der Vorspann macht mit etwas überspitzten Verhältnissen aufmerksam: „In Siebenbürgen ticken die Uhren anders: Auf den staubigen Straßen fahren mehr Pferdekutschen als Autos. Die Region steht nicht im Verdacht, ein Hort für Zukunftsvisionen zu sein. Doch ausgerechnet zwei Siebenbürger gingen als Pioniere in die Geschichte der Raumfahrt ein.“

Die zwei Siebenbürger sind Conrad Haas, der „Frühpionier der Raketentechnik“ und Hermann Oberth „der wirkliche Vater der Raumfahrt“. Was allerdings der Stürmer im Titel soll, erfahren wir erst gegen Ende des Textes. „Mehr Fried und kein Krieg“ hatte Haas geschrieben, doch Oberth war anderer Ansicht: „Ich hatte gehofft, eine Raketenwaffe zu finden, die den Schandvertrag von Versailles hätte zerschlagen können“, soll er lange nach 1945 gesagt haben. Technische Hochleistung und politischer Irrtum, im Leben und im Blatt ist Platz für beides.

Zur Aufheiterung gibt es im Magazin unter anderem „Schnapsschüsse“ - ja, Schnaps, es ist kein Tippfehler. „Über die Liebe zu hartem Alkohol – ein Kaleidoskop des Rausches“, verspricht der Vorspann und die vergnügten, leicht beschwipsten Kurztexte übertreffen jede Erwartung. Alles ist da:  technische Infos („rumänische Obstbrände liegen zwischen 50 und 55 Prozent Alkoholgehalt“), ein genauer Zeitplan („Man trinkt vor dem Essen, nach dem Essen und während des Essens.“) und sogar ein „Anti-Schnaps-Moment“ (die Kesselschmied-Zigeunerin, die der Pfingstgemeinde angehört, serviert den staunenden Gästen nur blassen Früchtetee).

Etwas gekünstelt kommt das Interview mit Eginald Schlattner herüber. Hier scheinen die Gattungen Roman, Leben, Interview und Marketing ein wenig ineinander zu fließen. Am Ende kann man sich noch immer fragen, wo die Wahrheit steckt, und noch immer keine Antwort darauf finden – ganz wie in der Literatur. Wir erfahren von der Interviewerin: „Eginald Schlattner ist ein anerkannter Schriftsteller, ein Pfarrer ohne Gemeinde und ein Verräter.“

Bald erfahren wir zusätzlich: „ein Verräter – so sehen ihn einige frühere Kollegen.“ Der siebenbürgische Autor erklärt „Ich bin Pfarrer, nichts anderes“, was kein Job sei, sondern eine Berufung. Trotzdem: „Ich leide darunter, aber ich tue mich sehr schwer mit dem Verzeihen.“ Der Roman „Rote Handschuhe“ soll laut Schlattner ein Versöhnungsversuch gewesen sein, doch es behauptete sich eher der Roman, weniger die Versöhnung. „Jeder will Held sein“, sagt der Schriftsteller zum Schluss, „mir genügt der Anti-Held“ – man fragt sich, ob im Buch oder im Leben.

Noch viel mehr Texte sind im Online-Magazin aus Reutlingen zu lesen: über Peter Maffay, Klaus Johannis oder Florin Cioabă, über Russlanddeportation, Exodus und Rückwanderung, über Tourismus, Landwirtschaft und Business. Zu den Pluspunkten des Magazins gehören die gefeilte und kräftige Sprache, die frische, direkte Perspektive der Autoren, die Spürnase der jungen Journalisten für allerlei versteckte Themen neben den knackigen Siebenbürgen-Hits.

Fehlerchen können lustig sein, wie z.B. die Formulierung „ein ehemaliger Siebenbürger Sachse“ oder die Übersetzung der „Hauptstadt der guten Manieren“ mit dem rumänischen „Capitalul de bune Maniere“. Technisch ist die Webseite hervorragend realisiert, zu den Texten kommen Videos, Fotostrecken und Audioslideshows, eine Themenkarte, Reisetipps und Randnotizen hinzu. Kannten Sie den siebenbürgischen Rapper Soxesch Kokesch? Wussten Sie, wie man auf Romanes sagt „Nein danke, ich möchte keinen Schnaps mehr trinken“? Für die Antworten klicken Sie sich in Siebenbürgen ein!