Nun ist uns, isoliert in unserer Filterblase, doch tatsächlich ausgerechnet der entgangen, der am 24. November wie ein Schachtelmännchen an die Spitze der Präsidentschaftskandidaten über alle anderen illustren Köpfe dreist hinweggesprungen ist: „Überraschung!“ ruft das Kasperle und landet mitten auf der Bühne.
Am Morgen des Wahltags bekam mein Mann noch eine Nachricht von einer Whatsapp-Gruppe: Darin wurde Călin Georgescu vollmundig als neuer Präsident angekündigt. Mit ziemlich populistischen Worten und aus derselben Ecke, die uns 2020 schon das Kommen der AUR signalisierte… Geglaubt hat’s damals keiner. Und auch diesmal lachten wir bloß beide auf und rollten mit den Augen. Und ich fragte ihn, wie so oft: „Wieso stellst du diesen Scheiß nicht ab? Das sind doch Extremisten.“
Den Scheiß abstellen… Das kann man auf sozialen Medien. Die Verrückten, die Unmöglichen, die Undiskutablen, die mit ihren Bot-Kanonen Verschwörungstheorien ins Netz schießen, sind doch nicht unser Niveau. So dachten wir wohl alle, und die Filterblase brodelte halt ohne uns weiter... Bis sie am Wahltag hochkochte. Wie ein Vulkanausbruch. Der unser Land nun mit einem Schlag um Lichtjahre zurückwerfen, vielleicht sogar die Errungenschaften der letzten drei Jahrzehnte infrage stellen könnte. NATO- und EU-Mitgliedschaft, PNRR und Schengen und und und... alles für’n Arsch gewesen? Ukraine-Unterstützung: verpuffffft…. Deutsch-rumänische Freundschaft: Wie lange noch, kann man uns im Westen jetzt noch trauen?
Noch am Freitag vor dem „Urknall“ habe ich in der ADZ die erschreckende Hypothese einer rumänischen Universitätsdekanin zitiert: Dass Populismus und Extremismus unvermeidbare Konsequenzen des neuen Kommunikations-Ökosystems sein könnten. Mit parallelen Informationskanälen, geschlossenen Kreisen in Social-Media-Gruppen, Bot-Armeen und Trollen auf Plattformen mit dubiosen Besitzern und radikalisierenden Algorithmen. Dies alles auf einem verblödenden Niveau, denn der Content muss raus im Stakkato-Takt, schnell Platz machen für den neuen Mini-Clip per Smartphone-Blubb.
Wir haben nicht aufgepasst! Und – schwupps – flutsch – oops?! - geht das Land den Bach hinunter. Wer weiß, was dieser Erdrutsch alles mitreißt…
Ach ja, was mir mein Mann geantwortet hat? „Lass mal, ich will wissen, wie die denken.“ So manches Mal hat er dann tatsächlich den Kopf geschüttelt und gemurmelt: „a luat-o pe arătura“ (jetzt spinnt er aber), der Bekannte, der ihm das alles schickt. Im normalen Leben ein Mensch mit herausragenden Leistungen, in gewisser Weise sogar ein „Idealist“. Großes hatte er bewirken wollen, war aber überall abgeprallt: an Arroganz, an Korruption, an unlogischen Gesetzen, an realen und imaginären Hindernissen, am „System“. Nirgendwo hat man ihm zugehört. Er war unbequem. Gibt es das, dass aus „Idealisten“ Extremisten werden? Ist das die Filterblase der Frustrierten? Zu der sich dann die der allem Überdrüssigen gesellt, beratungsresistent und selbstherrlich, denen jedes Argument am Allerwertesten vorbeigeht...
WIR gegen DIE: so denken die Extremisten. DIE sind alle, die gegen sie reden, denken und lenken und ihnen den Mund verbieten, so dass sie nur noch im Internet auf obskuren Kanälen kommunizieren.
WIR gegen DIE: so funktionieren ihre Filterblasen – aber auch unsere! Einander ausschließend, verstärkt vom Algorithmus der Social Media. Und dann kommt eben sowas raus!
Die Folgen der Parallelexistenzen: In der GLOBSEC Trends Studie 2020-2024 haben 83% der Rumänen sich für die EU ausgesprochen (89% der zwischen 18- und 34-Jährigen), Trend steigend. Das Vertrauen der Rumänen in die NATO erreichte in diesem Jahr ganze 88%. Am 24. November 2024 aber haben knapp 23%, also ein großer Teil derselben Rumänen, Călin Georgescu gewählt: russlandfreundlich, NATO-kritisch, mit Anti-EU Rhetorik. Hat er verschwitzt, diese Kleinigkeit auf seinen TikTok- Wahlkampfclips zu erwähnen?
Er sei kein Extremist, er liebe nur Rumänien, sagt er auf alle Vorwürfe hin, er sei mit „Herz und Leben“ dem rumänischen Volk verbunden. Aber so mancher allzu verbissen Liebende hat seine Angebetete schon in den Tod gerissen. Und keiner hat es kommen sehen.