WORT ZUM SONNTAG: Gute Gaben nutzen

Gott legt in jedes Menschenherz wertvolle geistige Gaben. Unsere Aufgabe ist es, sie zu erkennen und nutzbar zu gebrauchen. Viele Menschen versäumen diese Aufgabe, teils aus Unkenntnis, teils aus Bequemlichkeit. Entdeckt aber ein Mensch diese Gaben in sich und bringt sie zur Entfaltung, dann vollbringt er ungeahnte Taten. Erstaunt und verwundert fragt man: „Woher hat dieser Mensch das Zeug dazu?“ Ein solcher Mann, dem man in seiner Kindheit nie zugetraut hätte, dass er im Mannesalter Großes leisten würde, war Johannes Nepomuk Neumann aus dem Böhmerwald.

Er wurde 1811 zu Prachatitz in Südböhmen als Sohn eines Strumpfwicklers geboren. Der Junge war in sich gekehrt, oft von Selbstzweifeln und Skrupeln geplagt. Schon als Schuljunge war er ein Grübler. In einem Buch hatte er gelesen, dass die Erde eine im Weltall hängende Kugel sei. Das ließ ihm keine Ruhe und er konnte nicht einschlafen. Er stellte sich vor, dass diese Kugel vielleicht nicht sicher befestigt sei und sie könne in jedem Moment zusammen mit seinem Bett abstürzen. Dabei würde auch ganz Böhmen zugrunde gehen. Ängstlich rief er nach seiner Mutter. Diese beruhigte ihn mit dem Argument: „Wenn Gott die Erde in den Weltraum gehängt hat, wird er sich selbst darum kümmern. Du musst sie keinesfalls halten.“

Der Junge wollte Priester werden und wurde im südböhmischen Priesterseminar zu Budweis aufgenommen. Seine Mitschüler sahen in dem stillen, scheuen Jungen einen Angsthasen. Was könne schon aus ihm werden? Ein Pfarrer in einem kleinen Dorf oder ein kleiner gelehrter Stubenhocker. Doch eines Tages überraschte er alle als ein Draufgänger, denn er erklärte, er wolle Missionar in Amerika werden. Deshalb warf er sich mit Eifer auf das Erlernen der Sprachen. Ein richtiger Missionar muss fremde Sprachen kennen. Er lernte Italienisch und Spanisch. Bald beherrschte er sogar acht Sprachen. Offenbar hatte ihm Gott ein Sprachtalent in die Wiege gelegt.

Er blieb hartnäckig bei seinem Wunsch, Missionar zu werden. Da er aber selbst kein Reisegeld besaß, sammelten die Priester der Diözese Budweis das nötige Geld für ihn. Frohgemut reiste er nach Le Havre an die französische Atlantikküste. Dort bestieg er 1836 ein Segelschiff, das nach Amerika auslief. Die Reise dauerte 40 Tage, gefüllt mit Stürmen und Seekrankheit. Hinzu kam noch zusätzlich ein Engpass an Trinkwasser. Ermattet kam Johannes Nepomuk in Amerika an. Nach kurzer Zeit wurde er zum Priester geweiht. Die aufstrebende katholische Kirche in Amerika benötigte jeden Mann.

Dem jungen Missionar wurde sein Wirkungsfeld bei den Niagarawasserfällen zugewiesen. Dort sollte er etwa 300 katholische Familien betreuen. Seine Gläubigen wohnten verstreut auf einsamen Höfen im Umkreis von Hunderten Kilometern. Es gab weder Straßen noch Verkehrsmittel. So wanderte er durch Urwälder, Schlamm und Morast, durch Eis und Schnee, manchmal 80 Kilometer an einem Tag. Der Missionar übernachtete gewöhnlich in Blockhütten.

Als Seelsorger erkannte er die Notwendigkeit des Schulunterrichts für die Kinder. Er unterrichtete selbst die Kinder der Siedler in Christenlehre, Lesen, Schreiben, Rechnen und Gesang. Häufig trat bei den Siedlern Malaria auf. Johannes ließ sich aus der Heimat medizinische Fachbücher schicken und legte sich eine Apotheke mit Heilkräutern an. So wurde der Seelenarzt auch Leibarzt seiner Gläubigen. Die Einsamkeit machte ihm schwer zu schaffen.

Deshalb trat er in den Orden der Redemptoristen ein. Nun wurde ihm die Deutsche Pfarrei im Bezirk Baltimore mit etwa 4000 Menschen übertragen. Seine Pfarrei umfasste hundert Quadratkilometer. Auch hier organisierte der Unermüdliche Schulunterricht. Er schrieb zwei Katechismen in englischer Sprache, einen für Anfänger und einen für Fortgeschrittene.

Offenbar wurde Johannes Nepomuk auch im weit entfernten Rom bekannt. Papst Pius IX. ernannte 1852 den erst Vierzigjährigen zum Bischof von Philadelphia. Auch als Bischof blieb er der einfache Priester, putzte sich selbst die Schuhe und verschenkte seinen einzigen Kleiderschrank. Bei Seelsorgsbesuchen feierte er die hl. Messe in Schulen und öffentlichen Hallen. Er ließ Laien ausbilden, die den Gottesdienst gestalteten, wenn kein Priester da war. Der Bau der Kathedrale von Philadelphia geriet ins Stocken, weil der Bischof das Geld zum Bau von Schulen verwendete. Er wurde zum Wortführer des ersten amerikanischen Nationalkonzils zu Baltimore.

Am 5. Januar 1860 brach der erschöpfte Bischof auf den Straßen von Philadelphia zusammen und starb erst 48 Jahre alt. Aus dem einst scheuen böhmischen Jungen war ein herausragender Seelsorger geworden, auf den die Öffentlichkeit Amerikas hörte. Er hat seine ihm von Gott verliehenen Gaben gut gebraucht.