Talent allein macht einen nicht zum Dirigenten

Inspirierendes Gespräch mit dem österreichischen Dirigenten Sascha Goetzel

Unübersehbares Charisma und Begeisterung strahlte Sascha Goetzel beim Dirigieren des Temeswarer Orchesters aus. Fotos: Dana Moica i.A. der Banatul-Philharmonie Temeswar

Das erste Konzert der Banatul-Philharmonie war fast ausverkauft, das Publikum am Ende der Darbietung einfach begeistert.

Das Kulturhauptstadtjahr Temeswars 2023 hat kalendarisch begonnen, das Programm wird erst Mitte Februar offiziell eröffnet. Das erste symphonische Konzert in diesem Jahr dirigierte an der Banatul-Philharmonie der österreichische, international bekannte und anerkannte Dirigent Sascha Goetzel am 6. Januar. Die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit der Philharmonie führte mit dem Dirigenten aus diesem Anlass ein kurzes Gespräch über seinen Werdegang, sein künstlerisches Credo sowie seine Karriere. Das Temeswarer Haus beschreibt ihn als bemerkenswerten „Orchesteraufbauer“, kreativen Programmgestalter, Unternehmer, Lehrer und Verteidiger der Musiker und Künstler. In Wien geboren und aufgewachsen, lernte er Violine und begann seine Studien bei Richard Österreicher und Jorma Panula an der Sibelius Akademie. Seine musikalische Fortbildung setzte er in den USA fort und lernte unter anderen bei Seiji Ozawa, Riccardo Muti, Andre Previn, Zubin Mehta und Bernhard Haitink.

Ende des Jahre 2021 wurde er zum musikalischen Leiter des Orchestre Nationale des Pays de la Loire ernannt, eine Verantwortung, die er zunächst für ein vierjähriges Mandat seit September 2022 trägt. Außerdem wurde er zum musikalischen Leiter der NYO-CAN, dem Nationalen Jugendorchester Kanadas, letzten Sommer ernannt. Davor war er nicht weniger als elf Jahre lang künstlerischer Leiter und Chefdirigent des Orchesters an der Borusan-Philharmonie in Istanbul, die einst als Kammermusikensemble gegründet wurde und nun, besonders durch das innovative Zutun von Goetzel, nicht nur in der Türkei, sondern international hohes Ansehen genießt. Es zeichnete unter Goetzels Anleitung zahlreiche von Deutsche Grammophon, Onyx und Warner mit Preisen belohnte Einspielungen auf und trat beispielsweise bei den Salzburger Festspielen, im Royal Concertgebouw in Amsterdam, beim Musikverein in Wien, im Théâtre des Champs-Elysées sowie beim Hong Kong Arts Festival auf.

Zurzeit agiert Sascha Goetzel hauptsächlich als Dirigent an der Philharmonie in Sofia, stand aber in seiner fast 30-jährigen Karriere bereits zahlreichen namhaften Orchestern vor, wie jenen in Tokyo (NHK), Kanagawa (Japan), München, London, Monte-Carlo, Dresden, Israel, dem philharmonischen Rundfunkorchester der Niederlande, dem französischen Nationalorchester, dem Royal Philharmonic Orchestra, Tonkünstler Orchestra, dem Orchestra National de Bordeaux-Aquitaine oder dem Radio-Symphonieorchester Wien. Zu den wichtigsten Solisten, mit denen er auftrat, zählen Daniil Trifonov, Joyce Di Donato, Yuja Wang, Maxim Vengerov, Julian Rachlin, Anna Netrebko, Renee Fleming, Brandon Marsalis, Ian Bostridge{i, Murray Perahia u.a.m. Zudem zeichnete er fruchtbare Zusammenarbeiten mit dem Mariinsky-Theater, den Opernhäusern in Zürich, Rennes, Wien, Montpellier und die Nikikai-Oper in Tokyo.

Wer hat Ihre Schritte zur Musik gelenkt?


Ich verdanke alles meinem Vater und meinem Taufpaten. Sie haben mir die ersten Impulse dazu gegeben, Musik überhaupt kennenzulernen, da beide als Violinspieler an der Wiener Philharmonie wirkten. Sie haben mich inspiriert. Ich war erst fünf Jahre alt, als ich das Spielen der Violine zu lernen begann, aber als Zweijähriger schon, erzählen meine Eltern, soll ich zum ersten Mal einen Stock in die Hand genommen, mich auf einen Stuhl gestellt und den Walzer „An der schönen blauen Donau“ dirigiert haben. Ich kann mich noch ganz gut daran erinnern, dass ich mit fünf Jahren erstmalig bei den Salzburger Festspielen gewesen bin. Da gab es damals eine spezielle Kindervorstellung: Ich war auf der Stelle wie verzaubert von der Magie aus Mozarts Musik und lauschte zum ersten Mal der Zauberflöte. Das war für mich die erste und beeindruckendste musikalische Erfahrung, die ich bis dahin hatte.

Wie war Ihr erstes Mal als Leiter eines Orchesters?

Ich war immer von der speziellen Energie eines Konzerts oder einer Opernbühne bei Aufführungen fasziniert gewesen. Als ich dann zum ersten Mal selbst auf der Bühne stand, fühlte ich mich „wie zu Hause“. Die Bühne ist im wahrsten Sinne des Wortes mein Leben zusammen mit der Natur und den Menschen, die mich umgeben. Mein erstes Konzert hat seinen festen Platz in meinen Erinnerungen. Es war eine sehr überwältigende Erfahrung, ich würde sie fast mit einem emotions- und energiegeladenen Trip vergleichen, an den einem eine Droge unvermittelt teilhaben lässt. Es war für mich ein bis dahin noch nie erlebtes Gefühl, das ich keiner vorausgegangenen Erfahrung gleichstellen konnte.

Welcher ist Ihr Lieblingskomponist? Haben Sie vielleicht auch so etwas wie ein Lieblingswerk?

Ich habe wirklich keinen Komponisten, den ich den anderen vorziehen würde, aber die Musik meiner Heimatstadt Wien liegt mir besonders nah am Herzen, von Haydn, Mozart, Beethoven bis Schubert. Ich schätze die Werke von Brahms und Bruckner in besonderer Weise, aber auch weniger bekannte Musikschaffende aus dem 19. Jahrhundert und bis zu unseren Zeitgenossen.

Welche sind die Elemente, die einen guten Dirigenten ausmachen?

Talent, Bildung, Erfahrung, Engagement und Leidenschaft. Wir dienen der Musik und den Menschen, nichts anderem. Talent allein macht keinen Dirigenten, genauso wenig wie das Wissen allein. Es gibt keine Abkürzungen, um Erfahrungen zu sammeln, und um unsere Ziele zu erreichen, müssen wir immer 100 Prozent geben, das Engagement für unseren Beruf ist unabdingbar. Nicht zuletzt sind es jedoch unser Herz und unsere Leidenschaft, die der Musik Energie verleihen und sie so lebendig und anregend machen.

Auf welchen Ihrer bisherigen Erfolge sind Sie besonders stolz?

Der Weg zur Vollendung ist unendlich. Für Musiker gehört es zur Grundvo-raussetzung, dass man sich für die Musik stets auf die Suche macht, dass man sich nicht eingrenzen lässt, und sich nie dem Irrglauben hingibt, den Höhepunkt seiner Karriere erreicht zu haben. Ich rühme mich keiner besonderen Erfolge, denn ich sehe mich auf einem unaufhörlichen Weg der Selbstverbesserung hin zur Vollendung. Jede Spitze, die wir dabei erreichen, zeigt nichts anderes auf, als noch höhere Ziele und Horizonte zu offenbaren, mittels derer man sich höheres Wissen aneignet, um die angestrebte Exzellenz zu erreichen.

Ich bin kein Einstein, Musik ist keine Wissenschaft, sondern Kunst. Ich kenne kaum wahre Künstler, die sich ihrer Werke als Erfolge in der Kunst rühmen. Musik, die Kunst ist unsere Mission.

Welchen Ratschlag haben Sie für junge Künstler, die am Anfang dieses Weges stehen?

Studiere hart, höre niemals auf, an dich zu glauben und sei immer offen und bereit zu lernen! Vertraue deinen Fehlern! Sie sind da, um dich anzuspornen, mehr zu lernen und an deinen Fehlern immer mehr zu wachsen. Es gibt keinen richtigen Meister, der nicht selbst schon oft stolpern und hinfallen musste, bevor er es schaffte, allen Herausforderungen gewachsen zu sein.

Sie dirigieren zum zweiten Mal in Temeswar, nachdem Sie bereits im Jahr 2006 als Gast hier gewirkt haben. Wie empfanden Sie diesmal die Stadt, die in diesem Jahr den Titel Kulturhauptstadt Europas trägt?

Temeswar wächst und entwickelt sich. Die Menschen scheinen sehr warmherzig und gastfreundlich zu sein. Schon bei meinem ersten Besuch habe ich mich hier sehr willkommen gefühlt, diesmal umso mehr. Ich fühle mich der hiesigen Mentalität und dem Lebensstil der Temeswarer verbunden.

Wie war die Erfahrung mit dem Temeswarer Orchester?

Es war ein ganz besonderer Moment, zurückzukehren und nicht nur das erste Konzert 2023, sondern auch das erste Konzert mit Temeswar als Kulturhauptstadt Europas mit dem Orchester bestreiten zu können. Vom ersten Moment an hatten wir eine ganz warme und enge Beziehung beim Musizieren, und so war es für mich ein großes Vergnügen und auch Ehre, gerade dieses Konzert zu leiten. Die Musiker haben ihr Möglichstes gegeben und haben ein für mich wunderbares Arbeitsumfeld geschaffen.

Wo sehen Sie die Stärken und wo die Schwächen dieses Ensembles?

Ein Orchester ist ein Klangkörper, ein lebendiges Geschöpf mit einem individuellen Charakter, individuellen Eigenschaften, physisch und spirituell. Spezielle Eigenschaften zu beschreiben würde bedeuten zu vergleichen, was ich persönlich generell in jeder Kunstform ablehne –  besonders, wo alle Beteiligten Vollprofis sind. Unsere Aufgabe ist es, das Publikum mit der Kraft der Musik in unseren Bann zu ziehen, es zu begeistern und die Schönheit und Magie der Musik zu den Herzen der Menschen zu tragen – das ist uns, glaube ich, großartig gelungen und dafür bin ich dankbar und glücklich.

Wie hat das Publikum auf ihre Musikwahl und das Konzert reagiert?

Die Musik, die ich für den Abend ausgewählt habe, hatte als Anhaltspunkt Enescus Werke aus seiner Wiener und Pariser Zeit, die doch stark von seinem Heimatland geprägt ist. Sein Leben finde ich äußerst inspirierend, wenn man bedenkt, welche genialen Zeitgenossen er damals getroffen hat und wie sie sich ausgetauscht haben. So gehörten Werke von Bartók, Brahms, Fauré, aber auch Brediceanu zum Programm.

Es war ein großartiges Publikum, das so lange und mit Standing Ovations applaudierte, dass wir uns spontan entschlossen haben, ein Stück zu wiederholen – ein unvergesslicher Abend und für mich persönlich eine Bestätigung, dass mit der richtigen Programmwahl und qualitativ hochwertigem Musizieren die Begeisterung des Publikums gewonnen werden kann. Einen großen Verdienst hatte dabei auch der Gastsolist Máté Szücs aus Ungan. Es war mir eine große Freude, in der Temeswarer Philharmonie Gast sein zu dürfen und ich hoffe, bald wieder zurückkommen zu können.