Wirklich Zeit für neue Religionen?

Oder Kopieren als Sakrament und copyright als Sünde

Bild: www.kopimi.com/kopimi

Das Christentum, der Islam oder der Buddhismus scheinen dem 21. Jahrhundert eindeutig nicht gewachsen zu sein. Die technische Entwicklung der letzten Jahrzehnte zieht nur sehr langsam in die Kirchen, Moscheen oder Tempel der weltweiten Religionen ein. Zögerlich finden die Gebetomaten ihren Platz zwar nicht in den Kulthäusern, doch auf den Straßen Deutschlands. Der moderne Mensch braucht aber mehr. Kurz vor Weihnachten beugten sich die schwedischen Parlamentarier dem Wunsch einer Gruppe, und anerkannten „Die missionarische Kirche des Kopimismus“ als offizielle Religionsgemeinschaft an. Es handelt sich dabei also nicht mehr um Sektanten.

Die Bewegung, die Mitte 2010 vom 19-jährigen Philosophiestudenten, Isak Gerson, gegründet worden war, erlangte bereits nach einem halben Jahr gewisse Anerkennung in Schweden: Anfang 2011 verdreifachte sich die Anzahl der Mitglieder auf 3000. Der Name „Kopimismus“ leitet sich vom phonetisch ähnlichen „copy me“/„kopiere mich“ ab. Der Weg zur staatlichen Anerkennung war nicht einfach. Innerhalb eines Jahres stellten die Kopimisten drei Mal den Anerkennungsantrag. „Das könnte mit einer völlig verdrehten Festhaltung der Regierungsorganisationen an einer sehr copyright-freundlichen Haltung zu tun haben“, sagte der Vorstandsvorsitzende der nun anerkannten Religionsgemeinschaft, der „glückliche“ Gustav Nipe.

Die frisch anerkannte Kirche verehrt keine Person, sondern die Information an sich als heilig.  Deren Kopieren hält sie für ein Sakrament. Die heiligen Symbole der Kirche sind die weltweit bekannten Tastenkombinationen „Strg+C“ und „Strg+V“ („Ctrl+C“ und „Ctrl+V“), die für Kopieren und Einfügen stehen. Gerade das Weiterverbreiten der Information durch das Kopieren ist die Aufgabe der Kirchenmitglieder, denn: „die Information hält in sich einen gewissen Wert, der durch deren Multiplizieren steigt“, wie es in einer Pressemitteilung der Kirche heißt. Eigentlich ist diese Idee gar nicht neu. Bereits der belgisch-amerikanische Physiker und Nobelpreisträger Ilia Prigogin hob den Unterschied zwischen den geschlossenen und offenen Systemen hervor: „Ein geschlossenes System hat im Prozess der Evolution die Tendenz, zu einer einfacheren, primitiveren Organisation und letztlich zur Entropie zu degradieren. Offene Systeme besitzen die Fähigkeit, mit der Umgebung Materie und Energie auszutauschen und sind somit in der Lage, sich auf dem Weg der zunehmenden Komplexität und Differenzierung zu bewegen.“ Diese physikalische Feststellung übertragen manche Philosophen auch auf den Bereich Kultur.

Gerade diese Öffentlichkeit fehlt nach Meinung Vieler dem geschlossenen System der traditionellen Kirche. In Rumänien könnte sich die neue Kirche des Zulaufs von Tausenden und Abertausenden Downloadern erfreuen. Das Potenzial gibt es, man muss es nur nutzen können. Gewiss könnten manche behaupten, diese Kirche sei gar keine Kirche. Die Anderen haben Jahrhunderte gebraucht, um ihre Theorien und Ideen auszuarbeiten, sie haben einen Erlöser vorzuweisen, einen Schöpfer, ein Jenseits etc. Der Kopimismus aber lockt durch seine Einfachheit, seine Ehrlichkeit: keine Geheimtuerei, kein auserwählter Stand der Priester, keine Vertröstung auf das „Leben danach“. Die Information gibt es hier und heute und wir müssen sie verbrauchen. Ein großer Mann der Geschichte, der von Millionen verehrt wird, bemerkte einmal völlig richtig: „Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen…“ Also, copy, paste, Amen.