Wozu Häuser?

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Haben Sie sich schon mal gefragt, wozu die Menschen Häuser haben? Blöde Frage, zum Wohnen natürlich, mag jetzt so mancher erwidern. In Rumänien ist dies jedoch nur die halbe Wahrheit. Denn vor allem auf dem Land halten sich die Menschen kaum jemals in ihren Wohnräumen auf. Im Winter nicht, weil sie aus Spargründen ungeheizt sind und alle Familienmitglieder in der Küche hocken, essen und schlafen. Und im Sommer nicht, weil man sich dann fast nur draußen aufhält. Gekocht und gegessen wird in der offenen Sommerküche im Hof.

Bei Erszi-Néni und Marci-Báci aus meinem Wahlheimatdorf kannte ich jahrelang nur die winzige Küche mit dem riesigen Bullerofen, einem kleinen Tisch, dem halbvollen Katzennapf darunter, mit oder ohne Kater, und einer Schlafstatt, die tagsüber säuberlich abgedeckt war. Hier spielte sich das Leben der beiden alten Leutchen ab – vom gemeinsamen Korbflechten und Brot backen bis zum abendlichen Glas Wein mit den Nachbarn. Unter dem Holzofen stand eine Kiste, in der es ab und zu scharrte und leise zwitscherte. Tagsüber durfte der Inhalt frei über den Küchenboden wuseln. Ganz schön viel Leben für ein paar Quadratmeter Raum...

Eines Winters konnte ich jedoch zufällig einen Blick in die heiligen Hallen ihres großzügig bemessenen Bauernhauses werfen. Schon beim Öffnen der Wohnzimmertür schlug mir ein eisiger Wind ins Gesicht. Wäre es feucht, würden hier Eiszapfen wachsen. Drinnen dann ein Paradies aus Plastik: ein buntes Stoffsofa, diverse edle Spitzenkissen, die festliche Tischdecke und ein handgewebter Wollteppich – alles doppelt und dreifach mit schützender Kunststofffolie abgedeckt. Nur nichts anfassen, damit es sich nicht abnutzt.

In einer Ecke lagern die vielen Körbe, die Erszi-Néni an langen Winterabenden flicht. Hohe Besucher, für die das „Protokollzimmer“ zu Ostern und zu Weihnachten feierlich geöffnet wird, nehmen wohl vorsichtig auf der knirschenden Folie Platz. Ob das Zimmer eine Woche vorher auf mollige 13 Grad geheizt wird? Oder müssen sich die Gäste zitternd in das Plastik wickeln, um sich nicht den Allerwertesten abzufrieren?

Andererseits bietet auch mein Bauernhäuschen dem dörflichen Zeitgenossen so manches für ihn Unvorstellbare: Zum Beispiel einen Raum, den ich tatsächlich Sommer und Winter benutze und daher mit Recht als Wohnzimmer bezeichne. Leer in der Mitte und spärlich möbliert, damit die Bilder an der Wand besser wirken, mit bullerndem Kachelofen, knautschigem Ecksofa und einem kleinen Laptop-Platz am Fenster ist es eine Oase der Gemütlichkeit, wo man lümmelt und liest oder im Internet surft. Und wo nicht gegessen oder geschlafen wird, weil ich auch Küche und Schlafzimmer tatsächlich benutze, braucht man keinen Tisch in der Mitte und kein Bett an der Wand. Logisch, nicht? Doch die junge Nachbarin bekommt den Mund vor Staunen nicht zu: „Sowas gäb’s bei uns nicht! Da würden ja die Leut meinen, wir könnten uns keinen Tisch und kein Bett leisten!“ So quillt denn ihr eigenes „Wohnzimmer“ vermutlich über vor einladenden Sitzmöbeln. Wissen tu ich es freilich nicht. Wir hocken ja immer in der Küche.

Das eigene Haus – obwohl man es kaum benutzt, ist in Rumänien dennoch ganz wichtig. Denn zur Miete wohnen – in Deutschland für einen beruflich flexiblen Menschen ganz normal – gilt hier als Armutszeichen. Wer mietet, wohnt allenfalls im Block. Oder er ist ein auf Zeit entsandter Ausländer, der seinen festen Wohnsitz im Heimatland hat.

„Hast du denn gar kein Zuhause?“ wurde ich früher oft ungläubig gefragt, als ich mit rumänischen Gruppen nach Deutschland reiste und im Hotel übernachtete. Für sie zählte mein gemietetes Bukarester Domizil einfach nicht. Obwohl ich auch dort tatsächlich alle Zimmer benutzte...