Tschüss Deutschland! – Willkommen Rumänien!

Eine deutsche Erasmus-Studentin in Bukarest

Bild: sxc.hu

In diesem Jahr feiert Erasmus 25 Jahre. Mit diesem von der Europäischen Union geförderten Studienaustauschprogramm waren im letzten Hochschuljahr 2010/2011 über 25.000 deutsche Studierende in über 30 Ländern. Meine Universität in Leipzig müht sich sehr für den internationalen Austausch und macht für solche Stipendien viel Werbung. Berüchtigt ist das Programm in meiner Stadt allerdings durch die ausgelassenen Erasmus-Parties. Aus meinem Freundeskreis nutzten viele schon die Möglichkeit, ein Semester im Ausland zu verbringen. Daher überraschte es nur wenige, als auch ich mich dafür entschied. Dass ich aber in Rumänien studieren wollte, verwunderte hingegen schon eher. Die Meinung darüber war gespalten. Viele assoziieren Erasmus mit Sorglosigkeit, Sonne und Sonnenschein. Das sind jene, die für ihren Aufenthalt Mallorca, Sizilien oder Barcelona ansteuern würden. Andere wiederum fanden es gerade gut, sich diesem Trend entgegenzusetzen und in den Osten Europas zu reisen. Mein Grund nach Rumänien zu gehen war sehr pragmatisch: Ich wollte gerne an einer Musikhochschule studieren und Bukarest bot mir die Möglichkeit dazu.

Ende September war es soweit und ich begann mein Studium der Musikwissenschaft an der Nationalen Musikuniversität Bukarest. Wir sind dort nur sechs Erasmusstudenten, was sich zu den größeren Universitäten Bukarests insofern unterscheidet, dass keine Kurse auf Englisch für Ausländer angeboten werden. Ich besuche die gleichen Lehrveranstaltungen wie die einheimischen Musikstudenten. Einiges war am Anfang ein wenig verwirrend, zum Beispiel das Thema Pünktlichkeit. Einige Professoren und Dozenten lassen die Studenten schon mal eine halbe Stunde warten. Die pünktlichen Dozenten wiederum achten auch bei ihren Studenten sehr auf diese Tugend. Man sollte als Student die Gepflogenheiten seines Lehrers auf jeden Fall gut kennen, um sich einen Tadel zu ersparen.

Hausaufgaben sind ähnlich flexibel wie die Pünktlichkeit. Manchmal sind sie obligatorisch, meist aber eher auf freiwilliger Basis. Wann welcher Fall vorliegt, das weiß ich oft nicht so genau. In solchen Situationen hilft aber die gute Vernetzung der Studenten untereinander. Es ist sehr wichtig, in dem sozialen Netzwerk integriert zu sein und in jedem Kurs mindestens einen rumänischen Studenten zu kennen. Wäre ich nicht mit einigen meiner rumänischen Kommilitonen bei Facebook befreundet, wären wohl Informationen über Prüfungstermine, Unterrichtsausfall, Sonderproben u. v. m. nicht bis zu mir gedrungen.

Das Verhältnis zu den Lehrern ist viel persönlicher als an meiner Heimatuniversität. Ich bin es gewohnt, mit 200 oder mehr Studenten in einem Hörsaal zu sitzen und die Anwesenheit des Professors nur aus der verstärkten Stimme der Lautsprecherboxen zu erahnen. Da ist es schon erst einmal merkwürdig, wie sehr sich die Professoren hier auf jeden einzelnen ihrer Studenten konzentrieren können. In den meisten Vorlesungen sind wir weniger als 10 Studenten. Als nicht Rumänisch sprechende Studentin bin ich natürlich auch in der besonderen Aufmerksamkeit. Manchmal muss die Kommunikation schon auf Hände und Füße zurückgreifen, wenn die englische Vokabel gerade mal wieder nicht parat ist. In einigen Situationen erinnert mich der Unterricht auch an meine Schulzeit: Man spricht den Professor mit „Herr Lehrer“ an und steht auf, wenn hohe Persönlichkeiten der Universität den Raum betreten.

Gemeinsamkeiten zwischen meiner Heimat- und meiner Gastuniversität gibt es so gut wie gar nicht. Der Unterschied zwischen Musikhochschule und Universität ist schon in Deutschland groß. Besucht man eine Musikhochschule im Ausland, ist die Angleichung an das gewohnte Universitätsstudium natürlich noch schwieriger. Aufgrund der Sprachbarrieren kann ich vielen Lehrveranstaltungen nicht so gut folgen, wie ich gerne würde. Es ist kompliziert, sich die Fächer in Form von Credit Points anrechnen zu lassen und das Studium im Ausland zu beenden. Wie viele andere Erasmusstudenten werde auch ich das Jahr in Deutschland wiederholen müssen. Daher habe ich mehr Zeit für andere Dinge. Auch für ausgelassene Parties. Dieses Klischee über Erasmusstudenten ist nicht von der Hand zu weisen. In Bukarest lässt es sich auch außerordentlich gut weggehen. Die Stimmung in den Clubs ist ausgelassen, der Alkohol günstig und bei der Musik ist für jedermann etwas dabei. Die erste Orientierungslosigkeit in einem fremden Land lässt sich einfach gut mit abendlichen Ausgängen kompensieren.

In Bukarest habe ich neben den flüchtigen Partybekanntschaften auch viele engagierte junge Ausländer kennengelernt. Meine französischen Freundinnen machen zum Beispiel ein Praktikum bei einer sozialen Einrichtung für Straßenkinder und forschen über Feminismus in postkommunistischen Ländern. Italienische Freunde besuchen und helfen Zigeunerfamilien am Rande der Stadt. Mein Mitbewohner aus Katalonien übersetzt rumänische Wikipedia-Artikel in seine Muttersprache. Viele haben Tandempartner, die sich nicht nur beim gegenseitigen Spracherwerb helfen, sondern auch aktiven Kulturaustausch betreiben. Jeder nutzt dieses Jahr, um Dinge auszuprobieren, für die im Unialltag zuhause viel zu wenig Zeit bleibt. Ich versuche mich im Gesang an der Hochschule, beim Deutschunterrichten im Privaten oder im Journalismus bei der ADZ.

Ich bin sehr froh über die Möglichkeiten, die mir Rumänien bietet. Ich habe meinen Aufenthalt um ein weiteres Semester verlängert, obwohl ich dieses Jahr wiederholen muss. Es ist nicht das Studieren, das mich beflügelt. Es ist der Austausch zwischen den Kulturen an sich, die unterschiedlichen Lehrmethoden, die Entdeckung einer anderen Mentalität, die Begegnungen mit vielen interessanten Menschen aus aller Welt. Diese Erfahrungen werden sich tiefer in mein Gedächtnis einprägen, als die Polyphonie Hindemiths. Vielleicht sollten sich auch die Organisatoren endlich eingestehen, dass es bei Erasmus nicht darum geht, das Studium voranzutreiben und viele Credit Points zu sammeln. Es ist eine abenteuerliche Zeit, die nicht den Lebenslauf aufhübscht, sondern die Persönlichkeit prägt. Und das ist am Ende viel mehr wert.