Zugebissen: Der Kern des Sommerapfels

Die Farbe des Sommerapfels ist pastellgrün. Sein Geruch ebenso. Man könnte das auch über seinen Geschmack behaupten, mit seiner leicht fruchtigen Säure. Beißt man zu früh hinein, zieht einem der Saft der unreifen Frucht die Wangen zusammen. Reift er zu lange, so wird er mehlig-fad. Dazwischen liegen zwei, vielleicht drei Wochen voller Genuss. Voll war der Genuss aber nur anfangs, da bald die Einmachgläser aus dem Keller hoch geholt werden mussten, um sie heiß auszuwaschen und mit Apfelmus zu befüllen. Wenig später, im August, kam Himbeergelee hinzu, das die Eltern mit jenem Apfelmus gestreckt schließlich winterfest eingemacht haben. Die richtige Mischung war das Ergebnis mehrjähriger Versuche mit bleibendem Geschmack. Als hätten die Kerne jener Sommeräpfel Triebe entwickelt, reifen heutzutage die schönen Gedanken fast ein Jahr lang, um dann, gut vorbereitet, innerhalb zwei, vielleicht drei Wochen verwirklicht zu werden. Der Geschmack von langsam gereiftem Genuss hält länger als einen Sommer, mitunter ein Leben lang.

Mit der Reife der Sommeräpfel kommen alljährlich Sommersachsen nach Rumänien. Umgangssprachlich sind Sommersachsen Rentner, die in der warmen Jahreszeit in der alten Heimat Siebenbürgen sind, aber wenn’s kalt und feucht wird, die Annehmlichkeiten im Westen schätzen und nutzen. Verwerflich ist das nicht: Sie haben doch hüben und drüben mit Fleiß ihr Zuhause erarbeitet.

Sommersachsen bringen häufig ihre Enkelkinder mit und öffnen für sie die Einweckgläser der Erinnerungen vor Ort. Wer weiß, vielleicht bleibt so manches im Kern erhalten und treibt eines Tages wieder Wurzeln, frische Zweige und trägt sogar Früchte. Einen Kern zum Keimen zu bringen, ihn zu pflanzen – das ist eines. Aber wachsen sollte der neue Trieb schon selber wollen.

Neugierde ist bei jungen Leuten leicht geweckt, wenn man ihnen Kirchenburgen zeigt und damit verwoben Legenden und Geschichten erzählt. Das klappt bei den Schlössern der Loire und der Toskana ebenso. Ganz nett sind ja auch Folkloreabende in all-inclusive-Ferienressorts mit feschen Tanzpaaren in Trachten und flotter Volksmusik. Dazu optional buchbar sind Halbtagesausflüge zu Dörfern mit tradierten Handwerkstätten. Noch schnell ein Souvenir gekauft, dass daheim im Regal neben denjenigen aus den Vorjahren verstaubt. Alles bestens geeignet für schöne Urlaubsfotos, ebenso schnell auf Facebook hochgeladen, wie alsbald wieder vergessen – der Alltag holt einen rasch wieder ein. Wo ist denn für junge Leute der Unterschied zu einem Urlaub/Ferien in der Heimatregion ihrer Eltern? Was sind schon zwei, vielleicht drei Wochen in einem Jahr?

Erst wenn Freundschaften vor Ort neu entstehen, die länger als einen Sommer halten, bleibt ein willkommener Nachgeschmack, entsteht ein Bezug zu Orten, der für die Nachfolger der Erlebnisgeneration prägend sein kann. Neben etablierten Brauchtumsveranstaltungen und Fachvorträgen werden beispielsweise bei der Haferlandwoche verstärkt partizipative Workshops angeboten. Bei einer Biokäserei oder der dörflichen ökologischen Kläranlage werden Leute & Lebensweisen kennengelernt. Bereits in der ADZ angeregt wurde auch lokalen, aber nichtdeutschen Volkstanzgruppen Gastauftritte zu ermöglichen. Workshops für zweisprachiges literarisches Schreiben bieten eine zusätzliche Möglichkeit an, weitere Perspektiven und Menschen kennenzulernen.

Eine rumänische Redensart lautet: „Omul sfințește locul“ (Der Mensch heiligt den Ort). Ein vermutlicher Lutherspruch besagt: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch einen (Sommer-)Apfelbaum pflanzen.“ Beide Aussagen bergen den gleichen Kern in sich.