Zurück zu den Wurzeln

Preyer-Monographin Radegunde Täuber reiste mit ihrer Familie nach Rumänien

Germanistin Radegunde Täuber und Historiker Claudiu Călin haben sich in Temeswar kennengelernt und wertvolle Informationen ausgetauscht.

Bei einem Besuch in der Domgruft stößt Radegunde Täuber auf viele bekannte Namen. Es ist eine Begegnung mit der alten Geschichte von Temeswar. | Fotos: die Verfasserin

Ein heißer Donnerstag im Juni. Alle Terrassen am Domplatz/Piața Unirii warten auf Besucher, die Kühlungsanlagen sind voll im Einsatz. Auch Touristen sind schon viele unterwegs – die örtlichen Touristenführer helfen ihnen dabei, Temeswars bebautes Erbe näher kennenzulernen, die Geschichte des Ortes besser zu verstehen. Aus Deutschland angereist sind am Tag zuvor Radegunde Täuber und ihre Familie. Der Name „Radegunde Täuber“ ist den Germanisten aus Temeswar und nicht nur ihnen ein Begriff, denn Radegunde Täuber war von 1970 bis 1980 als wissenschaftliche Assistentin mit Lehrauftrag am Germanistiklehrstuhl der West-Universität Temeswar/Timișoara tätig. Die nach Deutschland ausgewanderte Banater Deutsche besucht nun „ihr“ Temeswar zum letzten Mal, wie sie das sagt. „Ich bin unendlich dankbar, dass die Kinder und Enkelkinder wissen wollten, wo wir gelebt haben, wie die Ortschaften waren“, sagt die 84-jährige Radegunde Täuber. 

Wiedersehen vertrauter Orte

Ein Teil der Familie reiste über Bukarest, Sinaia, Törzburg/Bran, Rosenau/Râșnov, Kronstadt/Brașov, Hermannstadt/Sibiu und Hunedoara nach Temeswar. Die große Rumänien-Reise war schon vor einigen Jahren geplant worden, doch dazu kam es erst in diesem Jahr. Für ein Wiedersehen mit vertrauten Orten und das Kennenlernen der eigenen Wurzeln ist es ja sowieso nie zu spät. Die Reise führt auch durchs Banat, nach Sanktanna/ Sântana, Schiria/Șiria, Lippa/ Lipova und Maria Radna.

In Temeswar besuchen die Gäste aus Deutschland u. a. das Museum der Römisch-Katholischen Diözese Temeswar und gehen anschließend zu Fuß in den Hohen Dom – die Sankt-Georgs-Kathedrale, eines der wichtigsten Baudenkmäler in der Stadt an der Bega. Dr. Claudiu Călin, Historiker und Diözesanarchivar, führt die Gäste durch den Dom. „Es geht vor allem um das Kennenlernen der städtischen und baulichen Besonderheiten. Da gehört ja unbedingt die Elisabethstädter Kirche dazu – „die Kirche, wo meine beiden Kinder getauft wurden. Meine Eltern wurden dort schon getraut, in ´37, und der Prälat Josef Nischbach war der Priester, der sie getraut hat“, erzählt Radegunde Täuber. In Gertianosch/Cărpiniș, im Kreis Temesch, wo ihr Vater Nikolaus Schmidt Lehrer gewesen ist, sind Radegunde Täuber und ihre vier Geschwister zur Welt gekommen, um 1950 nach Temeswar umzusiedeln. Sie wuchsen in der Josefstadt/Iosefin und in der Elisabethstadt/Elisabetin auf. 

Erinnerungen an ihre Kindheits- und Jugendjahre in Temeswar hegt sie viele. Sie erinnert sich gerne an die Zeit in Temeswar, als Deutsche und Andersnationale – Juden, Rumänen, u. a. – friedlich neben- und miteinander lebten. An die Besuche mit ihrem Vater in der Naturkunde-Abteilung des Museums, die den fünf Sprösslingen einen besonderen Spaß machten, aber auch an die schweren Zeiten – denn das Lehrergehalt reichte nicht immer, um die fünf Kinder satt zu kriegen. „Und da haben wir begonnen, Gärten bei alten Frauen zu bearbeiten. Da war auf einmal Obst da, genug Obst und Gemüse“, erinnert sich Radegunde Täuber. Das sagenumwobene Temeswar kommt ihr auch in den Sinn, denn sie erzählt von dem Türkenhaus in der Evlia-Celebi-Straße, das angeblich mit einem unterirdischen Fluchtweg versehen war. „Und gleich nebenan war in dem ehemaligen Haremsgarten ein Birnbaum. Birnbäume werden ein paar hundert Jahre alt. Und von dem hat es geheißen, ja aus der Türkenzeit noch“, sagt sie. Ihr Vater, Nikolaus Schmid, geriet 1961 in den als Weresch-Reb bekannten Einschüchterungsprozess und wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt. Dass ihr Vater nie ein „Nazi“ war, dafür stehen viele persönliche Erlebnisse aus dem Leben von Nikolaus Schmidt Zeuge. „Mein Vater war ja Lehrer, er hat auch rumänische Kinder unterrichtet und in der Elisabethstadt den gemischten rumänischen Chor geleitet. Er war auch Taufpate bei einem Roma-Kind aus Gertianosch gewesen. Es hat nie irgendwelche Ressentiments gegeben“, erzählt Radegunde Täuber. Doch von Gerechtigkeit war in den Jahren des Kommunismus nur wenig übriggeblieben.

Bei der Führung durch den Hohen Dom vermittelt Diözesanarchivar Claudiu Călin der Familie von Radegunde Täuber viele wertvolle Informationen. Claudiu Călin, der Stadtführungen in deutscher und rumänischer Sprache hält, führt die Gäste anschließend auch noch in die Domkrypta, wo die bedeutendsten römisch-katholischen Bischöfe und Domherren begraben liegen. Für RadegundeTäuber ist das ein Wunsch, der in Erfüllung geht. Sie kann viele bekannte Namen von den Grabplatten lesen. Es ist eine Begegnung mit der älteren Geschichte Temeswars, sowie mit der etwas jüngeren, mit den Ruhestätten der Persönlichkeiten, die sowohl sie, doch vor allem ihre Eltern erlebt haben. Es sind viele bekannte Namen, die in der Domkrypta ruhen – darunter Bischof Augustin Pacha oder Bischof Sebastian Kräuter. In der Domgruft wurde 1741 auch der  Domherr Carlo Tazzoli beigesetzt. Radegunde Täuber erwähnt, dass es auch italienische, spanische und französische Kolonisten im Banat gegeben hat. Domherr Tazzoli starb, als die Krypta noch nicht fertig war und somit musste er direkt in den Fußboden beerdigt werden. 

Das Erzählte lässt die Anwesenden an die Ansiedlungszeit zurückdenken, an das komplexe und zugleich faszinierende 18. Jahrhundert. Claudiu Călin berichtet auch von den Jahren der Revolution von 1848-1849 und von der damaligen Belagerung, denn viele Temeswarer nutzten damals die Domgruft als Zufluchtsort und retteten sich dadurch das Leben. Etwas später kam an die Spitze der Diözese ein Franzose: Bischof Alexander Bonnaz, ein talentierter Verwalter, ein praktischer Theologe, der am ersten Vatikanischen Konzil teilgenommen hat. Auch er ruht in der Domkrypta und wird vor allem im Zusammenhang mit der Entwicklung der Schulen der Notre-Dame-Schwestern bis heute noch erwähnt. „Die Einrichtung des Diözesanmuseums durch Altbischof Martin Roos kann nicht hoch genug eingeschätzt werden; sie wird laufend ergänzt. Der Dom präsentiert sich, nach langer Renovierungszeit, innen wie außen in voller Schönheit. „Für mich bedeutete dieser Auftakt gleichzeitig den Höhepunkt des kurzen Aufenthalts in Temeswar und dem Banat“, sagt Radegunde Täuber im Nachhinein.

Wir nähern uns dem Ausgang und kommen wieder in der heißen Sommersonne an. Die Gäste gehen in die kühle, ruhige Domkirche, mit ihrer angenehmen meditativen Atmosphäre. Wir finden zwei Stühle im Querschiff, vor den Seitenaltären des Letzten Abendmahls und des Allerheiligsten Herzens Jesu und setzen unser Gespräch fort.

Bewegte Zeiten

Radegunde Täuber hat den Germanistik-Lehrstuhl in einer politisch schwierigen Zeit erlebt. Dennoch hatte die Einrichtung einen guten Ruf. „Wir hatten das Glück, noch Lehrer zu haben, die in der Zwischenkriegszeit auch an deutschen Universitäten studiert haben. Das war Binder in Berlin. Das war Maria Pechtol in Wien – damals noch Schütz, die Tochter von Dr. Schütz. Das war Rudolf Hollinger, der ebenfalls in Wien promoviert hat. Josef Zirenner, der teils in Leipzig, teils in Frankfurt am Main studiert hat“, erinnert sich die angesehene Germanistin. 1977 gab sie die Monographie „Johann Nepomuk Preyer. Sein Leben und Werk in Wort und Bild“ heraus – der Band erschien im Kriterion-Verlag in Bukarest. 

1980 wanderte Radegunde Täuber nach Deutschland aus. „Der Entschluss ist schwer gefallen, aber es waren dieselben Gründe, die fast alle Deutschen dazu getrieben haben. Aber es war gerade damals die Zeit, wo man gesehen hat, die Rechte der deutschen Schulen sind immer mehr eingeschränkt worden, in dem Wahn von Ceaușescu. Es war ähnlich, wie es die Ungarn getan hatten, denn die wollten eine einheitliche ungarische Nation – nun wollte man auf einmal eine einheitliche rumänische Nation. Ich glaube, die wenigsten Deutschen sind damals aus wirtschaftlichen Gründen ausgewandert“, sagt Radegunde Täuber. 

Ortsgebundene Forschungsthemen

Die Beschäftigung mit der Geschichte und mit der Kunst des Banats scheint nach wie vor ein Herzensanliegen für sie zu sein. Eine Dokumentation über das Leben des Malers Karl Gutsch, der viele Aufträge von Bischof Alexander Bonnaz bekam, ist nur eines der Themen aus der Kunstgeschichte unserer Region, die Radegunde Täuber interessieren. Das Problem der Domänen der Agramer Diözese und des Agramer Domkapitels im Komitat Torontal – Besitztümer, Patronatsrechte und -pflichten wäre ein weiteres wichtiges Thema, dem sich ein Forscher annehmen könnte, sagt Radegunde Täuber, denn im Diözesanarchiv in Zagreb/ Agram gäbe es dazu reichlich Forschungsmaterial. Sie selbst könne sich darum nicht mehr kümmern, doch die Idee wolle sie gern bekannt machen, sagt sie. „Es geht um die im Zagreber Erz-Diözesan-Archiv lagernden Dokumente zu den einst zur Agramer Domäne (d. h. Agramer bischöflicher Besitz) gehörenden Banater Gemeinden, u. a. Gertianosch, Kleinjetscha, Pakacs, Perjamosch, Warjasch mit Verwaltungssitz/ Grundherrschaft in Billed. Ein viel versprechendes Forschungsgebiet für junge Historiker, Material für mehrere Dissertationen“, erläutert Radegunde Täuber. 45 noch vollkommen unerschlossene Kartons/ Fonds Dominium Banaticum und 169 Kartons des Modos-Fonds könnten in Zagreb durchgesehen werden, hat es im Juni 2020 seitens des erzbischöflichen Archivdirektors Dr. Stjepan Razum geheißen. 

Der Besuch im Banat lässt kaum Verschnaufpausen zu. Doch es hat sich gelohnt, meint die Preyer-Monographin im Nachhinein. „Als Glück empfinde ich, dass die Initiative für diese schon mehrmals aufgeschobene Fahrt von Kindern und Enkelinnen ausgegangen ist. Mustergültig haben sie sich um Planung und Durchführung ins Zeug gelegt, offen für alles, was kommen würde. Mich haben sie im Laufe dieser Tage rührend umsorgt und bei längeren Wegen im Rollstuhl geschoben. Wunderbar ansteckend wirkte ihre unbeschwert gute Laune. Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank“, schließt Radegunde Täuber.