Unsere innere Kinder-Uhr und Sankt Bartholomäus

Oder: Wann war für uns damals im Banat die Sommerzeit zu Ende?

Die Kinder meiner Generation (Jahrgang 1948) und die meiner älteren Geschwister hatten fast alle keine Uhren. In den 60er-Jahren erschienen dann die ersten Armbanduhren als Geschenk für Schulkinder, meist bei den Firmungen. Ich bekam von meinem Mischon(Mathias)-„Fermphetter“ (Firmpate) eine Ruhla, ein erschwingliches, aber zu sensibles DDR-Produkt für uns Dorfbuben. Da hielten die sowjetischen Pobeda-„Handuhren“ schon länger aus. Bei den Mädchen hielten die Damen-Ruhla-Uhren etliche Jahre länger durch.

Wir immer unbewacht spielenden Dorfkinder hatten keinen Kalender, keine bewusste Zeit, keine Monats- oder Jahreszeitengrenzen. Alle Zeit war fließend, unwichtig, während heute schon Kita-Kinder täglich das genaue Datum kennen, den Wochentag, Monat etc. Nur die Sonntage waren für uns damals Zeitmarken, mit Kirchgang, „Sunntachsgwand“, gemeinsamem Mittagessen.

Unsere werktäglichen Zeitmesser waren das zuverlässige Mittag- und Gebetläuten, der Klang der Kirchenglocken, der bis weit über das Dorf hinaus über die Fluren zu hören war. Die einzige eigene, innere Uhr war der Hunger. Für den Durst fanden wir formlose, zeitlich ungebundene und stillende Lösungen an irgendeinem Gassen-Brunnen, am Großen Brunnen oder draußen auf dem „Hottar“ an einem „Brindche“ (Brünnlein, Quelle).

Aber auch das mit der Essenszeit war oft fließend. Mal habe ich mit Franz bei Frombachs in der Hauptgasse zu Mittag gegessen, mal abends bei Heckmanns (Luxe) in der Neugasse mit Rocco und seiner Familie, ohne dass es zu Hause abgesprochen war. Bei den Nachbarn und anderen Familien hat es eh immer besser (zumindest anders) geschmeckt, vor allem in Gemeinschaft – sogar das „Schmeerbrot“ oder Fettbrot mal zwischendurch.

Das beste Schwarzbrot war für unsere kleine Bubengruppe in der oberen Hauptgasse das geklaute aus der großen grünen Holzlade für das Militär, das von Soldaten frisch von der Bäckerei zu Hangrischs (Matz Loris) gebracht wurde. Die waren samt Pferden und Wagen lange Zeit in den geräumigen Stallungen der Familie Wendling einquartiert.
Dann gab es für mich die unvergessenen sonntäglichen Salzkipfeln der Karlsgässer Wiesersch (Wendling) Wess Ami. Die waren die besten. Aber nicht nur deshalb trage ich ihr schwäbisches Bild bis heute mit mir. Und wie das Schicksal es wollte: Beide kamen wir unabhängig voneinander nach Augsburg, wo sie inzwischen ruht.

 „Un de beste Torekuche?“ (große Hochzeitsgugelhupf-Schnitte) Tja, das weiß ich nicht mehr, weil es unendlich viel guten für uns zuschauende Kinder bei Hochzeiten gab. Nur die Käse- und Kürbis-Strudel (mit Gries) meiner Mutter schmeckten noch viel besser. Von den vielen Kuchen-Sorten vielleicht die „Butterrose“ an wichtigeren Feiertagen.
Geraucht wurde versuchsweise zu allererst in dieser oberen Gassenecke bei Pesakersch (Kerker), bis dann mal plötzlich der „Kotarke“ (Maisspeicher) in Flammen stand. Ja, ich habe mit geraucht!

Und wann war damals die Sommerzeit-Freiheit zu Ende? Nicht wenn der Unterricht begann, sondern wenn das besonders freudige, andersartige und laute Gezwitscher der Stieglitz-Familien am Rande der „Lohmkaul“ zu hören war, die auf den verblühten Disteln jetzt die ölhaltigen Samen suchten für die winterlichen Fettreserven. Sichtbar wurde der Herbst für uns, wenn die „Thuwaksblume“ (Petunienart), die Pappelrosen und Klosterblumen (Asternart) blühten, spürbar, wenn der lauwarme Wind auf den Feldern hinter den Gärten angenehm über die Stoppeln und die nackte Haut wehte.

Bemerkbar aber, wenn unsere Großeltern oder Eltern keine Melonen mehr kauften, die Fuhrwerke mit „Kollektivmelonen“ nicht mehr durchs Dorf fuhren und auf den Melonenfeldern kein Hüter mehr stand, weil „de Bartlmeeh drin war“ in den Melonen, die Überreife, die im Bauern-Jahreskalender zeitlich mit dem Festtag des heiligen Bartholomäus (23. August) festgemacht war. Aber gekühlt im Brunnen oder Keller konnten die beliebten Früchte auch bis August-Ende genossen werden. Dafür freuten wir uns jetzt auf die Trauben aus den vielen Jahrmarkter (Giarmata bei Temeswar) „Wingerter“.