Von der Verhaltensforschung in Rumänien

Gespräch mit dem Verhaltensforscher Prof. Dr. Dan Constantin Stănescu

Vor allem der Säbelschnäbler hatte es Prof. Dr. Dan Constantin Stănescu angetan.
Foto: privat

Wie sich Tiere verhalten und weshalb, diesem Rätsel möchten Verhaltensforscher auf den Grund gehen.
Foto: Zoltan Pazmany

Der aus Hermannstadt/Sibiu stammende Ethologe Dan Constantin Stănescu gehörte zu den ersten Verhaltensforschern Rumäniens. Vor der Wende war diese Wissenschaft verpönt und wurde ignoriert. Er selbst musste wegen seiner Herkunft viele Niederlagen einstecken. Trotz der Hindernisse, die sich ihm in den Weg stellten, hat der Verhaltensforscher eine beeindruckende Laufbahn hinter sich. Heute unterrichtet er an der West-Universität Temeswar/Timişoara und besitzt das erste ethologische Labor Rumäniens. ADZ-Redakteur Robert T a r i sprach mit ihm über die Verhaltensforschung und wie es dazu kam, dass er sich mit ihr befasste.
 
Sie gelten als ein Experte auf dem Gebiet der Verhaltensforschung ...

Ich würde nicht behaupten, dass ich ein Experte bin. Ich habe mich in dieses Fach der Biologie eingearbeitet. Was kann ich Ihnen über die Verhaltensforschung sagen? Als ich anfing, an der Hochschule zu unterrichten, kam ich direkt aus der Forschung. Bis dahin hat man über Verhaltensforschung in Rumänien überhaupt nichts gewusst. Nachdem es hier als Fach eingeführt wurde, haben auch Jassy/Iaşi, Bukarest und Klausenburg/Cluj-Napoca die Ethologie eingeführt. Was momentan einzigartig im Land ist, ist das Labor, über das wir hier verfügen, welches ich aufgebaut habe. Es kann zwar sein, dass Bukarest über ein Labor verfügt, allerdings beschäftigen sie sich viel mehr mit der Geschichte der Verhaltensforschung. Bei uns geht es besonders praktisch zu.

Können Sie mir sagen, was das Ziel der Ethologie ist?

Das Ziel ist immer das gewesen, welches auch Konrad Lorenz, Nikolaas Tinbergen und Karl von Frisch anstrebten. Sie wollten beweisen, dass der Mensch und das Tier nicht als Unwissende zur Welt kommen, sondern dass sie über Verhaltenselemente verfügen, die genetisch geprägt sind. Das wollen wir auch hier beweisen, darum haben wir auch das Labor so ausgestattet, dass wir über die nötigen Utensilien verfügen, um Labormäuse, Hamster, Fische zu beobachten. Die Studenten können mithilfe der Tiere mehr über die Grundelemente der Verhaltensforschung erfahren. Alles geschieht instinktiv, die Tiere sprechen untereinander, kommunizieren miteinander, wie auch Konrad Lorenz in seinem ersten Buch „Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen“ bewiesen hat. Die Studenten und ich versuchen, das anhand von Untersuchungen zu demonstrieren. Außerdem untersuchen wir, wie die Tiere auf äußere Einwirkungen reagieren und wie sie auch auf ihre Physiologie beeinflussen. Das machen die Studenten ein Semester lang an der Hochschule. Ich bin mir sicher, dass die Studenten auch viel über sich selbst erfahren und auch lernen, sich selbst anders zu betrachten.

Das Verhalten von Tieren und Menschen zu erforschen, das dürfte in Rumänien früher keine allzu beliebte Disziplin gewesen sein.

Bei uns nicht. Sie war unbekannt. Unter Ethologie verstand man nur, dass sie sich mit Fragestellungen auseinandersetzte, wie sich Tiere verhalten: Sie wedeln mit dem Schwanz, manche laufen im Zickzack oder nicht, sie fangen andere Tiere und so weiter. Darauf beschränkte sich die Verhaltensforschung in Rumänien. Aber darum geht es nicht. Stattdessen möchte man die biologischen Gründe herausfinden, weshalb sich ein Tier so verhält. Früher wurde sie zwar als Zoopsychologie betrachtet, das ist aber falsch. Es hat auch nicht ausschließlich mit Psychologie zu tun. Wir befassen uns damit, was die Natur uns gegeben hat.

Gibt es in der Verhaltensforschung noch vieles, was man ergründen kann?

Absolut. Es geht ja nicht nur um die Tierarten, sondern es steckt eine ganze Philosophie dahinter. Die Ethologie ist nicht nur ein biologisches Fach. Sie geht auch in die Psychologie, Philosophie, Semantik sowie andere Bereiche hinein. Heutzutage betreibt man nicht nur Verhaltensforschung an Tieren – Schimpansen werden hierbei als Forschungsobjekte bevorzugt. Der Mensch an sich wird auch miteinbezogen. Es gibt die Humanethologie und diese besitzt einen ausgezeichneten Vertreter: Irenäus Eibl-Eibesfeldt, einen Schüler von Konrad Lorenz. Er hat die Buschmänner in Afrika studiert und Ähnlichkeiten zwischen den Schimpansen und den Menschen festgestellt. Hans Hass, der Tauchpionier, der sich mit der Meereserforschung befasst und sich für den Umweltschutz eingesetzt hat, entwickelte für Eibl-Eibesfeldt einen falschen Spiegel für die Kamera. Die Einwohner fühlten sich immer gehemmt, wenn Eibl-Eibesfeldt die Kamera auf sie richtete. Durch ein ausgeklügeltes Spiegelsystem konnte er die Kamera weg von den Personen richten und sie gleichzeitig aufnehmen.

In Wien gibt es eine Abteilung für Humanethologie. Sie beobachten dort mithilfe eines Satelliten die Menschen. Als ich dort zu Besuch war, hatten sie gerade zwei alte Damen beobachtet, die vor einem Schaufenster standen. Sie untersuchten, wie lange die Frauen vor dem Fenster standen und wie sie sich in dem Kontext verhielten. Heutzutage kann die Ethologie wahnsinnig spannend und faszinierend sein.

Wie sind Sie zur Verhaltensforschung gekommen?

Das ist eine ganz schöne Geschichte. Ich bin eigentlich Hermannstädter und habe als junger Mann dort in der naturhistorischen Abteilung des Brukenthal-Museums gearbeitet. Das Museum an sich war damals das größte des Landes. Man musste auch immer am Sonntag arbeiten und Führungen für Besucher veranstalten. Und an einem Sonntag im Sommer wollte sich eine Dame die Ausstellungen anschauen. Es war eine kleine Dame, sie war so hoch wie breit, hatte aber ein liebes Aussehen. Ich führte sie durch das Museum, erfuhr dann von ihr, dass sie Ausländerin war und aus Deutschland kam. Sie interessierte sich besonders für die Botanik und erkundigte sich nach einer bestimmten Pflanzenart. Leider war meine Kollegin Erika Schneider nicht im Museum und meine Kenntnisse waren auf diesem Gebiet beschränkt. Ich hatte zu der Zeit eine Ausstellung über das Verhalten der Vögel gemacht, womit ich mich damals auskannte. Ich war noch keine 45 Jahre alt. Meine größere Tochter war noch nicht einmal zur Welt gekommen. Das war in den 1970er-Jahren. Wir haben nach dem Rundgang noch einen Kaffee zusammen getrunken und da fragte sie mich, ob ich eigentlich wüsste, wer Konrad Lorenz, Nikolaas Tinbergen und Karl von Frisch waren. Damals hatte ich überhaupt keine Ahnung. Bevor sie wegging, stellte sie sich mir noch vor und es stellte sich heraus, dass sie die Enkelin des Grafen von Zeppelin war.

Es verstrichen drei bis vier Wochen, in denen ich nichts mehr von ihr hörte, als ich plötzlich einen Anruf von der Post bekam, ich hätte vier Säcke abzuholen. Sie hatte mir Bücher über die Verhaltensforschung geschickt. Alles, was zu jener Zeit im Westen erschienen war. Und somit fing ich an, mich mit Verhaltensforschung auseinanderzusetzen. Ich war damals der Einzige, der die beste Literatur im Land zum Thema besaß. Ich habe dann auch meine Doktorarbeit darüber machen wollen. Ich durfte aber nicht über Ethologie sprechen, weshalb mein Professor mir gleich den Titel meiner Arbeit änderte. Obwohl ich nur ein einziges Tier 14 Jahre lang beobachtet hatte. Es ging um den Säbelschnäbler, eine Vogelart. Am Ende hieß die Arbeit ungefähr „Die Ökologie und die Biologie des Säbelschnäblers“. Mein Professor, der mich betreute, verstarb und ich war kein Parteimitglied, weshalb ich nicht promovieren durfte. Ich bin dann von Jassy, wo ich mein Studium absolviert hatte und den Doktortitel erwerben wollte, nach Bukarest gegangen. Aber ich fand keinen Professor, der sich meiner Doktorarbeit annehmen konnte. Schließlich wurde über meine Promotion in Temeswar entschieden. In der Abteilung für Naturkunde des Banater Museums kamen die bedeutendsten Ornithologen des Landes zusammen. Darunter auch einige, die mich gut kannten. Schließlich konnte ich am 6. Juni 1981 meine Doktorarbeit vorstellen und promovieren. Es war die erste ethologische Arbeit im Land, die ich aber unter einem falschen Titel präsentieren musste. Nur so wurde sie erlaubt.

Haben Sie Ihre Gönnerin danach noch einmal getroffen?

Nein, ich habe sie nicht mehr getroffen. Ich hatte vor der Wende kein einfaches Leben gehabt. Mein Vater gehörte zu einer sozialen Klasse, die damals sehr unbeliebt war. Ich hatte meine Großmutter in Deutschland und meine Mutter ist eine Deutsche. Wir hatten Verwandte in Frankreich und Jugoslawien. Wenn man damals Verwandte im Ausland hatte, war das gar nicht gut. Da wurde man verdächtigt, ein möglicher Gegner des Systems zu sein. 1974 wurde ich von Professor Lothar Machura aus Wien eingeladen, ich erhielt vom Goethe-Institut aus Basel ein Stipendium, um im Westen Naturschutz zu studieren. Ich habe aufgrund eines Referates, das ich nachträglich eingereicht hatte, eine Silbermedaille erhalten. Nun durfte ich überhaupt nicht mehr das Land verlassen. Weder nach Bulgarien, noch nach Kuba, von wo ich ein Stipendium erhalten hatte. Es war mies.

Was glauben Sie, wie Ihr Leben ausgesehen hätte, wenn Sie nicht in Rumänien gelebt und gearbeitet hätten?

Ich hätte den gleichen Weg eingeschlagen, aber ich wäre wesentlich weiter gekommen. Denn in Rumänien durfte ich wegen meines Vaters nicht Leiter des Museums sein und man hatte mir ständig Steine in den Weg gelegt. Wieso der Sohn für die Schuld seines Vaters zahlen musste, habe ich nie verstanden. Wieso soll man ein Kind an die Wand stellen, weil der Vater das und das gewesen ist? Und das habe ich erlebt.