Männer in langen schwarzen Mänteln und mit Schläfenlocken gehören zum täglichen Straßenbild in den New Yorker Stadtteilen Williamsburg und Brooklyn. Viele gehören zu den sogenannten „Satmar Jews“ (Satmarer Juden). Die Sathmarer Bewegung ist eine Gruppe chassidischer, ultraorthodoxer Juden, die jede Assimilierung ablehnen. Wie der Name erahnen lässt, führen sie ihre Herkunft auf die im äußersten Nordwesten Rumäniens gelegene Stadt Sathmar/Satu Mare zurück. Hier blühte bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ein vielfältiges jüdisches Leben. 1941 lebten noch knapp 13.000 Juden in Sathmar, ein Viertel der städtischen Bevölkerung. Die Auswanderung vor Beginn des Holocaust sowie dessen mörderische Konsequenzen zerstörten die jüdische Gemeinschaft nahezu vollständig. Im heutigen Stadtbild sind dennoch einige Spuren jüdischen Lebens erhalten geblieben.
Wann genau sich die ersten Juden auf dem Stadtgebiet Sathmars ansiedelten, ist bis heute umstritten. Einige Historiker verweisen auf das 14. Jahrhundert, andere sehen die jüdische Ansiedlung wesentlich später. Urkundlich belegt ist, dass Juden seit Beginn des 18. Jahrhunderts in Sathmar lebten. Mit der Erhebung zur königlichen Stadt 1715 wurden gleichzeitig auch Restriktionen erlassen, die eine Neuansiedlung verboten. Dieses Verbot wurde 1840 aufgehoben, was zur Folge hatte, dass in den folgenden Jahren wieder zahlreiche jüdische Siedler in die Region kamen. Bereits 1842 konstituierten sie sich zu einer Gemeinde. Der Zustrom jüdischer Bewohner bedeutete auch, dass religiöse, kulturelle sowie soziale Institutionen ins Leben gerufen wurden. So öffnete 1858 die erste Synagoge. Jüdische Geschäftsleute spielten auch bei der ökonomischen Entwicklung von Stadt und Region eine treibende Rolle.
Der sich beschleunigende Zuzug in den 1870er Jahren hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf die jüdische Gemeinde: 1897 kam es zu einem Schisma. Nach dem Tod des Oberrabbiners Benjamin Farkas Mandelbaum, einem der Gründerväter der jüdischen Gemeinde in Sathmar, wurde Juda Grünwald, Anhänger der chassidischen Bewegung, zum neuen Oberrabbiner gewählt. In Opposition formierte sich daraufhin eine sogenannte „Status-quo-ante-Gemeinde“ (weder orthodox noch neolog). 1928 übernahm Rabbi Joel Teitelbaum, ein leidenschaftlicher Traditionalist und Anti-Zionist, die Position des Oberrabbiners, was den Einfluss des Chassidismus erneut stärkte. Er konnte dem Holocaust über die Schweiz und Palästina entkommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg emigrierte er in die USA, wo er den Grundstein für die heute starke chassidische Gemeinde der Satmarer Juden in New York legte.
Die letzte stehende Synagoge
In der Blütezeit jüdischen Lebens zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es in Sathmar drei Synagogen und 25 Gebetshäuser. Bis in die 2000er Jahre standen noch zwei der Synagogen. Die Synagoge in der Strada Hám János, welche sich kurz vor der Restaurierung befand, stürzte im Juli 2007 ein. Die Turbulenzen der Geschichte überlebte letztlich nur die „Große Synagoge“ sowie das benachbarte Gebetshaus „Talmud Tora“. Sie steht auch heute noch an der Stelle, an der die erste Synagoge in den 1850er Jahren errichtet wurde. Zwischen 1889 und 1892 wurde sie nach den Plänen des aus Großwardein/Oradea stammenden Architekten Nándor Bach im orientalischen „maurischen“ Stil gebaut.
Die westlich ausgerichteten Fassaden verlaufen parallel zur Straße. Der Bau folgt einem im 19. Jh. verbreiteten Synagogenstil mit länglichem Raum, Frauenempore und dekorierter Hauptfassade. Diese hat drei Achsen, halbkreisförmige Bögen, Pilaster und Giebel mit ornamentalen Verzierungen. Über dem Haupteingang befindet sich ein großes Fenster, umgeben von dekorativen Bögen. Die seitlichen Fassaden sind einfacher gestaltet, mit Pilastern und halbkreisförmigen Fenstern.
Der Innenraum ist in drei Schiffe unterteilt, mit einer Bima in der Mitte und einem Toraschrein an der Ostwand. Orientalische Dekorationen, farbige Glasfenster und geometrische Muster prägen das Innere. Das benachbarte Gebetshaus ist rechteckig, schlicht und weist barocke Elemente auf, darunter einen Davidstern und hebräische Inschriften.
Seit 1982 gibt es in Sathmar keinen Rabbiner mehr, die religiösen Dienste werden von Gemeindemitgliedern ausgeführt.
Im Jahr 2004 wurde im Hof der Synagoge ein Holocaust-Denkmal für die ermordeten Juden aus der Region errichtet. Am 12. Juni 2005 wurde an der Wand der Synagoge eine Gedenktafel enthüllt, auf der die Namen der Juden aus Sathmar eingraviert sind, die 1944 in den Vernichtungslagern von Auschwitz-Birkenau ermordet wurden.
Alter Friedhof mit Hilfe aus New York erhalten
Der älteste und wertvollste Friedhof ist der orthodoxe an der Ecke der Straßen „9. Mai“ und „Zorilor“. Er hat eine Fläche von zwei Hektar, der Eingang liegt an der Straße „9. Mai“. Er ist von einer hohen Ziegelmauer umgeben, hat die Form eines L und enthält etwa 3000 Gräber. Im nördlichen, ältesten Teil fehlen die Grabsteine oder sind nur vereinzelt und stark verwittert. Die meisten Inschriften sind nicht mehr lesbar, Verzierungen schwer zu erkennen. Es folgt ein Bereich, in dem die Grabsteine alt, aber geordnet sind. Es gibt umgestürzte oder zerbrochene Denkmäler, doch können die Grabsteine noch gut untersucht werden. Viele der Denkmäler sind leicht in den Boden eingesunken.
Der südliche Bereich ist der neueste Teil des Friedhofs. Die Denkmäler behalten die Form der älteren bei, obwohl sie ein Jahrhundert trennt, was die Homogenität nicht beeinträchtigt. Die meisten Grabsteine haben einen hohen, hervorstehenden Sockel, der das Aufstellen großer Grabsteine ermöglicht. Die Grabsteine sind zwischen 1,5 und über 2,5 Meter hoch. Die Monumentalität wird auch durch die architektonischen Formen der Grabsteine betont – Giebel, Säulen, Akrotere und Gesimse in erstaunlicher Vielfalt. Die Säulen erscheinen einzeln oder paarweise, glatt, gerillt oder verdreht. Sie tragen einfache, doppelte oder dreifache Bögen – gotische Bögen oder solche mit mehreren Abstufungen. Andere stützen rechteckige oder halbkreisförmige Giebel, die von hervortretenden Gesimsen getrennt sind, manchmal mit Zahnfriesen an der Unterseite.
In den vergangenen Jahren kam regelmäßig eine größere Delegation der Gemeinde der Satmarer Juden aus New York nach Sathmar, die den Erhalt des Friedhofs ihrer Ahnen unterstützten.
Sichtbare Spuren des einstigen Ghettos
Die etwa 13.250 Juden, die sich noch in Sathmar befanden, wurden zwischen dem 3. und 6. Mai 1944 in das Ghetto umgesiedelt. Zudem wurden die Juden aus Großkarol/Carei (das als temporäres Ghettoisierungszentrum fungierte) und aus umliegenden Städten hierher verbracht. Damit war das Ghetto mit rund 18.800 Menschen das zweitgrößte in Nordsiebenbürgen.
Das Ghetto befand sich im Stadtzentrum, in Gegenden, die überwiegend von Juden bewohnt waren. Der Mittelpunkt lag in der heutigen Strada Martirilor Deportați (Straße der Deportierten Märtyrer, während der ungarischen Besatzung Báthory-Straße). Die Überbelegung war erheblich: 10 bis 15 Personen lebten in einem einzigen Raum, manche in Kellern, auf Dachböden oder in Baracken. Heute ist die Strada Martirilor Deportați eine belebte Einkaufsstraße.
Ein heute fast unscheinbar wirkendes Haus mit der Adresse Piața Jean Calvin Nr. 1 gegenüber der reformierten „Kettenkirche“ ist eine weitere architektonische Spur, die das Schicksal der Juden in Sathmar widerspiegelt, einst gehörte es einem Juden namens Weisz. In diesem Haus wurden Juden zusammengepfercht, bevor sie im Ghetto untergebracht wurden. Wer sich die Mauersteine der Außenwand genauer ansieht, stößt bei einigen auf eingeritzte oder geschriebene Botschaften. Die Verzweiflung sowie der Drang, sich vor ihrem Schicksal noch einmal zu verewigen, wird auf den Mauersteinen mit Namen, einem Datum oder auch kleinen Botschaften sichtbar. Einige der Botschaften befassen sich auch mit dem Tod. Die Deportation der Juden aus dem Sathmarer Ghetto nach Auschwitz fand zwischen dem 19. Mai und dem 1. Juni 1944 in sechs Transporten statt.
Die einst blühende jüdische Gemeinde in Sathmar besteht heute aus weniger als 100 Menschen. Ihr kulturelles Erbe ist jedoch bis heute in der Stadt gegenwärtig.