WORT ZUM SONNTAG: Im Leid gereift

Der Dichter Emmanuel Geibel (1815-1884) schrieb einst einen Spruch, der eine tiefe Lebenswahrheit enthält: „Kommt dir ein Schmerz, so halte still und frage, was er von dir will! Die ew’ge Liebe schickt dir keinen, bloß darum, dass du mögest weinen!” Der Apostel Johannes verkündet uns: „Gott ist die Liebe!” Aber dieser Gott der Liebe schickt uns nicht nur Lebensfreude, sondern auch Leid. Warum? Wir wissen: Nicht der Faschingstrubel hilft uns, bessere Menschen zu werden, sondern die Fastenzeit. Nicht durch sinnliche Leidenschaften reift der Mensch zum Edelmenschen, gar zum Heiligen heran, sondern durch das Leid. So wird das Leid nicht zum Fluch, sondern zum Segen des Menschen. Beispiel dafür ist das Leben der leidgeprüften Anna Schäffer.

Sie wurde am 18. Februar 1882 zu Mindelstetten im Landkreis Eichstätt geboren. Ihr Vater starb mit 40 Jahren an TBC. Die Not im Schreinerhäusl mit sechs Kindern war groß. Die 14-jährige Anna, genannt Nandl, ging auf Vermittlung des Pfarrers als Dienstmagd nach Regensburg, dann nach Landshut und zuletzt ins Forsthaus zu Stammham. Ihr Traum, Missionsschwester zu werden, wurde am 4. Februar 1900 für immer zerstört. Die 18-jährige Nandl, mit einer anderen Magd am Waschkessel tätig, kletterte auf einen Mauervorsprung, um ein gelöstes Ofenrohr zu befestigen. Im pubertären Übermut von der anderen Magd geschubst, stürzte Nandl mit beiden Füßen in die kochende Lauge. Die eilig zur Hilfe geholten Nachbarn zogen die über und über Verbrühte aus dem siedend heißen Wasser und brachten sie, vor Schmerzen brüllend, ins Krankenhaus. Stundenlang schnitten die Ärzte an den Brandwunden herum. Chloroform gab es nicht, nur Morphium. Ein Vierteljahr später nach Hause entlassen, versuchten mitleidige Ärzte, mit damals unzulänglichen Mitteln, die Schmerzen des leidenden Mädchens zu lindern. Die eiternden Wunden wurden mit diversen Salbenverbänden versorgt und tags darauf mitsamt daran klebender Blutkruste abgerissen. Dreißig Hautverpflanzungen wurden vorgenommen, dabei das eitrige und faulende Fleisch bis auf die Knochen weggeschnitten oder mit Höllstein weggebrannt. Die Feder sträubt sich, all das zu berichten, was die Leidende ertragen musste. Anna Schäffers Wunden marterten sie bis an ihr Lebensende, 25 Jahre lang, Tag und Nacht und fesselten sie ans Bett. Jede Bewegung eine Qual, waren ein paar durchschlafene Nachtstunden eine seltene Gnade.

Doch Nandl, scheinbar wie ein elendes, sterbendes Stück Fleisch dahinvegetierend, entfaltete fantastische innere Energien. Trotz der Schmerzen besaß sie einen sonnigen Humor, gab vielen Dauerpatienten Ratschläge. Ein Besucher notierte erschüttert: „Man hat die beschämende Einsicht, dass man für ein paar Trostpfennige aus dem inneren Reichtum des einfachen Mädchens eine Handvoll Goldstücke zurückerhält.” Sie klagte nicht über ihr Schicksal. Ihr Glaube gab ihr Halt, Zuversicht, Kraft, hielt jede Verbitterung von ihr fern. Immer sagte sie: „Es zählt nur, was Gott von uns will.“ Vom Beispiel Christi angeregt, der für uns Sünder starb, entwickelte auch sie den Sühnegedanken. Sie sah ihr unsägliches Leid als Teilhabe am Leiden Christi und trug es als Opfergabe Gott an.

Im Kriegsjahr 1914 opferte sie „32 Wunden, welche sehr stark schmerzen“ ausdrücklich für die auf beiden Seiten des Schlachtfeldes verübten Verbrechen. Ihr Lebensprogramm wurde „Liebe für Liebe dem liebenden Heiland gegenüber“. Mit ihrem Leiden wollte sie den geschundenen und sterbenden Jesus begleiten. Nach eigenen Worten war sie bemüht, „dass ich öfter gute Taten als schöne Gefühle hervorbringe“. Angeblich hat sie die Wundmale Christi getragen. Ihrer gewahr werdend bat sie, Christus möge ihr die Stigmata nehmen, aber die Schmerzen lassen. Ihr Gebet wurde erhört. Sie starb am 5. Oktober 1925. Papst Johannes Paul II. sprach sie am 7. März 1999 selig. Die Schmerzen, die die „ewige Liebe“ ihr zusandte, beklagte sie nicht. Im Leid reifte sie zur Heiligen heran. Möge sie anderen Leidenden Vorbild und Ermunterung sein.