Die Passionsspiele in Oberammergau

Ein Mal pro Jahrzehnt, seit 1634, noch bis zum 2. Oktober

Nach dem Ausfall aus Pandemiegründen finden die Oberammergauer Passionsspiele in diesem Jahr wieder statt.
Foto:Ana Herman

Altes Plakat aus dem Jahre 1934

Ortstypische Lüftlmalerei mit Bühnenszene

Schloss Linderhof von König Ludwig und andere prachtvolle Sehenswürdigkeiten in der Region verlocken viele Theaterbesucher zu einem Abstecher.
Fotos: Pixabay

Dieses Jahr finden im bayrischen Oberammergau wieder einmal die weltweit bekannten Passionsspiele statt. Es ist die Oberammergauer Art, für die Befreiung von der Pest im Jahr 1633 zu danken - und zwar jedes Jahrzehnt seit 1680 – weswegen sie auch im Jahr 1984 von UNESCO auf die Liste des immateriellen Weltkulturerbes aufgenommen wurden.

In jüngster Vergangenheit gab es nur zwei außergewöhnliche Spielzeiten, einmal im Jahr 1934 und einmal 1984, zum 300. und 350. Jubiläum. Und wenige Vertagungen, beispielswei-se auf Grund des Ersten Weltkriegs oder der Covid-19-Pandemie. Die diesjährige Mega-Vorstellung hätte eigentlich im Jahr 2020 stattfinden sollen. Nun aber stellen die Oberammergauer Bürger bis Anfang Oktober 2022 fünf Mal die Woche die christliche Geschichte vor bis zu 4500 Zuschauer aus aller Welt pro Vorführung dar.

Antisemitismus-bereinigt und für Frauen angepasst

Als im Pestjahr 1633 84 Bürger Oberammergaus der Seuche zum Opfer fielen, versprach die Gemeinde vor der Kirche und vor Gott, ein regelmäßiges Passionsspiel aufzuführen, falls sie von der mysteriösen und unheilbaren Krankheit befreit werden würden. Der Legende nach soll es seither keinen Pesttoten mehr gegeben haben. Um ihr Versprechen zu halten, haben die Oberammergauer Bürger – Bauern, Geschäftsleute, Lehrer, Soldaten, Weberinnen oder Köchinnen – zu allererst im Jahr 1634 und seit 1680 im Zehnjahrestakt ein Passionsspiel vorgestellt. Was ursprünglich auf Texten aus dem 15. Jahrhundert basierte, wurde mit Teilen eines Weilheimer Passionsspiels von Johann Älbl und danach mit der „Passio nova“ des Benediktiner Ferdinand Rosner in Reimen des Barocktheaters erweitert, wodurch sich die Oberammergauer Passionsspiele zum weltweiten Leitbild der Passionsspiele entwickelten. Auch die einfache Bühne des 17. Jahrhunderts wandelte sich allmählich zur professionellen Bühne mit Kulissen und aufwendiger Bühnentechnik.

Die derzeitige musikalische Darbietung wurde von Markus Zwink geschaffen und erklingt zum dritten Mal bei den Passionsspielen. Mit Ausnahme der Szene der Vertreibung Jesu aus dem Tempel, wofür Zwink eine Vertonuung des Schma Israel komponierte und auf traditionelle jüdische Melodieformen zurückgreift, richten sich alle Musikstücke Zwinks nach der Musiksprache der Frühromantik. Über 100 Musikanten und Sänger (von insgesamt über 200) wirken dabei mit.

Bereits 1922 besuchten rund 420.000 Zuschauer Georg Johann Langs Neuinszenierung der Passionsspiele im Sinne des modernen Regietheaters. Der Neubau der Freiluftbühne erfolgte 1930 für das 33. Vorführungsjahr.

Nach heftiger Kritik wegen Antisemitismus wurden die Passionsspiele in den 70er Jahren im Einklang mit den Bestimmungen des Zweiten Vatikanischen Konzils und jüdischer Organisationen adaptiert. Auch das Passionsspielkomitee und das Mitwirkungsrecht an der Vorführung wurde im Sinne der Gleichberechtigung der Frauen angepasst, um letzten Endes im Jahr 2000 seine jetzige Darstellungsform unter der Leitung des Intendanten des Münchner Volkstheaters Christian Stückl zu erhalten. Seit 2015 ist auch der Oberammergauer und Sohn türkischer Einwanderer, gleichzeitig auch Regieabsolvent Abdullah Karaca als zweiter Spielleiter vom Passionsspielkomitee gewählt worden.

Die über 100 Aufführungen der Passionsspiele finden zwischen dem 4. Mai und dem 2. Oktober statt und sollen über eine Halbe Million Zuschauer zusammenbringen.

Die Schauspieler: normale Bürger

…. und Mitwirkende sind wahrscheinlich eine der größten Überraschungen für die Zuschauer: Es sind über 2000 (zwei Tausend!) gewöhnliche Bürger der Gemeinde Oberammergau, von Knirps bis Greis, die sich zwei Jahre vor der Vorführung für eine Rolle bewerben können. Bevor die Namen der zukünftigen Schauspieler bekanntgegeben werden, wird in einem Gottesdienst das traditionelle Gelübde erneuert, wonach es im Festzug von der katholischen zur evangelischen Kirche und danach ins Festspielhaus geht.

Haar- und Barterlass für Polizisten und Soldaten

...ist eines der wichtigsten Merkmale der Neuinszenierung. Esel, Hühner, Schafe und Kamele oder spielende Kinder auf der Bühne sind in Oberammergau ein Muss – ebenso die Kostüme und das Alter der unterschiedlichen Personen: Kinder, Frauen, Männer, jung und alt sind so wahrheitsgetreu wie möglich dargestellt. Gleichzeitig ist auch jede Haartracht echt: mit Ausnahme der Darsteller der Römer erhalten alle Schauspieler ein Jahr vor der ersten Aufführung am Aschermittwoch den sogenannten Haar- und Barterlass, bei dem sie vom Bürgermeister aufgefordert werden, ihre Haare und Bärte bis nach der letzten Vorführung nicht mehr zu stutzen. Schauspieler, deren Beruf eine angemessene Frisur voraussieht (z. B. Polizisten, Soldaten, usw.) erhalten diesbezüglich sogar eine Ausnahmegenehmigung.

Monsterwerk mit präziser Organisation

Das Passionsspielkomitee hat auch dieses Jahr alles so gut wie möglich geplant: Ablauf, Unterkunft der Zuschauer, Anreise und Parkplätze, Restaurants, ja sogar die Fußgängerzonen in Richtung Theater. Die Zuschauer werden gebeten, rund eine Stunde vor Beginn der Vorstellung um 14.30 Uhr ihre Plätze aufzusuchen – im Amphitheater finden sich immerhin Tausende Menschen ein. Reisebusse und Fußgänger strömen in langen Scharen auf das Oberammergauer Theater zu, ausgerüstet mit Lichtbildausweis und Eintrittskarte – Fotoapparate, scharfe oder zerbrechliche Gegenstände sind verboten. Und für Zuschauer, die kein Deutsch verstehen stehen beim Eingang Handbücher mit der Übersetzung des gesamten Spieles zur Verfügung, inklusive dem gesungenen Teil. Bei schönem Wetter erlaubt der Sonnenschutz der Freilichtbühne einen tollen Ausblick auf die dahinterstehenden Berge. Nach dem traditionellen Oberammergauer Gelübde wird bis zirka 17 Uhr der erste Teil der biblischen Geschichte vorgeführt, abwechselnd mit lebenden Bildern und musikalischer Darbietung des Chors auf einem schlichten, grauen Hintergrund. Somit werden bildlich das Alte und das Neue Testament gleichzeitig dargestellt. Nach dem Abendmahl und der Gefangennahme Jesu können sich die Zuschauer bis um 20 Uhr in einem der anliegenden Restaurants für das Abendessen zurückziehen – aber ohne Reservierung und Vorbestellung läuft bei einer derart großen Menschenmenge kaum etwas. Jedes Lokal ist in diesem Prozess nach klaren Abläufen involviert und alles muss im perfekten Zeittakt ablaufen, damit die Gäste rechtzeitig um 20 Uhr dem 2. Teil der Passionsspiele beiwohnen können, in dem die Leiden Jesu bis zur Kreuzigung und dem Tod vorgeführt werden. Die Vorstellung endet kurz vor 23 Uhr, wonach sich die müde aber gleichzeitig frohe Menschenschar wieder auf den Weg zu ihrer Unterkunft begibt, bzw. so mancher noch seinen Reiseführer oder seinen Parkplatz suchen muss. Trotz Tausender Teilnehmer verläuft alles ständig ordnungsgemäß und ruhig.

Rund um Oberammergau, auf Ludwigs Spuren

Wer etwas mehr Zeit in Oberammergau verbringen möchte, dem sei natürlich geraten, nicht während der Passionsspiele zu kommen. Die Ammergauer Alpen und das Gebiet um Garmisch-Partenkirchen bieten das ganze Jahr wunderschöne Aussichten entlang der dortigen Wanderwege. Auch die ortsansässigen Kunsthandwerker mit Herrgottschnitzern und die mit Lüftlmalerei bemalten Häuser werden auch die nächsten Jahre noch dort stehen und auch das Würfel-Denkmal aus Kostümen vergangener Passionsspiele und das bereits 1910 eröffnete Oberammergauer Museum, welches die soziale und wirtschaftliche Entwicklung des Dorfes darstellt. Ein Besuch bei König Ludwigs romantisch gelegenem Schloss Linderhof ist ebenfalls ein Muss, auch wenn oder gerade weil es seinen anderen beiden Schlössern, Neuschwanstein und Herrenchiemsee, gar nicht ähnlich ist. Als letztes sei ein kurzer Halt bei der Benediktinerabtei und dessen barocker Kirche in der Ortschaft Ettal angesagt. Und das im Jahre 1619 eröffnete vier-Sterne-Klosterhotel „Ludwig der Bayer“ bietet höchste Unterkunftsqualität innerhalb der Abtei, ganz anders als die orthodoxen Klosterunterkünfte.


Das komplette Programm sowie Eintrittskarten und zusätzliche Details zum Spiel und zu den Darstellern sind auf www.passionsspiele-oberammergau.de zu finden.