Studenten zum Hierbleiben ausbilden

Wirtschaftsakademie Bukarest kämpft gegen Braindrain – und wünscht sich deutschsprachige Firmen im Boot

Prof. Nicolae A. Pop, selbst Absolvent der Wirtschaftsakademie, war nach Ausbildungsetappen in Frankfurt am Main und Köln als Dozent dorthin zurückgekehrt. Seine Karriere prägten Gastprofessuren in Bochum und Darmstadt sowie Auslandsaufenthalte in Deutschland, Frankreich und Österreich.

Vor allem Länder mit niedrigerem Lebensstandard leiden darunter, dass ihre akademische Nachwuchselite massiv ins Ausland abwandert. Mehr Chancen, höhere Löhne, eine andere Mentalität, lauten die Gründe. Doch wer ändert dann die Zustände zu Hause? Ganz zu schweigen vom finanziellen Verlust für die Ausbildung. Man mag sich daher fragen: Ist es sinnvoll, der Abwanderung von Hochschulabsolventen mit Austauschprogrammen und Studiengängen in Fremdsprachen Vorschub zu leisten? Aber auch: Kann man im Zeitalter der Globalisierung auf mehrsprachige Ausbildung überhaupt verzichten? Dass ein Studium in einer Fremdsprache nicht Emigrationsförderung bedeuten muss, wie man letzterer als Bildungseinrichtung gezielt entgegensteuern kann, aber auch, wie Unternehmen aus dem deutschen Sprachraum in Rumänien einen Beitrag hierzu leisten könnten, der letztlich auch ihnen zum Vorteil gereicht, erklärt der Dekan der Fakultät für Betriebswirtschaft mit Unterricht in Fremdsprachen an der Bukarester Akademie für Wirtschaftswissenschaften (ASE), Prof. Dr. Nicolae Alexandru Pop, im Gespräch mit Nina May.

Herr Professor Pop, Sie sind selbst ein langjähriger Förderer der Austauschkultur mit dem deutschsprachigen akademischen Raum. Dafür sind Sie im Dezember sogar mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden (siehe ADZ 5.12.2015: „Wir sind eine Schule der Begegnung“). Für die von Ihnen unterstützten Programme an der ASE prägten Sie den Ausdruck der „Begegnungsschule“. Was meinen Sie damit?

Die „Begegnungsschule“ schafft eine Verbindung zwischen der akademischen Gesellschaft und einem linguistischen Raum verschiedener Ethnien und benutzt aus beiden Teilen etwas. Der deutschsprachige Raum – Deutschland, Österreich und die Schweiz – gibt uns einige Anhaltspunkte, wenn wir junge Leute für den Handel ausbilden wollen. Wir finden bei jedem eine Art Referenzlehrbuch, das nehmen wir als Basis für eine Vorlesungsreihe: Der Professor orientiert sich daran, ohne es genau zu reproduzieren. Ausgehend von diesem Material schafft sich die rumänische Seite eine eigene Kasuistik.

Wie entstand diese Begegnungsschule?

Zusammen mit Professor Viorel Lefter, dem ersten Dekan, mit dem ich von Anfang an zusammengearbeitet habe, damals noch als Prodekan über neun Jahre und später als sein Nachfolger, acht Jahre lang, als Dekan: Wir hatten uns vorgenommen, die Jugend gezielt für die rumänische Wirtschaft vorzubereiten. Warum? Die großen Universitäten des Landes, vor allem in Bukarest, produzierten eine sehr hohe Rate an Auswanderern. Das hat zuerst mit dem Studium auf Englisch begonnen: Es gab eine Zeit, wo die Leute nach dem Masterat in Massen emigriert sind. Unser Ziel aber war, sie in Rumänien zu halten! Zum Teil haben wir darin auch Erfolg – hundertprozentig zufrieden bin ich allerdings noch nicht.

Wie haben Sie das Problem angepackt?

Durch Förderung von Internships – aber nicht als unbezahltes Ferienpraktikum, wie sonst üblich, vielleicht in einem Unternehmen, wo der Onkel arbeitet, und dafür gibt es dann eine Teilnahmebestätigung, aber tatsächlich weiß der Praktikant gerade mal die Adresse des Unternehmens... Intern-ship ist etwas anderes: Eine Art Ferienpraktikum, das dem Studenten jedoch Verantwortung abverlangt, denn es wird ja bezahlt, und das ihm seinerseits ermöglicht, z. B. das Studentenheim weiter zu finanzieren. Das geht bei uns so: Im zweiten Studienjahr sucht sich der Student ein Thema für seine Bachelorarbeit. Dann muss er sich auch einen Platz für sein erstes Sommerpraktikum suchen. Die Idee ist, die zukünftige Abschlussarbeit mit dem Praktikumsinhalt zu verknüpfen. Also mit den Leuten, mit denen er dort zusammenarbeitet, in Dialog zu treten und zu fragen: „Was interessiert euch an meinem Thema, z. B. im Bereich Buchhaltung, Marketing, Management oder Finanzen? Durch diese Art der Zusammenarbeit bekommt er auch eine Chance, auf sich aufmerksam zu machen, sich verdient zu machen.

Und wer keinen Platz für ein Internship findet?

Wir geben niemanden auf, der keinen Praktikumsplatz findet – aber zuerst soll er es zumindest versuchen, dafür kämpfen, sich dafür einsetzen! Wer dann keinen Erfolg hat, dem versuchen wir, durch unsere Kontakte zu helfen. Wir haben Beziehungen zu Siemens, Bosch, Carrefour, Lidl, Kaufland.... Ich selbst bin Professor für Marketing – ich kann meinen Ansprechpartner bei Porsche fragen, wo wir heute zahlreiche ehemalige Studenten in der Führungsetage haben. An solche wenden wir uns und fragen: Was würde euch interessieren – eine Studie über die Zufriedenheit deiner Kunden in Bukarest, eine kleine Marktforschung über das Interesse an den Marken, die Porsche hier vertreibt? Denn sie wenden sich mit sowas nicht unbedingt an spezialisierte Unternehmen, wo das sehr teuer ist. Und wenn was Gutes dabei rauskommt, hat der Kandidat einen Pluspunkt. Im dritten Jahr, wenn er dann seine Abschlussarbeit macht – meist werden auch Kräfte aus der Firma eingeladen, ihn darin zu begleiten – stellt man ihn vielleicht nach Abschluss des Studiums ein.

Welche Vorteile hat das Unternehmen davon?

Zum Beispiel, dass unsere Studenten Deutsch sprechen – aber nicht wie ein Philologe, sondern wie ein Fachmann. Bereits im zweiten Semester machen wir keinen Sprachunterricht mehr, sondern Geschäftskorrespondenz und Verhandlungstechnik auf Deutsch. Der Sprachreichtum unserer Absolventen ist unvergleichlich größer. Das ist ein signifikanter Vorteil auf dem Arbeitsmarkt.
Ich erlebe es ja auch an mir: Mein Sohn, der im Gegensatz zu mir vom Kindergarten bis zum Studium im deutschen Bildungswesen großgeworden ist, korrigiert mich zwar zu „der, die, das“ - aber niemals im Wortschatz!
Außerdem macht etwa die Hälfte der Studenten nach dem Bachelor den Master. Dann arbeiten sie aber bereits! Unsere Vorlesungen finden von 18 bis 21 Uhr statt, sodass dies problemlos vereinbar ist. Das Masterstudium dauert zwei Jahre und bietet gleich drei Vorteile: den Abschluss an sich, die Fach-Fremdsprache – und zwei Jahre praktische Erfahrung im Job, denn alle Arbeitgeber verlangen Erfahrung! So kann der frische Studienabgänger an die Türen aller Unternehmen klopfen.

Seit wann gibt es dieses Modell – und woran hakt es, dass Sie damit doch nicht zufrieden sind?

Das Modell gibt es bei uns seit fast 26 Jahren, seit 1990 für Englisch und Französisch, 1993 haben wir dann den deutschen Zweig geschaffen. Ich will Ihnen über die Bemühungen erzählen, die wir anstellen, um eine Mentalität zu verändern. Nicht nur unter den Studenten – auch unter den Geschäftsleuten. Wir müssen versuchen, noch mehr in die Reihen der Geschäftsleute vorzudringen, die in deutschen Firmen etwas entscheiden, um ihnen zu zeigen, dass es besser wäre, sich den Universitäten stärker anzunähern. Denn wenige Studenten schaffen es, einen Platz für ein bezahltes Internship zu erhalten. Das ist oft ein Kostenproblem bei der Firma – ein paar Pfennig mehr halt. Der Vorteil aber ist: Wenn der Student bezahlt wird, trägt er auch Verantwortung! Und lernt wirklich etwas. Ansonsten sieht er den Arbeitshimmel nur von draußen. Wir wünschen uns deshalb mehr Geschäftsleute aus dem deutschen Wirtschaftsbereich im Boot. Damit wir ihnen zeigen können: Auch in Rumänien kann man ernsthaft studieren. Und unsere Jugend soll hier – bei ihnen – arbeiten, und nicht im Ausland! Das gilt vor allem für unser MBA-Programm.

Welche Bewandtnis hat es mit dem MBA-Programm?

MBA steht für „Master in Business Administration“. Das ist eine Fortsetzung des Studiums nach dem Masterabschluss und für Leute mit mindestens drei Jahren praktischer Berufserfahrung gedacht – im wirtschaftlichen oder technischen, medizinischen, juristischen oder sogar philologischen Bereich –, denen wir Führungsqualitäten beibringen wollen. Das MBA-Programm wurde von der ehemaligen Fachhochschule Gelsenkirchen, heute Westfälische Hochschule, und unserem Fachbereich „Betriebswirtschaft mit Unterricht in Fremdsprachen“ gemeinsam realisiert, unter Mitarbeit von Hochschulen in Bochum, Bern, Luxemburg und Köln. 22 Professoren aus dem deutschen Raum und 22 aus Rumänien haben sich hierfür zum Team zusammengeschlossen. Unterstützt wurden wir vor allem von Rektor Peter Schulte von der Fachhochschule Gelsenkirchen. Er sagte, dieses MBA-Studium wird auch in Deutschland angeboten, zwei Jahre, in 22 Modulen, Kostenpunkt: 19.500 Euro. Für Rumänien bot er eine Förderung zu dessen Implementierung an: Die deutschen Kollegen reisen hierfür nach Bukarest und unterrichten kostenlos, dafür kommt die rumänische Seite für Anreise, Unterkunft und Verpflegung auf. So machten wir das – und wir können den Kurs sehr günstig anbieten: zwei Jahre für nur 7500 Euro. Der Haken an der Sache: 7500 Euro sind für unsere Studenten sehr viel. Kaum einer kann sich das leisten.

Wie könnte eine Lösung aussehen?

Wir haben versucht, die Arbeitgeber zu überzeugen, die MBA-Absolventen zu unterstützen. Eventuell auf der Basis eines Vertrags, der sie verpflichtet, nach zwei Jahren Studium noch mindestens vier Jahre im Unternehmen zu bleiben. Aber es geht sehr, sehr schleppend. Auch was die Motivation der Studenten betrifft: Bis zum Master ist es kein Problem, denn die meisten wollen sowieso fünf Jahre bleiben. Aber sie zu überzeugen, zum MBA zurückzukommen, noch dazu für 7500 Euro... Das ist sehr schwer. Dabei ist es ein Riesenvorteil für sie: Unser MBA-Studium ist seit 2007 – zuletzt 2013 erneut – von der FIBAA (Foundation for International Business Administration Accreditation) anerkannt, das ist die zweitbeste Agentur für Akkreditierungen und die beste für den MBA-Studiengang. Das heißt, Gelsenkirchen hat das Recht, unseren Studenten deutsche Diplome auszustellen, die in ganz Europa anerkannt werden! Neben unserer Universität hat nur noch die Bucharest Business School (BBS) ein ähnliches Abkommen mit Paris. Es ist ein Diplom mit hohem Prestige. Und fragen Sie unsere Absolventen, was ihnen das MBA gebracht hat! Trotzdem scheitert es meist an den 7500 Euro. Unsere Message ist also, die multi- und transnationalen deutschsprachigen Unternehmen zu ermutigen, ihre fähigsten Mitarbeiter zu unterstützen, wenn diese sich für ein MBA-Studium bei uns interessieren.

Geht es dabei ausschließlich um finanzielle Unterstützung?

Nicht nur. Im Einstellungsgespräch für die Zulassung fragen wir jeden Kandidaten, ob er die lückenlose Teilnahme garantieren kann, denn diese ist Voraussetzung. Es sind immerhin 22 Module und im Anschluss ein Examen. Alle geben uns das schriftlich. Aber am Freitag sind nie alle da! „Der Chef lässt mich nicht weg“, heißt es. Es ist aber derselbe Chef, der ihm anfangs Unterstützung zugesichert und eine schriftliche Empfehlung mitgegeben hat. Das ist ein Problem der Mentalität. In Österreich gilt: „Was liegt, das pickt“! Oder stellen Sie sich vor: Einmal sagte mir ein Firmenchef: „Okay, ich schicke Ihnen zwei Jungs zum Studium – aber nehmen Sie mich dafür als Doktoranden an?“ – „Auf Wiedersehen! Schade für die verlorene Zeit...“ Auch diese Mentalität muss sich ändern.

Ist das MBA-Studium also in Gefahr?

Wenn sich weniger als zehn Studenten anmelden, dann können wir das Projekt nicht mehr finanzieren, wir zahlen ja die Reise- und Unterkunftskosten der deutschen Seite. Aber mehr als 15 – und das ist sehr wenig – haben wir meist nicht. Alle empfehlen uns, wir sollen uns doch Sponsoren suchen...

Sie sagten, auch unter den Studenten muss sich die Mentalität ändern. Was meinen Sie damit und wie kann das gehen?

Durch Austauschprogramme wie Erasmus, DAAD und Sokrates. Wir können heute eine reiche Auswahl an Studienplätzen in Deutschland bieten, unsere Partner sind die Universität Bremen, die Technische Universität Dresden, die Freie Universität Berlin, die Humboldt Universität, die Fachhochschulen in Gelsenkirchen, Bochum, Frankfurt, München. Nur Studenten, die nicht wollen, bekommen heutzutage keinen Austauschplatz!
Und wenn man für ein-zwei Semester nach Deutschland geht, dann nicht nur wegen des Fachwissens, sondern um die Einstellung zur Arbeit zu ändern: Pflichtgefühl, Einsatz, Seriosität. Das ist sehr viel!

Welche Unterschiede zu Deutschland sind Ihnen in Bezug auf Studieninhalte oder die Studenten aufgefallen?

Die Anforderungen dort sind höher, die Vorlesungsinhalte dichter. Aber wenn wir das hier genauso machen würden, hätten wir ein Problem, denn unsere jungen Leute kommen schlecht vorbereitet aus den Gymnasien. Es fehlt auch oft an der Fähigkeit, systematisch zu arbeiten. Mein Traum war immer, mit den Studenten differenziert arbeiten zu können, mit den Fähigsten etwas anderes zu machen und weiter zu denken! Aber heutzutage müssen ja alle gleich sein...

Sie waren selbst ein Jahr lang Professor an der Fachhochschule in Bochum. Wie war damals Ihr Eindruck von den deutschen Studenten und was hat Sie dort geprägt?

Lassen Sie mich diese Frage mit einer Anekdote beantworten: Ich war damals in ein wissenschaftliches Projekt eingebunden, als Koordinator eines Programms zwischen der Fachhochschule Bochum und Hochschulen in Kronstadt, Sofia und Schweden, und habe hierfür fünf Lehrbücher für Management, Marketingstrategie, Leistungsmanagement und Umweltmanagement herausgegeben. Eines Tages, eine halbe Stunde vor dem Unterricht, rief mich der Dekan im Rahmen dieses Projekts, ich solle unbedingt an einer Sitzung teilnehmen. Ich entschuldigte mich mit Verweis auf den Unterricht, doch er meinte nur: „Schicken Sie einen Assistenten und lassen Sie sich entschuldigen.“ In der darauffolgenden Vorlesung, als ich mich erneut für mein Fehlen entschuldigte, meldete sich ein Student: „Herr Professor, passen Sie gut auf: Wenn das noch einmal vorkommt, haben Sie keinen einzigen Studenten mehr im Kurs. Ich bin an diesem Tag 280 Kilometer – vergeblich – zum Unterricht gefahren!“ Für mich war das eine Lebenslektion: Wenn ich von meinen Studenten respektiert werden will, muss ich sie genauso respektieren.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!