Siebenbürger Sachsen als Vorbild für ein friedliches Zusammenleben

74. Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl mit drei Gedenktagen und vielen jungen Leuten

Nach der Eröffnung des Heimattages in Dinkelsbühl, von links: Präsidialberater Sergiu Nistor, die Generalkonsulin von Rumänien in München, Miheia-Mălina Diculescu-Blebea, Bundesvorsitzender Rainer Lehni, Rumäniens Botschafterin in Berlin, Adriana Stănescu, DFDR-Parlamentarier Ovidiu Ganț, BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius, der Generalkonsul von Rumänien in Stuttgart, Dr. Vlad Vasiliu, und der stv. Bundesvorsitzende Michael Konnerth | Foto: Peter Baumgartl-Fabritius

Die Tanzgruppe Mühlbach/Sebeș begeisterte mit ihrer schwungvollen Darbietung beim Tanz vor der Schranne. | Foto: Laura Micu

Rund 20.000 Besucher feierten vom 17. bis 20. Mai in der „schönsten Altstadt Deutschlands“ (Focus) den 74. Heimattag der Siebenbürger Sachsen, der sich als Fest der Begegnung, des Mitmachens und des Nachdenkens gestaltete. Unter dem Motto „75 Jahre Gemeinschaft – Mach mit!“ beging der Verband der Siebenbürger Sachsen sein 75-jähriges Jubiläum, 800 Jahre seit Ausstellung des „Goldenen Freibriefs“ (Andreanum) durch den ungarischen König Andreas II. und 80 Jahre seit der Flucht und Evakuierung der Nordsiebenbürger Sachsen. Die drei Gedenktage waren Ausgangspunkt und Anlass für ein reiches kulturelles Programm, stärkten die Identität und regten zum Nachdenken an über die Wesensart der Siebenbürger Sachsen sowie ihre heutige Verortung. Aus den vielen Reden ging eindeutig hervor: Mit Fleiß und Organisationstalent setzen sie sich für das Gemeinwohl und die europäische Verständigung ein, egal in welchem Land sie heute zu Hause sind. Dafür genießen sie ein hohes Ansehen und sind Hoffnungsträger eines friedlichen Zusammenlebens.

Rumänien zeigte eine starke Präsenz nicht nur mit Vertretern des diplomatischen Corps, des Staatspräsidenten und der Regierung, sondern auch mit Forumsvertretern und der Tanzgruppe Mühlbach, die sowohl an dem Festumzug unter den 2800 Trachtenträgerinnen und Trachtenträgern als auch an der Tanzveranstaltung „Aus Tradition und Liebe zum Tanz“ mitmachte. Diesen und viele andere Programmpunkte steuerte die Siebenbürgisch-Sächsische Jugend (SJD) bei, die zusammen mit der Landesgruppe Nordrhein-Westfalen als Mitausrichter maßgeblich zum Erfolg des Heimattages beitrug.

Die Rede zum Festakt „75 Jahre Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland“ am 18. Mai in der St. Paulskirche hielt Dr. Paul Jürgen Porr, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR). Er beleuchtete die wichtigsten Entwicklungen in der Geschichte des Verbandes und ging auch auf dessen Beziehungen zum Siebenbürgenforum ein, die – nach anfänglicher Zurückhaltung – heute hervorragend sind. Mit Blick auf das Motto des Heimattages gab Porr zu bedenken: „In einer von Individualismus und Egoismus geprägten Welt ist dieser Gemeinschaftssinn in Gefahr, vor allem weil es kaum noch kompakte siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaften gibt“. Umso wichtiger sei es deshalb, diesen Gemeinschaftssinn nicht nur auf Ebene der weltweiten Föderation der Siebenbürger Sachsen, sondern vor allem an der Basis – hüben wie drüben – zu pflegen.

Den Pfingstgruß seitens der Heimatkirche, der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, übermittelte Bischofsvikar Dr. Daniel Zikeli, Dechant des Kronstädter Kirchenbezirks und Bukarester Stadtpfarrer. 

Die Gründung des Verbandes am 26. Juni 1949 in München sei zu einer Erfolgsgeschichte geworden, freute sich Rainer Lehni, Bundesvorsitzender des Verbands der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V., in seiner Festrede am Pfingstsonntag: „Trotz Flucht, Aussiedlung und Heimatverlust ist es uns gelungen, in der neuen Heimat als Siebenbürger Sachsen bestehen zu bleiben und unsere Werte an unsere nachfolgenden Generationen weiterzureichen.“ Lehni kritisierte die Bundesregierung, die fast alle Siebenbürger Sachsen von einer Entschädigung im Härtefallfonds ausgeschlossen habe, und forderte mehr „Verständnis und Empathie“ für die Anliegen der Aussiedler sowie die Beseitigung der Rentenungerechtigkeit.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann dankte in seiner Festrede den Siebenbürger Sachsen für ihren außerordentlichen Beitrag zum Aufbau und zur Fortentwicklung Bayerns. „Der Wille, mitzugestalten und anzupacken sowie das vielfältige ehrenamtliche Engagement machen die Siebenbürger Sachsen zu einem großen Gewinn für unsere Gesellschaft“, betonte Herrmann. Die Siebenbürger Sachsen lebten „auf vorbildliche Weise vor, wie die Bewahrung von lebendiger Kultur und Tradition funktioniert“, ihre reiche Kultur sei „ein wertvoller Bestandteil der gesamten deutschen Kultur“. „Durch Ihre Verbundenheit mit der alten und der neuen Heimat festigen Sie auch die verbindenden Werte dieses gemeinsamen Europas in besonderem Maße“, sagte der Innenmister.

Zum 75-jährigen Jubiläum des Verbandes gratulierte Josef Hovenjürgen MdL, Parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen. Die Siebenbürger Sachsen seien „angekommen in unserer Republik“, sie hätten sich gesellschaftlich und materiell etabliert. Beispielhaft sei, „dass es den Siebenbürger Sachsen gelungen ist, solide Strukturen, auf lokaler und auch auf regionaler Ebene aufzubauen. Selbstbewusst können die Siebenbürger Sachsen behaupten, eine der aktivsten und sichtbarsten Gruppen in der großen Familie der Vertriebenen zu sein“, betonte Hovenjürgen.

Der Dinkelsbühler Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer  lobte die Fähigkeiten der Siebenbürger Sachsen, äußerst differenziert zu denken, respektvoll miteinander umzugehen und andere Meinungen zu akzeptieren. Sie seien immer auf Verständigung bedacht und damit ein Vorbild für friedliches Zusammenleben in einer aktuell von Kriegen und Konflikten behafteten Welt.

Das Andreanum vor 800 Jahren habe die Grundlage für das Entstehen der Siebenbürger Sachsen als Volk geschaffen, sagte Ovidiu Ganț in seiner Festansprache. Der Abgeordnete des DFDR würdigte die erfolgreichen Bemühungen zum Erhalt der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft durch den vor 75 Jahren in Deutschland gegründeten Verband. Ovidiu Ganț wurde für die „nachhaltige Unterstützung der Anliegen der Siebenbürger Sachsen, insbesondere im Zuge seiner 20-jährigen erfolgreichen Tätigkeit im rumänischen Parlament“ mit dem Großen Ehrenwappen des Verbandes der Siebenbürger Sachsen ausgezeichnet. Die Ehrung sei zudem „ein Zeichen der Anerkennung für seinen Einsatz zur Vertiefung der deutsch-rumänischen Beziehungen“, heißt es in der Urkunde. Bundesvorsitzender Rainer Lehni dankte Ovidiu Ganț in seiner Laudatio auch für die parlamentarische Initiative für das rumänische Gesetz 232/2020. Dadurch wurden die Entschädigungsleistungen für ehemals Deportierte und politisch Verfolgte im kommunistischen Rumänien auch auf deren Kinder ausgeweitet, unabhängig von ihrem Wohnsitz.

Dr. Bernd Fabritius, Präsident des Bundes der Vertriebenen und Ehrenvorsitzender des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, betonte, die Siebenbürger Sachsen hätten das Talent, sich so in Gemeinschaft zu organisieren, „dass wir auch für kommende Generationen eine siebenbürgisch-sächsische Zukunft haben, und das schon seit vielen Jahrhunderten!“

Präsidialberater Sergiu Nistor übermittelte ein letztes Mal Grüße von Rumäniens Staatspräsident Klaus Johannis, dessen zweite Amtszeit in diesem Jahr zu Ende geht. Die Stadt Dinkelsbühl sei jedes Jahr Treffpunkt der Siebenbürger Sachsen und habe sich zu einem „geschichtsträchtigen Ort“ entwickelt, der die deutsch-rumänischen Beziehungen sowie „Europa als Symbol für Demokratie, Würde und Wohlstand“ festige, sagte Nistor. Er bedankte sich für die „Gastfreundschaft und Herzlichkeit“, die er jedes Mal verspürt habe, wenn er am Heimattag teilnehmen durfte. Er sei dankbar für all das, was ihm die siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft geschenkt habe, seit seiner Studienzeit bis hin zu seiner Tätigkeit als Berater des Präsidenten Rumäniens. Den Siebenbürger Sachsen werde er weiterhin durch enge, freundschaftliche Beziehungen verbunden bleiben, versprach Nistor.

Anschließend überreichte Sergiu Nistor den rumänischen Kulturverdienstorden im Rang eines Ritters an den Historiker und Archäologen Dr. Volker Wollmann. Die hohe Auszeichnung, die von Präsident Klaus Johannis verliehen wurde, sei „Ausdruck der Anerkennung des rumänischen Staates für den Beitrag von Dr. Wollmann zur Erforschung unseres industriellen Erbes sowie für die Bekanntmachung der Kultur der deutschen Minderheit in Rumänien“. Ganz besonders habe sich Wollmann um die Erforschung des industriellen Erbes des Bergbaus in Siebenbürgen verdient gemacht. Roșia Montană sei inzwischen in die Welterbeliste der UNESCO als herausragende Kulturlandschaft aufgenommen worden, was auch Dr. Wollmann zu verdanken sei, der die ersten Forschungen in dieser Region nach dem Zweiten Weltkrieg koordiniert habe. Seine Forschungen habe Wollmann auch nach seiner Aussiedlung in die Bundesrepublik Deutschland als Leiter des Siebenbürgischen Museums in Gundelsheim sowie als wissenschaftlicher Beirat der Siebenbürgisch-Sächsischen Stiftung fortgesetzt. Er habe über all die Jahre enge Beziehungen zur rumänischen Forschergemeinschaft gepflegt. Zudem werde ihm der Kulturverdienstorden auch für „sein Engagement für seine Heimat und für das reiche Kulturerbe der deutschen Minderheit in Rumänien“ verliehen. Volker Wollmann wurde beim Heimattag in Dinkelsbühl – ebenso wie der Schriftsteller Hellmut Seiler – auch mit dem Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreis ausgezeichnet.

„Die deutsch-rumänischen Beziehungen sind heute auf ihrem höchsten jemals erreichten Stand gelangt“, sagte die Botschafterin Rumäniens in Berlin, Adriana Stănescu, in ihrem Grußwort. Zu dieser erfreulichen Entwicklung hätten die Siebenbürger Sachsen durch ihre zuverlässige, zupackende Art ebenso beigetragen wie die heute etwa eine Million starke Gemeinschaft der Rumänen in Deutschland.

Auf die „starken Wurzeln“ des Andreanums, ohne die es uns heute so nicht gäbe, ging Thomas Șindilariu, Unterstaatssekretär beim Department für interethnische Beziehungen der Regierung Rumäniens (DRI), in seinem Grußwort ein. Zusammen mit seinem Historiker-Kollegen Dr. Harald Roth führte er in die dem Andreanum gewidmete Wanderausstellung ein, die als Premiere in Dinkelsbühl gezeigt wurde.  Er lud, ebenso wie Martin Bottesch, Vorsitzender des Siebenbürgenforums, zum Großen Sachsentreffen vom 2. bis 4. August 2024 in Hermannstadt ein, das von Forum und Kirche gemeinsam mit den Verbänden aus allen Ländern der Föderation der Siebenbürger Sachsen veranstaltet wird.

Zum niveauvollen Programm des Heimattages gehörten u. a. Ausstellungen, Konzerte, Vorträge, Tanzveranstaltungen, ein siebenbürgisch-sächsisches Theaterstück, die Rede an der Gedenkstätte des Altbundesvorsitzenden Volker Dürr und eine Podiumsdiskussion zum 75-jährigen Verbandsjubiläum.