Wort zum Sonntag: Glaubenspflege


Es gibt viele Religionen auf der Welt, die aber alle die Eigentümlichkeit haben, dass sie den Pflanzen gleichen. Die Pflanzen lassen sich nicht überallhin versetzen. Orangenbäume gedeihen nicht im kalten Norden. Andere Pflanzen verändern sich in einer fremden Umgebung. So ist es auch mit den Religionen, die nicht durch die Offenbarung Gottes vom Himmel, sondern von der Erde sind. Sie entstehen in einem Lande und kommen dort zur Blüte. Ihnen fehlt aber vielfach das Bestreben, sich in andere Länder zu verbreiten. Tun sie es, dann gelingt es ihnen nur dadurch, dass sie, wie die Pflanze, sich ändern und gleichsam die Lehre nach dem neuen Lande zurechtschneiden.

Die christliche Religion, Trägerin der Offenbarung Gottes, ist nicht auf ein bestimmtes Volk, auf eine bestimmte Kultur dieser Erde, sondern auf den aus Leib und Seele zusammengesetzten Menschen, auf sein nach immerwährendem Glück suchenden Herzen zugeschnitten.

Es gibt noch eine andere Ähnlichkeit zwischen der Pflanze und der christlichen Religion. Kulturpflanzen gedeihen nur auf einem Boden, der bearbeitet, gedüngt und bewässert wird. Auf einem verwahrlosten Boden mit steinigem oder versumpften Grund wachsen nur Disteln, Dornengesträuch und Unkräuter. So verwahrlost war das Banat, als unsere Voreltern hierher kamen, um das Gebiet zu besiedeln. Auch die Edelpflanze der christlichen Religion gedeiht nur im Menschenherzen, wenn dieser harte Boden mit der Suche nach Wahrheit gelockert, mit edler Gesinnung gedüngt und mit dem Verlangen nach Gott bewässert wird. Fehlen diese drei Faktoren, so verwildert das Herz. Es wird zu einem geistigen Boden, auf dem nur die Disteln der Habsucht, das Dorngesträuch der Genussgier, die Giftpflanzen des Bösen und der Sumpf des Lasters sich ausbreiten. Unsere Ahnen wandelten das verwahrloste Banat in eine Kulturlandschaft um, wie es Adam Müller-Guttenbrunn so treffend beschreibt: „Aus einer Wüste ward ein blühend Eden, aus Sümpfen hob sich eine neue Welt!“ So wie unsere Vorfahren das Banat urbar gemacht und später reiche Ernte eingefahren haben, so sollen wir den Herzensboden bearbeiten, dass die edelste Pflanze der christlichen Religion gut gedeihen und köstliche Früchte edlen Menschentums hervorbringen kann. Der gute Wille allein genügt nicht. Dem Willen muss die Tat folgen, soll sich nicht das Gleichnis eines Geistesmannes an uns bewahrheiten. Es lautet: Die Christen leben wie Gänse auf einem Hof. An jedem siebten Tag wird eine Parade abgehalten. Der Gänserich hält eine Rede. Er schnattert über das Wunder der Gänse,  von den Taten der Vorfahren, die einst zu fliegen wagten und lobt die Barmherzigkeit des Schöpfers, der den Gänsen Flügel und den Instinkt zum Fliegen gab. Die Gänse sind tief gerührt, senken in Ergriffenheit die Köpfe und loben die Predigt und den beredten Gänserich. Aber das ist auch alles. Eines tun sie nicht: Sie fliegen nicht. Sie watscheln zum Futterplatz, die Körner schmecken gut und der Hof ist sicher. - Soweit das Gleichnis. Jeder mag sich selber prüfen, wie es mit ihm steht. Nur wenn wir uns mit den Flügeln des christlichen Glaubens ausstatten, lernen wir das Fliegen in das „Reich der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens“. Ansonsten bleiben wir wie die Gänse am Futterplatz kleben.

Christus vergleicht seine Lehre vom Reiche Gottes mit einem Senfkorn. Es ist unscheinbar klein, wächst aber auf fruchtbarem Boden zum Baum. So ist es auch mit dem christlichen Glauben. Der Same des Glaubens wächst zu einem Baum heran, wenn wir den Herzensboden sorgsam pflegen. Halten wir uns an das Wort des Apostels Paulus: „Gleicht euch nicht der Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken!“ Unter „Welt“ versteht der Apostel das von Genussmenschen geschaffene gottwidrige Milieu. Diesem dürfen wir uns nicht angleichen.