Tonnen Spuren der Vergangenheit

Archäologen geben Ergebnisse der Grabungen entlang der Autobahn-Baustelle bekannt

Die Archäologen Zeno-Karl Pinter und Sabin Adrian Luca legten einige der Funde aus. Im Vordergrund das Eisenwägelchen aus einem keltischen Grab.
Foto: Hannelore Baier

Bislang waren sie vertraglich an den Autobahn-Bauer gebunden und hätten nur mit dessen Genehmigung Details aus ihrer Arbeit bekannt geben dürfen. Ab nun aber werden sie im Verlauf mehrerer Wochen jeden Mittwoch auf einer Pressekonferenz die Ergebnisse der archäologischen Grabungen an der im Entstehen begriffenen Autobahn Hermannstadt/Sibiu – Nadlak/Nădlac bekannt geben, kündigte Dr. Sabin Adrian Luca, der Generaldirektor des Brukenthalmuseums an.

Dieser renommierten Institution oblag die Koordination der archäologischen Grabungen, die 16 Monate lang andauerten und am 1. August endeten. Durchgeführt wurden sie in den drei Verwaltungskreisen Hermannstadt, Alba und Hunedoara, rund 40 Experten haben daran teilgenommen.

Neben Fachleuten des Brukenthal-Museums waren Vertreter des Vasile-Pârvan- Archäologieinstituts Bukarest, der Universitäten „Lucian Blaga“ Hermannstadt, „Babeş-Bolyai“ Klausenburg/Cluj, „1. Decembrie“ Karlsburg/Alba Iulia, „Dimitrie Cantemir“ Bukarest sowie der Universität Kiel (Deutschland) und Archäologen von den Museen Arad und Temeswar/Timişoara beteiligt.

Gesichert wurden Tonnen an archäologischem Material aus dem Neolithikum bis zum 12. Jahrhundert, mit deren Konservierung, systhematischer Erforschung und dem Publizieren der Ergebnisse die Hermannstädter Archäologen die kommenden 20 Jahre zu tun haben werden, so Dr. Luca. Im nächsten Jahr möchte man eine Ausstellung veranstalten, bei der alle Archäologen die an Autobahnbaustellen gemachten Funde präsentieren sollen. 

Rettungsgrabungen wurden an neun Stätten auf einer Strecke von etwa 40 Kilometern durchgeführt, wovon 5 Kilometer archäologisch erschlossen wurden. Es handelt sich um eine der größtangelegtesten Grabungen, die man je in Rumänien durchgeführt hat, so Dr. Luca. Gekostet haben sie fünf bis sechs Millionen Euro, die der rumänische Staat für dergleichen Zweck ansonsten im Verlauf von 50 oder 60 Jahren zur Verfügung stellt.

Er sei um eine Erfahrung reicher geworden, die er gern auch bei anderen Baustellen wiederholen möchte, um möglichst viel zu retten von dem, was es in den Erdschichten gibt, meinte Prof. Dr. Zeno-Karl Pinter. Er hat an den Arbeiten in doppelter Eigenschaft teilgenommen: als Vorsitzender der Landeskommission für Archäologie und Koordinator der gesamten archäologischen Tätigkeiten in Rumänien, sowie als Archäologe vonseiten der Hermannstädter Uni.

Anders als bei den systematischen Grabungen, wo in Ruhe mit Spachtel und Pinsel Funde zutage gefördert werden, mussten auf dieser Baustelle Großlaster, Bagger, Tagelöhner und Häftlinge (die die groben Arbeiten leisteten) koordiniert werden, so- dass die Konzentration für eine wissenschaftliche Arbeit nicht gegeben war.

Andererseits kann man ganz anders arbeiten, wenn eine Fläche von einem Kilometer mal 700 Meter Schicht um Schicht abgedeckt wird, weil sie als Archäologen meist kleinräumige Grabungen an Sektionen oder in Kassetten durchführen. Die Grabungen an der Autobahn haben bewiesen, dass es möglich ist, die Spuren der Vergangenheit vor Bauarbeiten in wissenschaftlicher Arbeit zu sichern und können beispielhaft sein für andere Baustellen an Straßen oder Kanälen, so Dr. Pinter.

Über die Struktur der Befunde wollten die Fachleute noch keine Aussagen treffen, da diese Daten erst in Bearbeitung sind. Neu an diesen Grabungen ist, dass alle Daten über die Architektur der Ortschaften in das GIS-System (Georgrafisches Informationssystem, d. h. eine elektronische Karte) aufgenommen wurden, sodass alle Wohnungen, Befestigungen, Gräber usw. virtuell wann immer an den Ursprungsort rückverpflanzt werden können.

Selbst wenn die Autobahn über die Stelle führt, kann genau gesagt werden, wo welches Haus wie ausgesehen hat. Gesichert wurden sodann Spuren von Pflanzen, Tieren und Handwerk, die Rückschlüsse auf das Leben der verschiedenen Bevölkerungen ermöglichen. Für die erste Pressekonferenz hatten die Hermannstädter Archäologen die Funde aus Metall vorbereitet, zumal in dieser Sparte ein spektakulärer Fund gemacht worden ist: ein aus Eisen erstellter Wagen in Miniatur.

In den von Kelten besiedelten Gebieten Westeuropas sind dergleichen Wägen in Originalgröße gefunden worden, die man den Verstorbenen ins Grab mitgegeben hatte. Die Überreste des eisernen Wägelchens wurden in der von den Archäologen „Miercurea 4“ betitelten Siedlung entdeckt, einer sehr komplexen Siedlung, die bedeutend ist für die Genese der Daker und deren Geschichte. Die rund 80 Teilchen des bei Reußmarkt/Miercurea Sibiului gefundenen Wägelchens wurden von Dr. Dorin Barbu im Labor geputzt und wie bei einem Puzzle zusammengeklebt. Erleichtert hat die Arbeit die Apparatur der neuesten Generation, die das Museum für 30.000 Lei angekauft hatte. Ebenfalls gezeigt wurden Fibeln, verschiedene Werkzeuge und Waffen.

Zu den außergewöhnlichen Metallfunden gehört ferner ein Silberschatz mittlerer Größe von insgesamt 281 Münzen. Die meisten Münzfunde werden zufällig gemacht, hier wurde der Schatz in situ gefunden, in der dakischen Siedlung, aus deren Endzeit sie wahrscheinlich stammen. Dr. Claudiu Muntean erläuterte, dass es sich um griechische Drachmen und romanische republikanische Denare der Städte Appolonia und Dyrrachium (heute Durres) an der adriatischen Küste handelt, die vermutlich in Rom geprägt wurden oder gar von den Dakern selbst. Für den Kreis Hermannstadt ist  dieser Fund von Bedeutung, weil ein Silberschatz in diesem Umfang hier bislang nicht gefunden worden ist.