WORT ZUM SONNTAG: Zivilcourage durch Christusliebe

Im Laufe der Zeit sind viele politische Parteien entstanden, kündigten großartige Programme an und sind wieder in der Versenkung verschwunden. Andere konnten nur überleben, indem sie ihre Programme so änderten, dass von den ursprünglichen Ankündigungen kaum etwas übrig blieb. Dasselbe Schicksal erlebten auch Vereine, die einst viele Mitglieder zählten. Um so erstaunlicher, dass eine kleine Gemeinschaft, weder vom Staat noch anfangs von der Kirche gefördert, 400 Jahre überlebt hat: die Katharinenschwestern, gegründet 1571 im ostpreußischen Braunsberg, von Regina Protmann. Ihr Programm ist einfach. Sie arbeiten in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Schulen und Kindergärten. Ihre Gemeinschaft bleibt bestehen, solange es Kranke, Alte, Hilfsbedürftige gibt und tätige Liebe in den Menschenherzen nicht ausgestorben ist.

Regina Protmann wurde im Jahre 1552 in der ostpreußischen Hansestadt Braunsberg geboren. Ihre Eltern waren vornehme Patrizier, sodass Regina in besten Verhältnissen aufwuchs. Ihr Biograf  berichtet, dass Regina ein hübsches Mädchen war, das von Verehrern umschwärmt wurde, doch weder attraktive noch reiche Männer machten Eindruck auf sie. Sie ließ sich nicht blenden. Sie sah das Elend, das hinter der Fassade der reichen Handelsstadt lauerte: Kriegskrüppel und Bettler auf den Straßen, Gewaltherrschaft der Besitzenden und Rechtlosigkeit der Armen. In all den Leidenden erblickte sie das geschundene Antlitz Christi, zu dem ihr empfindsames Herz in Liebe entbrannte.
1571 fasste Regina einen hochherzigen Entschluss. Sie wollte nicht als reiche Handelsfrau in den Tag hineinleben, wie es die gleichaltrigen Mädchen ihrer sozialen Klasse erstrebten. Der Schritt, zu dem sich die Neunzehnjährige entschloss, wurde zu einer Sensation, ja einem Skandal.

Sie kehrte dem Elternhaus den Rücken und zog mit zwei Freundinnen in eine armselige Wohnung – in der damaligen Zeit unvorstellbar! Dort wollten sie eine neue Form des Christseins aufbauen. Dazu gehörte ein fester, unerschütterlicher Glaube und die Zivilcourage, allen Vorurteilen und Vorwürfen zu trotzen. Regina und ihre Gefährtinnen besaßen beides. Die Vorreiterin der christlichen Nächstenliebe wollte keinen neuen Frauenorden gründen. Denn Orden war eine strenge Klosterklausur vorgeschrieben. Für Reginas Ziel war diese nicht geeignet. Sie brauchte Bewegungsfreiheit. „Neu und unerhört“ nennt es ihr Biograf, dass Regina eine nur ordensähnliche Existenz mit karitativer Arbeit verband.
Mit Staunen bemerkten die Stadtbewohner, wie die merkwürdigen Einsiedlerinnen in Spitäler und Privathäuser gingen, wo Kranke oder mittellose alte Leute dahinsiechten. Das Wirken der Frauen war nötig, denn für solche Leute gab es damals keine Hilfe.

Aber dies genügte Regina nicht. Sie nahm sich auch der Kinder der armen Leute an, die auf dem Feld oder in Handwerkerstuben mitarbeiten mussten. Für sie gab es weder Schule noch sonstige Bildungsangebote. Deshalb gründete Regina eine Elementarschule für Mädchen. Weder städtische noch kirchliche Behörden unterstützten sie. Den behäbigen Bürgersleuten erschien eine Schule für Arme überflüssig oder gar gefährlich. Am Ende forderte eine Dienstmagd, die Lesen und Schreiben gelernt hat, mehr Lohn oder Rechte! So etwas durfte nicht geschehen. Was hat die verwöhnte Patrizierstochter nur so verwegen gemacht? Von der Liebe Christi inspiriert, wollte sie nicht mehr zu den Bevorzugten gehören. Sie suchte eine Liebe ohne Enttäuschung, einen Lebenssinn ohne Trug, eine Gewissheit ohne Zweifel. Diesen zuverlässigen Partner fand sie in Jesus Christus. Ihn sah sie in den Hilfsbedürftigen. Zum Glück ist nicht nur das Böse ansteckend, sondern auch das Gute. Deshalb gesellten sich viele Helferinnen zu ihr. Die Gemeinschaft der Katharinenschwestern wuchs und wirkt heute in allen Erdteilen. Regina starb 60-jährig am 18. Januar 1613. 1998 sprach sie Papst Johannes Paul II. selig. Spät, aber nicht zu spät. Gott ist in seiner Anerkennung viel, viel schneller als die Menschen.