Suche nach verlorenen Schatten

Joachim Wittstocks „Peter Gottliebs merkwürdige Reise“ von Nora Iuga auf Rumänisch übersetzt

Doppelte Buchvorstellung am 29. Januar: Joachim Wittstocks „Strania călătorie a lui Peter Gottlieb” (Peter Gottliebs merkwürdige Reise), aus dem Deutschen übersetzt von Nora Iuga, und deren eigener Gedichtband „Asculta cum plâng parantezele“ (Horch, wie die Klammern weinen).
Foto: Cristian Sencovici

Erst waren es die Farbschatten, dann die Grau-schatten, dann der Sach-schatten, die nach und nach verschwanden. Selbst die gleißendste Sonne zeichnet nun kein Abbild der Dinge mehr auf den Boden, stellt Peter Gottlieb fest - und will sich damit nicht abfinden. Auf seiner Reise durch Deutschland nimmt er den Kampf gegen die Behörde auf, die den verlorenen Schatten verwaltet. Doch ein Recht auf Schatten zu fordern, zeigt sich mitunter als gefährlich...

„Peter Gottliebs merkwürdige Reise“, eine Parabel in Prosa voll politischer Implikationen, die niemals ausgesprochen werden, reflektiert die Zeit ihrer Entstehung: in den 80er Jahren, im tiefsten Kommunismus, wo selbst Worte Schatten warfen - nur die jener nicht, die keinen mehr haben. Die Schattenverwalter, aber auch ihre Gegner, wetteifern vor dem Schattensucher als Retter. Der ist hin- und hergerissen. Manipulation. Täuschung. Obskure Interessen. Wem kann man trauen? „Für den einen ist das Verschwinden des Schattens unangenehm, für den anderen eine Befreiung“, greift Nora Iuga das zentrale Thema der von ihr ins Rumänische übersetzten Novelle auf. Und versetzt: „Ich liebe dieses Schweigen, das viel mehr als Worte ausdrückt!“

Die Erzählung erinnert an Kafka, an Orwell - düstere Horrorwelten. Wofür der Schatten steht? Für das Gewissen? Die Sensibilität der Empfindung? Persönliche Identität? Ist sein Vorbild der hungrige Ka - jener immaterielle Doppelgänger der Alten Ägypter, der sich im Schattenreich vor dem zweiten Tod fürchten musste, wenn man ihm keine Opfergaben darbrachte oder den Erinnerungskult vergaß?

Der Autor gibt darü-ber keine Aufschlüsse, bekennt jedoch eine gewollte Parallele zu Adelbert Chamissos (1781-1838) „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“, die ihn auf einer Reise nach Westdeutschland 1987 inspiriert hatte. Darin verkauft der junge Hauptheld dem Teufel seinen Schatten - und erhält dafür einen Geldsack, der nie leer wird. Doch wider Erwarten kommt der Schattenlose schwer in einer Umwelt zurecht, die ihn stigmatisiert. Nach einem Jahr voller verstörender Ereignisse bietet ihm der Teufel dann den Rückkauf des Schattens an - im Tausch gegen seine Seele nach dem Tod. Diesmal ist Schlemihl vorsichtiger und lehnt ab. Statt dessen ändert er seine Lebensweise, um sich dem Einflussbereich des Bösen zu entziehen.

Das schattenhafte Spiegelbild von Chamissos Hauptheld - auf Hebräisch heißt Schlemihl „geliebt von Gott“ - ist natürlich Gottlieb. Peter Gottliebs Erlebnisse während einer Deutschlandreise geben Momente wieder, die Wittstock auf seinem ersten längeren Besuch in der Bundesrepublik erlebte, verquickt mit persönlichen Erfahrungen aus seinem heimatlichen Alltag in Rumänien.„Joachim Wittstock macht Politik - aber anders, raffiniert“ resümiert Nora Iuga.