WORT ZUM SONNTAG: 2. Zur Übersetzung und Auslegung der Heiligen Schrift

Die Tatsache, dass die Verbalinspiration der Bibel eine Parallele zur Inkarnation des Logos ist, hat die Christen von Anfang an zu einem sehr sorgfältigen, aber nicht unkritischen Umgang mit den überlieferten Schriften veranlasst. In ihrer Treue zum Herrn hat die Kirche stets allen Abweichungen nach links oder nach rechts, allen fremden Ergänzungen und Verkürzungen gewehrt, sodass wir heute Gottes Wort rein und lauter vor uns haben, genauso wie es in Psalm 12,7 besungen wird: „Die Worte des Herrn sind lauter wie Silber, im Tiegel geschmolzen, geläutert siebenmal.“

Dass die Bewahrung der Reinheit des Wortes Gottes auch damals schon nur unter großen Anstrengungen möglich war, bezeugt der Psalmist, indem er seiner Feststellung sofort auch eine Bitte anschließt (Ps. 12,8f): „Du, Herr, wollest sie bewahren und uns behüten vor diesem Geschlecht ewiglich! Denn Gottlose gehen allenthalben einher, weil Gemeinheit herrscht unter den Menschenkindern.“ Im 2. Petrusbrief 3,16 warnt der Apostel: In den Briefen des Apostels Paulus seien einige Dinge schwer zu verstehen, „welche die Unwissenden und Leichtfertigen verdrehen, wie auch die anderen Schriften, zu ihrer eigenen Verdammnis.“ Auch Luther ruft unüberhörbar in seine Zeit hinein: „Das Wort sie sollen lassen stahn!“ Heute ist es an uns, diese Reinheit des Wortes Gottes zu bewahren in starkem Glauben an Gott und unverbrüchlicher Treue zur überlieferten Wahrheit.

Nirgends tritt geistliche Verantwortung stärker hervor als dort, wo jemand sich daran macht, das Wort Gottes aus einer Sprache in die andere zu übersetzen: Da wird heiliges Land betreten und dafür muss man selber rein sein. Mutwillig Passagen aus dem Urtext zu übersetzen, einfach, weil man glaubt, es zu können, ist ein gefährliches Werk, wie ein weises Wort sagt: Wer statt des Zimmermanns die Axt führt, kommt selten davon, ohne sich zu verletzen. Damit wir vor dem geistlichen Schaden der Überheblichkeit bewahrt werden, haben wir kirchlich rezipierte und für den Gebrauch empfohlene Übersetzungen.

Spätestens seit dem Pfingstereignis in Jerusalem wissen wir, dass der Heilige Geist keine Vorzugssprache hat, sondern jeweils Muttersprache spricht. So können wir davon ausgehen, dass er den kirchlich anerkannten Übersetzern in gleicher Weise wie auch den Verfassern der Schriften die Feder geführt und das zum Ausdruck gebracht hat, was er auch meint. An dem gesegneten Werk vorbei noch unentdeckte Feinheiten finden zu wollen, bringt in der Regel als Strafe mit sich, dass man beim privaten Übersetzen statt Gottes Willen den eigenen bestätigt findet, wie es in Psalm 18,27 heißt: „Gegen die Reinen bist du rein und gegen die Verkehrten bist du verkehrt.“ Wer nämlich an der amtlichen Übersetzung zweifelt, der misstraut bald auch dem Verfasser und leugnet zum Schluss noch den Urheber.

Fast die gleiche Verantwortung liegt auch auf dem, der sich an die Erklärung und Auslegung der Schrift wagt, denn hier haben wir es erneut mit der Analogie zwischen Bibel und Jesus zu tun: Manche theologischen Bücher und Predigten sind wiederholte Kreuzigungen Gottes; sind feines Linnen, um Leichname gewickelt; kostbare Salben, die den Verwesungsgeruch übertönen sollen; sind geschmückte Gräber, in die ein gescheiterter Heiland versorgt wurde. Aus solchen gutgemeinten menschlichen Bemühungen aber aufersteht das lebendige Wort immer wieder siegreich und lässt sie als nutzlose Hüllen zurück. Die Bibliotheken der Welt sind voll davon, doch ist kein Leben darin.

Es gibt aber auch die anderen Bücher und Predigten, die wahre Weihnachtskrippen sind, aus denen uns Gottes Güte und Barmherzigkeit entgegenlacht; wahre Abendmahle zu Emmaus, bei denen unseren brennenden Herzen Erkenntnis zuteil wird; wunderbare Begegnungen am See Tiberias, wo wir nach allen Mühsalen und Widrigkeiten gestärkt und belohnt werden, oder es sind feierliche Abschiede bei Betanien, die uns zu freudigen Zeugen des auferstandenen Herrn machen. Dank, Lob und Ehre ihren Autoren.