Zwischen Gottesdienst, Kinderprojekten, Dorfleben und Familie

Pfarrerin Christiane Schöll will im Repser Ländchen Gemeinschaft vermitteln

Christiane Schöll hat sich schon immer für Sinnfragen interessiert... | Fotos: George Dumitriu

Natur, Freiheit und Grün bis zum Horizont – wer würde hier nicht glücklich sein?

Simon, Johanna, Benjamin und David im Kastanienbaum hinter dem Haus

Wenn Siebenbürger nach Deutschland auswandern, denkt man: ganz normal! Bemerkenswert ist eher die umgekehrte Richtung: Eine junge Frau, ein junger Mann und ihre vier Kinder leben in einem Dorf, in dem kein Bus fährt, die Schule nur vier Klassen hat, kein Kino und kein Spielplatz existiert. Freiwillig – und offenbar glücklich. Christiane Schöll hat ihren Job in Deutschland gekündigt und sich hier dauerhaft anstellen lassen, trotz viel kleinerem Gehalt. Ein Schritt, den Ehemann Michael nicht nötig hatte, als Informatiker kann er überall arbeiten auch aus einem Dorf wie Cobor, in dem die beiden seit neun Jahren leben. Und von wo auch die Tochter Johanna und die Söhne Simon, Benjamin und David so schnell nicht weg wollen. Die Geschichte der Schölls ist an sich schon ungewöhnlich. Doch es kommt noch etwas hinzu: Christiane Schöll ist Pfarrerin.

Nicht gerade üblich, dass die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien Pfarrer aus Deutschland einstellt – höchstens Entsandte kommen nach Siebenbürgen. Und auch die Frage, ob man hier auf dem Dorf eine Frau in dieser Rolle akzeptieren würde, hat Christiane Schöll anfangs beschäftigt. Vor elf Jahren kam sie aus Baden Württemberg in das nahe Dörfchen Leblang/Lovnic. Die Schölls hatten sich eine Auslandserfahrung gewünscht, wobei die Wahl schnell auf Rumänien fiel, weil Michael schon ein halbes Studienjahr in Kronstadt/Brașov verbracht hatte. „Auch ich fand Rumänien super, weil ich hier gleich auf Deutsch einsteigen konnte“, begeistert sich Christiane. 

Inzwischen sprechen beide fast perfekt Rumänisch. „Wir machen ja auch Kinder- und Jugendarbeit, da mussten wir es schnell lernen.“ Aber auch als Pfarrerin wurde sie ins kalte Wasser geworfen, als man sie am zweiten oder dritten Tag bat, eine Beerdigung abzuhalten, „auch auf Rumänisch, weil die Nachbarn sonst nichts verstehen.“ Sie lacht: Die Ansprache hat ein Freund übersetzt, „und dann hab ich den ganzen Abend geübt, das auch richtig auszusprechen.“ Von der Gemeinde wurde sie, obwohl vorwiegend ältere Leute, damals sehr offen aufgenommen – vielleicht, weil ihre Kollegin Hildegard Servatius-Depner, Pfarrerin in Mediasch, aus Leblang stammt. Aber auch im nahen Seiburg/Jibert, das ebenfalls in Christianes Zuständigkeit fiel, gab es eine Familie mit einer Tochter als Pfarrerin. In ihrer heutigen Pfarrei, dem Repser Ländchen mit 15 Gemeinden, findet sie es völlig „unproblematisch als Frau“. 

Möglichst schnell zurück nach Rumänien

Doch wie wird man überhaupt Pfarrerin? Christianes Eltern waren „gar nicht so religiös“, doch sie ging von Anfang an gern in die Kinderkirche, machte begeistert bei Freizeiten mit und engagierte sich später selbst in der Arbeit mit Kindern. So lernte sie ihren Michael, einen Pfarrerssohn, kennen. „Theologische Fragen – Sinnfragen – haben mich schon immer interessiert, eine Weile dachte ich daran, Philosophie zu studieren“, sagt sie. Was sie sich weniger vorstellen konnte, war das Predigen – doch „da wächst man rein“. Am liebsten mag sie die Vorbereitung einer Predigt, „da habe ich oft das Gefühl, mir fällt was Neues ein, ich kriegs geschenkt“ – von oben.

Als das Austauschjahr abgelaufen war, war der jungen Familie klar: Wir wollen so schnell wie möglich nach Siebenbürgen zurück. Nach einem Jahr in Deutschland beschlossen sie, die Elternzeit für die – inzwischen vier – Kinder in Rumänien zu verbringen. Ihre Wahl fiel auf Cobor. „Wir wollten in die Nähe von Leblang, das liegt nur sechs Kilometer entfernt über den Berg“, erklärt sie. Für Cobor sprach aber auch die Anwesenheit eines weiteren Ausländerpärchens – er Franzose, sie Deutsche – mit Kindern in ähnlichem Alter. „Es war sonst schwierig für uns, private Kontakte zu knüpfen“, erklärt Michael Schöll. „Die Idee war immer, dass es auch ein Ort für unsere Kinder sein sollte“, ergänzt Christiane. 

Haus und Grund kauften sie, weil man nichts mieten konnte, „damals dachten wir, unser Geld sei verloren – das hat sich inzwischen total geändert!“ Es gibt zwar immer noch keine öffentlichen Verkehrsmittel, doch zwei touristische Projekte, die „Ferma Ecologica“ und die „Gospodăria Cobor“ (siehe ADZ vom 30. Juli 2023: „Das Paradies am Ende der Welt“), die Arbeitsplätze schaffen. Häuser werden gekauft, alles wird teuer und „plötzlich laufen auch Leute durch den Ort, die man nicht kennt. Cobor ist auf der Landkarte präsenter geworden.“

Wir schlendern durch den weitläufigen Garten, mit Fallobst übersät. Die Äpfel – alte Sorten wie Batull und Jonathan - warten darauf, eingesammelt zu werden, zum Apfelsaft Pressen für die „Gospodăria“. Vorbei an einem schlichten Spiel- und Bolzplatz, zu dem auch die Dorfkinder Zugang haben; Simon, Johanna, Benjamin und David klettern fürs Foto auf einen Baum. Dann tobt die ganze Familie mit Hündin Paula über das weite Feld – Natur, Freiheit, Grün bis zum Horizont! Wer würde sich hier nicht wohlfühlen? Weil auch die Kinder nicht mehr weg wollten, beschlossen die Schölls einen mutigen Schritt: Dableiben – auf Dauer. Die Alternative: zurück nach Deutschland, denn die Elternzeit war ausgeschöpft. Die evangelische Kirche in Rumänien, ohne-hin unter Pfarrermangel leidend, stellte die junge Geistliche, die sich vor Ort schon bewährt und oft auch während der Kinderpause ausgeholfen hatte, gerne ein. Seit April ist Christiane Schöll nun Pfarrerin für Reps und weitere 14 Gemeinden. 

Die Arbeit mit Kindern – ein Herzensprojekt!

Zur Entscheidung trug aber auch die ehrenamtliche Arbeit mit Kindern bei, die die Schölls hier seit Jahren leisten. Michael, der nur halbtags arbeitet und mehr Zeit investieren kann, bringt auf den Punkt, was die Kinder hier auf dem Land – viele aus Roma-Familien oder aus der „Țigănie“ – am meisten brauchen: Horizonterweiterung und Integration. „Viele Kinder sind noch nie aus dem Dorf rausgekommen, oder höchstens nach Fogarasch“, illustriert er. Das zweite Problem ist Ausgrenzung: „Nicht so sehr nach ethnischen Kriterien als nach ökonomischen und Wohnsituation“, ergänzt Christiane und nennt als Beispiel Leblang, wo sich die Kinder aus zwei Ortsteilen, dem Dorf und der „Țigănie“  in den von ihnen betreuten Spielgruppen lange nicht vermischten. Auch Strukturen vorzugeben sei wichtig, weil die meisten Kinder das von zu Hause her nicht kennen. Erst wird gesungen, dann gebastelt, dann gespielt… „sonst herrscht Chaos“. Ihr Verein, „Bun venit Transilvania“ (siehe Blog: willkommen.ro) vermittelt aber auch Bildungsprojekte wie Afterschool, Sexualerziehung oder stellt seit drei Jahren einen Kleinbus, der die Kinder der höheren Klassen mangels Schulbus nach Fogarasch fährt. Als Chauffeure fungieren reihum die Eltern. Wobei man in der Zusammenarbeit mit letzteren so manche Überraschung erleben kann, so Michael. Nicht nur, dass eine Mutter sich an den angeblich gezeigten „Bildern“ in der Sexualkunde störte – tatsächlich nur Zeichnungen, die sie dann auch guthieß. Nicht nur, dass vor den Lokalwahlen auf einmal die Kinder fernblieben, weil sich die Eltern nicht mit „den falschen Kreisen“ assoziieren lassen wollten (dem politisch engagierten französischen Freund). Zu allem Überfluss hatten die Schölls auch mit allerlei Gerüchten zu kämpfen – etwa die Absicht, die Dorfkirche und den Friedhof zu kaufen, um dann Eintritt zu verlangen – die sich zwar klärten, doch den „Kulturschock“ zwischen Zugewanderten und Einheimischen illustrieren. 

War der Fortschritt bei der Bildungsarbeit bald zu spüren, dauert Integration deutlich länger. „Jahre“, sagt Michael Schöll – und gibt eine bittersüße Anekdote zum Besten: Nach einem sehr gelungenen Sommerlager wurden alle Kinder – darunter auch sächsische, aus Deutschland zu Besuch – reihum nach Hause gefahren. Als der Bus in Leblang in die „Țigănie“ bog, um die ersten abzuliefern, gab’s plötzlich erstaunte Rufe: „Boah, schaut mal – lauter Zigeuner!“ 

Gegen das Trauma des Verlassenseins

In der verstreuten Kirchgemeinde versucht Christiane Schöll, Gemeinsamkeit zu vermitteln. Bis heute ist das Trauma des Verlassenwordenseins der wenigen in den Dörfern verbliebenen Sachsen deutlich zu spüren. In den Erzählungen, wie es früher war, „als die Kirche noch voll war“, „als wir noch eine Blaskapelle hatten“, „als wir noch viele waren“... Mit Gesprächen und Kaffeerunden nach dem Gottesdienst, dem Fördern gemeinsamer Feste zwischen den Dörfern und einem Gemeindebrief, der alle über die wichtigsten Ereignisse informiert, versucht sie, ihnen zu zeigen: Ja, wir sind nur noch wenige. Aber wir sind immer noch genügend, um gemeinsam Schönes zu erleben!