In der Erwartung der baldigen Wiedereröffnung eines der Wahrzeichen der Küstenstadt Konstanza, des fast 120 Jahre alten Casinos, das seit 2020 umfangreichen Renovierungsarbeiten unterzogen wird, kann dessen Geschichte als Kursaal, Kriegsspital, Gefängnis und erneut Unterhaltungseinrichtung von 20 reich bebilderten Plakaten abgelesen werden. Die vom lokalen Geschichts- und Archäologiemuseum organisierte Outdoor-Ausstellung verweilt bis Ende dieses Monats vor dem Casino am Königin-Elisabeth-Boulevard.
Zusammen mit der Erlangung ihrer Unabhängigkeit im Russisch-Türkischen Krieg von 1877-1878 gewannen die Vereinigten Rumänischen Fürstentümer unter der Herrschaft des Fürsten Karl I. von Hohenzollern-Sigmaringen die Dobrudscha zurück, die etwa 500 Jahre unter osmanischer Herrschaft stand – und damit den Zugang zum Schwarzen Meer sowie die Kontrolle über die Donaumündungen. Darauf begann eine Periode der Entwicklung und des Aufblühens für die Ortschaften entlang der Meeresküste, insbesondere für die von den Griechen in der Antike gegründete Hafenstadt Tomis, heute Konstanza, Hauptstadt des gleichnamigen Landeskreises.
Unter der neuen rumänischen Verwaltung wurden die Straßen in Konstanza umbenannt und die Stadt im Sinne eines Kurortes neugestaltet. Seit den ersten Jahren der rumänischen Verwaltung galt Konstanza als ein beliebter Sommerurlaubsort für die rumänische Elite.
Der Guarracino-Kursaal
Neu errichtete Hotels und öffentliche Bäder ermöglichten die Unterbringung und Körperpflege der Reisenden und Kurgäste. 1879-1880 wurden am Fürstin-Elisabeth-Boulevard entlang der Meeresküste die ersten Imbissstuben eröffnet sowie ein Kursaal oder Casino unweit des Genuesischen Leuchtturms, getauft nach dessen Erbauer Henry Guarracino. Darüber stand August 1880 in der Lokalzeitung „Farul Constan]ei“: „Direkt am Meeresufer gelegen, mit Fahnen geschmückt und recht geräumig, wurde er zum Treffpunkt aller. Tagsüber unterhalten sie sich, spielen Klavier, abends tanzen sie zur Musik der Militärblaskapelle“. Auch die Theateraufführungen und Bälle im Casino waren gut besucht. Der Zugang erfolgte über Eintrittskarten oder Abonnements zu erschwinglichen Preisen.
Zweites Gemeinschaftliches Casino
Stürme im Winter von 1891/1892 fügten dem Fachwerk-Casino schweren Schaden zu. Auf Befehl des Bürgermeisteramts wurde es abgerissen und neu aus Stein, Ziegeln und Holz gebaut, größer und eleganter als zuvor, sonst würde „das Fehlen eines gemeinschaftlichen Casinos unseren Kurort gefährden und in diesem Fall wäre der Schaden für die Stadt enorm“, hieß es in der Begründung.
Tagsüber ertönte die Musik des Militärorchesters des Infanterieregiments 34 Konstanza auf dem Königin-Elisabeth-Boulevard und bis spät nachts erfreute sich das Publikum der Musik eines berühmten Orchesters auf den beiden Terrassen des Casinos. Um Urlauber nach Konstanza zu locken, schaltete das Bürgermeisteramt sogar Werbung in wichtigen Tageszeitungen wie „Timpul“ oder „Universul“.
Aller guten Dinge sind drei
Mit der Jahrhundertwende 1900 leitete das Bürgermeisteramt ein großes Projekt ein, welches sich die Versorgung der Stadt mit Fließwasser, den Bau eines Abwassersystems, die Installation von elektrischer Beleuchtung, das Anlegen von ausgedehnten Grünflächen in der Stadt und der Umgebung, die Erweiterung des Königin-Elisabeth-Boulevards sowie den Bau eines neuen Gemeinschaftlichen Casinos zum Ziel setzte. Gemäß Plänen des Ingenieurs Anghel Saligny wurde der Königin-Elisabeth-Boulevard, der sich auf 620 Metern vom Hafen bis zum Genuesischen Leuchtturm erstreckt, um fast 60 Meter in Richtung Meer erweitert und mit einer Promenade versehen. Im Mittelpunkt des Boulevards war eine Plattform vorgesehen, die 46 Meter ins Meer hineinragen und auf der das neue Gemeinschaftliche Casino errichtet werden sollte. Im Erdgeschoss des Casinos sollten ein Saal für Poolbillard, ein Spielraum, ein Unterhaltungsraum, ein Leseraum und ein Buffet eingerichtet werden, im ersten Stock ein großer Ballraum, ein Musikraum, eine Theaterbühne usw.
Politische Machtspiele
Mit der Konzipierung der Baupläne beauftragte Bürgermeister Cristea Georgescu den rumänisch-schweizerischen Architekten Daniel Renard. Dieser entwarf ein Gebäude im Jugendstil mit hohen Fenstern in Form von Lyren und einer muschelförmigen Halbrosette an der Straßenfassade über den Haupteingang. 1905 übernahm Ion B˛nescu das Bürgermeisteramt, der für die Erbauung des Badeorts Mamaia bekannt ist, und übergab das Projekt des Casinos dem Architekten Petre Antonescu, der das Gebäude im rumänischen Stil entwerfen sollte, „damit wir unsere Herrschaft bis zum Meeresufer auch durch die Kunst behaupten“. August 1906, anlässlich des Tages der Marine, wurde der Grundstein des Casinos gelegt.
Mit der Regierungsänderung kam wieder Bürgermeister Cristea Georgescu an die Macht, der auf die ursprünglichen Baupläne von Daniel Renard zurückgriff. Der Architekt musste seinen Entwurf ändern, weil das Fundament bereits nach den Plänen von Petre Antonescu gebaut wurde. Infolge dessen verzögerte sich die Fertigstellung des Casinos, die nur ein Jahr dauern sollte. Aus diesem Grund und weil die Bauarbeiten mehr Geldmittel erforderten als im Bauvertrag vorgesehen, wurde ein Gremium gebildet, aus den berühmten Architekten Ion Mincu, Dimitrie Maimarolu und dem Bauingenieur Ilie Radu, das den Stand der Arbeiten feststellen und die nötigen Ergänzungen genehmigen sollte. Ein großer, mit der Terrasse hinter der Glastür verbundener Raum für das Restaurant mit Küche sollte eingerichtet werden, die Ehrentreppe durch einen spektakulären Arkadengang entlastet, Eingänge, Umkleideräume und Toiletten hinzugefügt, aber auch auf einige Treppen und Fenster verzichtet werden, so die Vorschläge des Gremiums.
Für den Entwurf der Theaterbühne und einiger Erweiterungen war der Architekt Victor [tef˛nescu zuständig. Die zusätzlichen Bauarbeiten koordinierte der Architekt Grigore C˛linescu, der weiter mit Daniel Renard zusammenarbeitete, obwohl ihn das Bürgermeisteramt vom Projekt entlassen hatte.
Am 15. August 1910, erneut zum Feiertag der Rumänischen Marine, fand die große Eröffnungsfeier des Casinos statt. 220 Gäste aus der lokalen und landesweiten Elite wurden zu einem üppigen Festessen im Restaurant des Casinos eingeladen. Dabei servierte das Haus Cap{a Wildeier, auf französische Art zubereiteten Donau-Hausen, Kalbsfilet, Foie-Gras mit Gelee, grünen Salat, Eiscreme, Waffeln, Bonbons, Obst, Dr˛g˛{ani-Wein, Saint-Julien-Wein, Rosé-Champagner G.H. Mumm, Kaffee mit Likör und Cointreau-Majestic-Likör als Digestif. Danach folgte das Fest und der Wettbewerb der Marine im Hafen, ein großes Kunstfest im Theatersaal des neuen Casinos und der Abend wurde durch einen Ball abgerundet, der bis in die Früh dauerte.
Bewegte Geschichte
Während des Ersten Weltkriegs fiel die wichtigste Hafenstadt Rumäniens und viele seiner Zivilgebäude, darunter auch das in der unmittelbaren Nähe des Hafens gelegene Casino, das als Kriegskrankenhaus fungierte, den Bomben der Zentralmächte zum Opfer. Das Gebäude wurde laut Berichten der rumänischen Verwaltung stark beschädigt, „von den bulgarischen, türkischen und deutschen Besatzungstruppen geplündert, dessen Theaterbühne zerstört, das Zinkdach gestohlen, ohne Türen und Fenster dem Schlechtwetter ausgesetzt“. Die kostspielige Sanierung des Casinos erfolgte etappenweise bis Anfang der 20er Jahre und in der Zwischenkriegszeit nahm es seine ursprüngliche Unterhaltungsfunktion wieder auf.
1928, anlässlich des 50. Jubiläums der Unabhängigkeit Rumäniens und Zurückgewinnung der Dobrudscha, wurden in Konstanza Großveranstaltungen organisiert, an denen sich die Königsfamilie Rumäniens beteiligte. Dabei hat man eine Jubiläumsausstellung, gewidmet den Bräuchen und Trachten der Rumänen und Minderheiten in der Dobrudscha, den unterschiedlichen Konfessionen, den Bildungseinrichtungen und der lokalen Wirtschaft, im Casino organisiert.
Ein zweiter Schicksalsschlag erschütterte das Leben der ruhigen Küstenstadt im Zweiten Weltkrieg, als die deutschen Truppen das Casino mieteten und darin eine Werkstatt einrichteten. Dadurch gingen Möbelstücke kaputt, Beleuchtungskörper und Spiegel verloren. Der russische Bombenangriff vom 3. Mai 1943, die Plünderung durch Diebe und der Einmarsch der Roten Armee nach dem 23. August 1944, trotz des unterzeichneten Waffenstillstandes und des Wechsels Rumäniens an die Seite der Entente, verursachten dem Casino weitere Schäden, die Anfang der 50er Jahre behoben wurden.
Zwei 2020 und 2023 in den Wänden des Gebäudes entdeckte Stücke Sackpapier zeugen von der längst geahnten und vertuschten Tatsache, dass Mitte des vorigen Jahrhunderts politische Häftlinge zur Zwangsarbeit an der Sanierung des Casinos eingesetzt wurden. Aufgelistet darauf sind 16 Namen, darunter der des Anführers der Gefangenen, Constantin Jojea, ein Architekt, der von der Zwangsarbeit am Donau-Schwarzmeer-Kanal ins Casino in Konstanza versetzt wurde, und jene der Leiter der Maurermannschaft, darunter der Siebenbürger Sachse Julius Marton. Er unterschreibt auch einen zweiten Zettel auf Deutsch, in dem er kurz über seine Haft erzählt. Julius Marton wurde 1902 in Altdorf/Unirea, im Kreis Bistritz-Nassod, geboren, hatte sechs Klassen abgeschlossen, als Maurer gewirkt und mit seiner Ehefrau und fünf Kindern in Heltau/Cisn˛die gewohnt. Er war zu drei Jahren Haftstrafe verurteilt worden, wegen „illegalen Grenz-übertritts“ 1943 nach Ungarn, von wo er 1948 in Rumänien zurückgekehrt war, haben Forscher erfahren.
Laut Angaben eines Überlebenden, Mircea Nicolae, haben insgesamt 100 politische Häftlinge für 14 Monate dort gearbeitet. 2012, bei einem Treffen mit deren Nachkommen, ließ dieser eine lange Liste mit den Namen der Häftlinge von der Baustelle des Casinos niederschreiben.
Infolge des Verfalls des Casinos durch die Auswirkung der feuchten, salzigen Meeresluft, der beiden Erdbeben 1940 und 1977 sowie des Betriebs im Laufe der Zeit wurde das Casino zwischen 1985 und 1987 einer gründlichen Renovierung unterzogen. Nach der Fertigstellung beherbergte es ein Res-taurant (160 Plätze), eine Café-Bar (90 Plätze), eine Konditorei (70 Plätze), eine Nachtbar (225 Plätze) und einen Konferenzraum (120 Plätze) und wurde vom Nationalen Tourismusamt ONT bis zum Fall des Kommunismus verwaltet.
Heute
Aufgrund mangelnder Investitionen verfiel das Casino nach der Wende 1989 erneut. Seit 2020 läuft ein komplexer Renovierungsvorgang im Wert von 90 Millionen Lei, der die Wiedereröffnung des Wahrzeichens von Konstanza immer weiter verschiebt, letztlich auf November 2024. Dieses soll auf seinen ursprünglichen Zustand restauriert werden und zwei Museen, Mehrzweckräume für verschiedene Veranstaltungen sowie ein elegantes Café beherbergen.