Zugebissen: Ohne Grenzen – aber grenzenlos?

Er kam als Erstgeborener zur Welt. Als solcher wuchs er auf, heiratete unter Seinesgleichen, bestellte das Feld, arbeitete, erbte. Fortan galt zweien seine besondere Aufmerksamkeit: Seinem Grund und Boden sowie seinem Sohn, dem Erstgeborenen. So, oder so ähnlich klingen historische Romane. Und wie klingt die Gegenwart?

Die Siebenbürger Sachsen, weitgehend ausgewandert, planen heutzutage ein großes Treffen in der Region Hermannstadt: im Spätsommer 2024. Motto: „Heimat ohne Grenzen“.

Das war nicht immer so. Früher feierte man die Feste, wie sie kamen. Nun, fernab der alten Heimat, sind Feste in der Gemeinschaft zum elementaren Bedürfnis geworden – jenseits aller Grenzen. Doch ist die regionale Verortung von Heimat eine solche, ohne Grenzen? Praktisch trifft das zu, man ist sich über Staatsgrenzen hinweg nahe – keine Selbstverständlichkeit, wohl wahr! Wie sieht es hingegen im übertragenen Sinne aus, metaphorisch betrachtet? 

Für mich, als Hosmok – das heißt süffisant Hermannstädter – und Siebenbürger Sachse ist Heimat nicht frei von Grenzen. Sie waren immer da, sie wurden gesetzt, von anderen, von uns, von mir. Sie dienen der Identitätsfindung: Das bin ich, das sind wir und das sind die anderen. Doch was/wer bin ich, ohne jene anderen? Ein anderer. Es stellt sich die Frage, wie durchlässig solche Grenzen gestaltet werden. Denke ich an Heimat, denke ich an einen definierten soziokulturellen Raum, in dem ich aufgewachsen bin. Jene, meine innere Heimat, das, was mich von Kindesjahren an zunehmend ausmacht, das ist hingegen grenzenlos.

Eine grenzenlose innere Heimat also, bei einer äußeren, räumlich definierten Heimat mit administrativen wie auch empfundenen Grenzen. Wie kam es dazu? In der Kinderstube sprach ich, spielte ich, aß ich, verhielt ich mich anders als der rumänische Nachbarjunge, mit dem ich so gerne im Hof gespielt hatte. Ich lernte ihn kennen, wie er sprach, wie er spielte, was er aß. Wir verstanden uns gut. Wir lernten von einander spielend, übernahmen voneinander unmerklich Gewohnheiten und vieles mehr. Das prägte mich und die meisten meiner Landsleute – mehr oder weniger.

Zweisprachigkeit zeichnete mich fortan aus. Auf Reisen mit den Eltern stellten wir zwischen Siebenbürger Sachsen und Rumänen in der M²rginimea Sibiului neben Unterschieden auch gemeinsame Formen und Muster zwischen bäuerlichen Möbelstücken, Trachtenteilen, Kochrezepten, Bauelementen fest. Es waren gegenseitige kulturelle Anleihen, wie es bei grenzenlosen benachbarten Kulturkreisen gängig ist.

Die Steigerung von „ohne Grenzen“ lautet „grenzenlos“. Dieses Adjektiv birgt viel in sich: Keinen auszugrenzen, nichts zu begrenzen und schon gar nichts und niemanden einzugrenzen. Das Eigenschaftswort „grenzenlos“ setzt „loslassen“ als Tätigkeitswort voraus. Loslassen? Es mutet wie ein Paradox an: Je weiter auf der Welt verteilt Siebenbürger Sachsen leben, desto offener müssen sie ihre jahrhundertealte Gemeinschaft gestalten, anstatt Geschlossenheit zu zelebrieren. Grenzenlos miteinander arbeiten UND miteinander feiern vereint Kopf mit Herz und ist von Dauer.

Die Siebenbürger Sachsen aus dem heutigen Rumänien planen im Spätsommer 2024 ein großes Treffen, mit siebenbürgisch-sächsischen Jugendgruppen, Volkstanzgruppen, Blaskapellen, Chören, Ortsforen, Kirchengemeinden, Heimatortsgemeinschaften, Kreisgruppen aus mehreren Ländern in einem Europa ohne Grenzen. Die Nachbarn von früher und heute – sie sind wohl nicht vorgesehen. Es wird ein länderübergreifendes Festtreffen unter dem Motto „Heimat ohne Grenzen“ mit selbst auferlegter Begrenzung in nächster Nähe. Es sei denn, die heimatverbundenen Menschen ändern das.