„Wir bieten eine gemeinschaftliche Erfahrung“

Interview zum 10-jährigen Jubiläum des internationalen Projekts „KineDok“, mit Andreea Bratosin, Koordinatorin für Rumänien

Für Andreea Bratosin ist „KineDok“ ein Herzensprojekt. Foto: Hara Mosteanu

Krieg, Klimawandel, Aktivismus oder Kunst, aber auch Gesundheit, Korruption und Armut sind einige der aktuellen Themen, die anhand von Dokumentarfilmen im Rahmen des Kinoklubs „KineDok“ unter die Lupe genommen werden. Seit zehn Jahren besteht in Rumänien und weiteren fünf europäischen Ländern dieses Projekt zum alternativen Vertrieb des Dokumentarfilms, das allein hierzulande rund 18.500 Zuschauer bei 1120 Projektionen vereinte. Eine der Besonderheiten an „KineDok“ ist, dass die Veranstaltungen in alternativen Räumlichkeiten wie Museen, Kunstgalerien, Bibliotheken, Kulturhäusern, Schulen oder in Terrassenlokalen stattfinden. Der Grund dafür ist einerseits die kleine Anzahl der staatlichen Kinos und andererseits der problematische Vertrieb dieses Genres in privaten Kinos, wo meist kommerzielle Filme gezeigt werden, nicht etwa Dokumentationen. Andererseits gibt es in der Tschechischen Republik, Slowakei, Ungarn, Kroatien, Georgien und Rumänien dadurch die Möglichkeit, mit Regisseuren, Produzenten und Protagonisten der non-fiktionalen Filme oder mit Fachleuten in unterschiedlichen Bereichen das Gesehene zu besprechen. Andreea Bratosin koordiniert „KineDok“ in unserem Land seit dessen Anfang. Mit ihr sprach ADZ-Redakteurin Laura Căpățână Juller.

Wie hat eigentlich alles angefangen?

Das Institut für Dokumentarfilm in Tschechien (IDF) hat 2014 das Projekt ins Leben gerufen, um Gemeinschaften zu gründen, die über Dokumentarfilme sprechen. Und überhaupt, um dieses Genre näher an das Publikum zu bringen und es beliebter zu machen. Im Kommunismus wurde es als Propagandamittel angewendet und man hatte noch diesen Nachgeschmack. Dabei sind Dokumentationen ein Weg, globale und universelle Probleme anhand von persönlichen Geschichten besser zu verstehen. Das kann dazu beitragen, dass die Zuschauer toleranter werden, mehr Mitgefühl für andere entwickeln, sich vielleicht sogar sozial implizieren.

IDF hat die Idee bei Festivals und Organisationen in mehreren Ländern vorgestellt und sie eingeladen, sich am Projekt zu beteiligen. Der Verein „One World Romania“ mit Sitz in Bukarest (Anm. Red.: der seit 17 Jahren das gleichnamige Festival für Dokumentarfilm und Menschenrechte veranstaltet) hat sich sofort angeschlossen und leitet das KineDok-Programm hierzulande.

Wir haben damals dann auch verschiedene NGOs und Bekannte in Rumänien gefragt, ob sie in ihren Städten Dokumentarfilme zeigen und besprechen würden. Arad, Bârlad, Kronstadt/Bra{ov und Galatz waren offen. Sie sind bis heute mit im Boot geblieben.

Inzwischen findet KineDok an 17 verschiedenen Orten in zehn Städten statt.

Das stimmt. Das Projekt ist organisch gewachsen. Es hat sich ein Netzwerk von Vertreibern gebildet und es haben sich Gemeinschaften gebildet, die regelmäßig zu diesen Veranstaltungen kommen, sich aktiv an den Diskussionen beteiligen, sich Gedanken zu den verschiedenen Themen machen.
Wir bekommen Anfragen, in weiteren Räumlichkeiten Filme zu zeigen. NGOs, Kulturmanager, aber auch junge Leute, die das Kulturleben in ihrer Stadt aufpeppen wollen, fragen an. Ebenso auch Festivals oder Universitäten, wie auch Schulen, die beispielsweise in der „Woche Anders“ oder im Unterricht bestimmte Themen wie Migration oder Umweltschutz auf eine kreativere Art verdeutlichen wollen.

Was nimmt sich KineDok vor?

KineDok fördert den Dokumentarfilm als Genre, entwickelt kritisches Denken, öffnet Perspektiven und erweitert Horizonte. Es gibt landesweit viele Menschen, die diesen Kinoklubs treu geblieben sind, viele neue kommen hinzu. Ich nenne einige Beispiele: in Bârlad hatte das „Vasile Pârvan”-Museum eine Zusammenarbeit mit der Rentenkasse, sodass das Publikum vorwiegend Senioren waren, in Arad sind es meist junge Leute, in Bukarest sind die Alterskategorien gemischt. All diese bringen auch andere Leute zum Film, reden über die Themen auch außerhalb der Klubs und bleiben bezüglich des Besprochenen – hoffentlich - nicht gleichgültig.

Nach welchen Kriterien werden die Filme ausgewählt?

Jedes Land schlägt neue einheimische Produktionen vor, die von den Koordinatoren aus den sechs Ländern angesehen werden. Sie entscheiden gemeinsam, welche Werke ins Programm aufgenommen werden. Es wird darauf geachtet, dass die Themen möglichst verschieden sind, aber auch aktuell und kinematografisch hochwertig. Dieses Jahr haben wir 22 Filme im Katalog, davon wählt jeder Kulturmanager diejenigen aus, die zu den Interessen seiner Mitbürger und zur Dynamik der Räumlichkeit, die er zur Verfügung hat, passen.

Was macht eine gute Veranstaltung aus?

Die Technik ist wichtig, denn man soll gut sehen und hören, aber es ist auch wichtig, dass der Organisator eine Gemeinschaft bildet. Sein Enthusiasmus und seine Energie sind ausschlaggebend für ein gutes Event. Es ist aber auch wichtig, eine Vision zu haben und die nötigen Ressourcen wie Zeit und Kontakte, um alles umzusetzen.

Wir empfehlen immer, dass KineDok als Kinoklub das ganze Jahr über läuft und die Projektionen immer am selben Wochentag um dieselbe Uhrzeit stattfinden, damit sich die Leute daran gewöhnen. In den wenigsten Städten ist das möglich. Dennoch laufen die Veranstaltungen vielerorts sehr gut.

Welche ist eine der tollsten Veranstaltungen, an die Sie sich erinnern?

Es gibt viele schöne Erinnerungen, aber als erstes fällt mir eine Veranstaltung in Galatz ein, im Museum für Visuelle Kunst. Die Veranstalterin ist mit Leib und Seele dabei und hat eine Gemeinschaft aufgebaut, die regelmäßig zu den Filmabenden kommt. Bei der Projektion eines Films über Menschen mit Behinderung hat jemand aus dem Publikum gesagt, dass er eine junge Frau kennt, die gerne am KineDok teilnehmen würde, wenn sie sich fortbewegen könnte. Das Publikum hat es ermöglicht, dass diese Frau bei der folgenden Veranstaltung dabei war. Es hat mich sehr beeindruckt, wie die Gemeinschaft zusammenhält.

Auch in Kronstadt/Bra{ov vereinen sich im Multikulturellen Zentrum der Transilvania-Universität Dutzende, viele davon sind Studenten und junge Leute. Ich erinnere mich an einen Abend, als ein Animations-Dokumentarfilm über Krieg und dessen Folgen gezeigt wurde. Der Saal war rappelvoll, die Anwesenden haben lange über die Thematik gesprochen und haben die Diskussion auch nach der Beendigung des Programms vor dem Gebäude weitergeführt.

Die Veranstalter organisieren manchmal auch Ereignisse wie Konzerte, Workshops, Tänze oder Ausstellungen nach den Filmprojektionen. Das ist auch sehr schön.

Welches sind die größten Herausforderungen für KineDok?

Die größten Herausforderungen hängen mit der Finanzierung zusammen. Wir bekommen durch den Koordinator des Projekts aus der Tschechischen Republik eine Teilfinanzierung von rund 60 Prozent über das Programm Kreatives Europa, dem Leitprogramm der Europäischen Kommission zur Unterstützung des Kultursektors und des audiovisuellen Sektors. Den restlichen Teil müssen wir selber decken und können das meist durch die Nationale Filmbehörde CNC machen. Es gab drei Jahre, wo wir nur vom CNC Geld bekommen haben, und das war sehr, sehr wenig.

Wie hat es das Projekt dennoch geschafft, bereits zehn Editionen zu überstehen?

Für mich persönlich ist es eine Leidenschaft, dieses Projekt zu koordinieren. Es motiviert unglaublich zu sehen, welche Auswirkung es in den einzelnen Städten hat, sowohl auf Erziehung und Bildung sowie auf den Gemeinschaftsgeist. Daher haben wir als Team immer Lösungen gesucht und alle Ressourcen verwendet, die wir hatten, um weiterzumachen. Polen und Bulgarien waren im Laufe dieser Jahre auch mit im Boot, sind aber ausgestiegen. Im Laufe der Jahre gab es in Rumänien 65 Partner, die Filme in 34 Städten gezeigt haben. Manche davon sind ausgetreten, aber es kommen immer wieder neue hinzu. Es ist schwer, sich öfter mal auch ehrenamtlich einzusetzen, denn Kultur ist hierzulande bekanntlich unterfinanziert. Deswegen ermutigen wir die Vertreiber bei unserem jährlichen Treffen, das im Frühling in Bukarest stattfindet, auch lokale Fonds anzustreben, beispielsweise von Lokal- oder Kreisbehörden oder auch von Sponsoren.

Ich bin stolz auf dieses Projekt. Mit der Zeit ist es gewachsen, und zwar schön und organisch, und die Kulturmanager im Land kommen mittlerweile ohne unsere Hilfe aus. Das bedeutet, dass sie selber wissen, welche Filme in ihrer Stadt und für ihr Publikum passen, mit welchen Institutionen oder Vereinen sie für jede einzelne Projektion zusammenarbeiten können und welche Fachleute wie Psychologen, Historiker, Filmkritiker, Akademiker, Umweltschützer, Künstler, Ärzte usw. sie einladen sollen. Nicht jeder versteht dieses Konzept des Kinoklubs und die Bedeutung der Diskussionen nach dem Film von Anfang an. Aber das kommt mit der Zeit.

Wie haben sich die Events im Laufe der Jahre verändert?

Anfangs gab es Filmvorführungen auch in Cafes und Bars, mittlerweile haben sich dafür geeignetere Plätze gefunden, wie Museen, Terrassen, Kulturhäuser, Kunstgalerien. Aber es hängt von der Dynamik jeder Stadt und jedes Veranstalters ab. 

Zudem haben wir heuer vier neue Elemente eingeführt: Vorführungen mit VR (virtueller Realität), wo der Film in 360 Grad erlebbar ist. Wir haben auch Archiv- und Kurzfilme in unser Programm eingeführt und zwei Leinwandgeschichten mit Fokus auf das Geschehen in der Ukraine.

Was sehr erfreulich ist und eine Bestätigung dafür, dass dieses Netzwerk solide ist, ist, dass in den letzten Jahren immer mehr rumänische Produzenten ihre Filme bei „KineDok“ zeigen wollen.

Was planen Sie für die Zukunft?

Die finanzielle Unterstützung des Kreativen Europa sichert weitere zwei Jahre, was uns sehr erfreut und uns motiviert, ab 2025 auch Kinderfilme einzuführen, im Rahmen der „KiniMiniDoks“.

Viel Erfolg und schönen Dank für das Gespräch!


Weitere Informationen zu den Filmen und dem landesweiten Programm (Arad, Bârlad, Bistritz/Bistri]a, Kronstadt/Bra{ov, Bukarest, Klausenburg/Cluj-Napoca, Eforie Sud, Galatz, Großwardein/Oradea, Reschitz/Re{i]a) sind unter kinedok.net erhältlich.