Alle Menschen hungern. Sie unterscheiden sich nur dadurch voneinander, auf welches Objekt sich ihr Hunger richtet. Der Arme hungert nach Brot, der Reiche nach mehr Geld, der Sportler nach Erfolg, der Politiker nach Macht, der Lebemann nach Genuss, der Einsame nach Liebe, der Heilige nach Gott. Der Hunger ist die Triebfeder des menschlichen Handelns. Er treibt den Bauern zur Feldarbeit, den Arbeiter an die Maschine, den Börsenspekulanten zu gewagten Transaktionen, den Verbrecher zu kriminellen Taten, den Lebemann zum Laster, den Machtgierigen zu diktatorischer Gewalt usw. Woher kommt dieser Hunger, dem alle ausnahmslos verfallen sind? Gott hat ihn ins Menschenherz gelegt. Er meinte es gut mit uns. Der Mensch sollte, durch diesen Hunger angeregt, in allen Dingen dieser Welt Ihn, Gott selbst, suchen. Diesen gottgewollten Hunger hat der hl. Augustinus in folgende klassische Worte gefasst: „Du hast uns für Dich geschaffen, o Gott! Und unruhig ist unser Herz, bis es nicht ruht in Dir!“
Doch viele Menschen pervertieren diesen gottgewollten Hunger. Sie suchen ihn nicht mit der Erkenntnis und Liebe Gottes zu stillen, sondern einzig mit den Dingen dieser Welt. Von dieser Hungerpervertierung berichtet uns die Bibel schon auf ihren ersten Seiten. Die Stammeltern wandelten diesen seligen Hunger nach Gott in den unseligen Hunger nach den Dingen und Freuden der materiellen Welt um. Sie wollten ausschließlich vom Baum der Erdengüter essen. Machte sie dieser Genuss glücklich? Das Paradies wurde zu einer Wildnis, voll von Disteln und Dornen.
Wir, die Adamssöhne und Evastöchter, haben nichts daraus gelernt. Auch wir, ihre Nachkommen, sind diesem unseligen Hunger nach den lockenden und reizenden Güter der Welt verfallen. Schauen wir uns doch das Treiben der Menschen mit nüchternen Augen an. Was machen sie aus ihrem Leben? Es ist eine ruhelose Jagd nach erhöhtem Einkommen, nach erträglicheren Posten, nach Sinnesgenuss, nach Machtpositionen. Natürlich erwischt nur ein kleiner Teil die vollen Schüsseln, welche die materielle Welt uns anzubieten hat. Die Übrigen bleiben ungesättigt und schauen mit hungrigen Augen zu, wie die Erfolgreichen die vollen Schüsseln leeren. Haben wenigstens diese, von uns so Beneideten, die große Zehe des Glückes ergriffen? Weit gefehlt!
Wenn Reichtum das große Glück schaffen könnte, müssten alle Multimillionäre die glückstrahlendsten Menschen der Welt sein. Sie sind es nicht. Reichtum macht egoistisch, das Herz wird gefühllos für andere und kalt. Und in allen irdischen Gütern liegt eine große Täuschung. Sie verheißen mehr Glück als sie geben können. Es bewahrheitet sich das Sprichwort: „Schön ist nur, was man nicht hat. Denn, wenn man’s hat, dann ist man’s satt!“
Das Fazit unserer Untersuchung lautet: Wer mit kaltem, gefühllosem Herzen, wer nur mit Preisgabe der Sittlichkeit, wer als Mächtiger nur mit Angst aus den vollen Schüsseln der Welt essen darf, kann diesen Hunger trotzdem nicht stillen. Denn dieser Hunger ist wie ein Feuer. Je mehr es an brennbarem Material verzehrt, desto größer und unersättlicher wird es.
Wandeln wir doch den unseligen Hunger nach den Dingen dieser materiellen Welt in den Hunger nach Gott um. Das ist ein seliger Hunger. Er gibt den Blutzeugen die Kraft, Leib und Leben für die höchsten Güter der Menschheit zu opfern. Er macht das Herz gefühlvoll und hilfsbereit. All die herrlichen Taten christlicher Caritas werden aus diesem Hunger geboren. Dieser Hunger bringt die wunderschöne Blüte gottgeweihter Jungfräulichkeit hervor. Dieser Hunger treibt die Menschen nicht zur Herrschsucht über andere an, sondern zur Dienstbereitschaft. Er greift nicht nach dem Herrenkleid, sondern nach dem Kleid des Dieners und der Magd. Dieser Hunger weckt nicht die niederen Instinkte im Menschen, sondern alle edlen Triebe der Seele zum Wachstum, macht den Menschen gut und schenkt ihm eine heitere, weltüberlegene Gemütsverfassung. Dieser Hunger allein hat die Verheißung wahrer Sättigung: „Selig, die hungern nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden!“