Irisierendes Azur- und Himmelblau, wohin der Blick auch fällt: Kirchenbänke, bemalte Kassetten, bestickte Gesangsbuchhüllen und Wandbehänge. Selbst in den prachtvollen Fresken dominiert die Farbe Blau. Unter hunderten Kirchen in Siebenbürgen kann man daran die kleine Unitarierkirche von Dârjiu, die einzige der Szekler im Welterbe der UNESCO, auf einen Blick erkennen. Noch müssen wir unter einem Gerüst über Baumaterial steigen, um ins bereits restaurierte Innere der Kirche zu gelangen. Doch bis Ende des Jahres soll das gesamte Ensemble in neuem Glanz erstrahlen. Dann ist es Zeit für einen Abstecher zu der schmucken ungarischen Kirchenburg.
Ein Geländewagen schadet nicht, stellen wir fest, kurz nachdem wir auf der Nationalstraße von Kronstadt/Brasov in Richtung Schäßburg/Sighişoara bei Mureni nach rechts abgebogen sind. Etwa 20 Kilometer führt eine unasphaltierte Straße über Stock und Stein durch malerische Landschaft. Ein prächtiger Fuchs kreuzt unseren Weg und lässt sich arglos fotografieren. Schüchtern lugt die Sonne dann und wann aus der dicken Wolkendecke hervor, zaubert Lichtreflexe auf die wie Riesenspielzeug über die hügeligen Felder hingestreuten Heuballenrollen. Weißdornbüsche mit roten Früchten und gelb blühender Topinambur säumen die Straße, die kurz nach dem Übertritt in den Landkreis Harghita plötzlich perfekt asphaltiert ist. Auch die Häuser wirken auf einmal “reicher”, die Landschaft verliert ein wenig von ihrer romantischen Wildheit. Fast möchte man meinen, irgendwo in Bayern gelandet zu sein.
Dârjiu hingegen wirkt wie ein typisches siebenbürgisches Dorf: hier und dort ein paar alte Häuser, eindeutig dem Stil der Sachsen entlehnt, dann die Mauern der Kirchenburg. Darin werden bis heute Lebensmittelvorräte gelagert: Getreide, Würste, Schinken, Speck. Jeden Mittwoch nach dem Morgenläuten stehen die Dörfler an, um sich eine Wochenration der in den Türmen aufgehängten Speck- und Wurstvorräte zu holen - daher auch der Name “Speckburg”. All dies unter dem strengen Auge des Glöckners, damit keiner vom Nachbarn klaut. Was ohnehin so gut wie nie geschieht, denn den Dieb erwartet üble Schmach: Vor den Mauern wird er vor allen angeprangert und mit rohen Eiern beworfen! Eine Schande, die der Familie für Jahrhunderte anhaftet. Auch solche Dinge hat man sich wohl bei den Sachsen abgeguckt.
Aus dem Fundus der Szekler
Im 12.-13. Jahrhundert hatten sich die aus verschiedenen Gebieten des Ungarischen Königreichs stammenden Szekler in mehreren Einwanderungswellen in Siebenbürgen niedergelassen, mit dem Auftrag, die Grenzen Ungarns militärisch abzusichern. Dafür wurden sie von Steuern befreit. Lediglich zu hohen Feiern im Königshaus – Krönung, Hochzeit oder Geburt eines Thronfolgers – musste jeder einen Bullen als Geschenk übersenden. Das Szeklerdorf Dârjiu wird erstmals nach der Zeit der Tatarenangriffe in einem päpstlichen Dokument von 1334 erwähnt: zuerst unter dem Namen Ers, 1525 dann in einem Schriftstück als Ders. 1760 erhält das Dorf seinen heutigen - ungarischen – Namen: Szekely Dersz, rumänisch Dârjiu, deutsch Dersch. Die Mehrheit der Bevölkerung besteht bis heute aus Ungarn (ca. 91 Prozent), gefolgt von Roma und Rumänen. Es liegt 21 Kilometer von der nächstegrößeren Stadt Odorhei Secuiesc entfernt.
Die seit vier Jahren in Restauration befindliche Kirchenburg erstrahlt unter ihrer frischen Kalkschicht. Die Sonnenuhr an der Außenfassade zeigt sogar die „richtige” Uhrzeit an – d.h. mit einer Stunde Abweichung, denn die Sommerzeit kennt sie nicht. Im Inneren der viereckigen Wehrmauer warten Ausstellungsstücke und Schautafeln unter Folien auf ihren Einsatz. Hier soll ein kleines Burgmuseum entstehen, mit Fotos, Volkskunst und Objekten aus dem Dorfleben: geschnitzte Tore, ein Ochsenkarren, Werkzeuge. Im Torturm über dem Eingang werden originalgetreue Nachbildungen von Szeklerwaffen und Kampfbekleidung aus dem Mittelalter gezeigt: ein kumanischer Helm, Panzerhandschuhe und Kettenhemd, das Langschwert - Grundbewaffnung jedes adligen Szeklers im 14.-15. Jh, der zweischneidige Säbel, Streitaxt und Lanze. Die Vorlagen stammen aus Bilderchroniken und Darstellungen auf Ofenkacheln. Typische Kleidungsstücke der Szekler-Soldaten waren wollene gepolsterte Steppmäntel, Sarrock oder Joppe genannt, die einen gewissen Schutz vor quetschenden Waffen boten. Auch Leder wurde für gepanzerte Kleidung, die vor Schwertstreichen schützen sollte, verwendet. Rohmaterial konnte bei den zahlreichen lokalen Rinder- und Pferdebauern bezogen werden.
Zweimal von den Österreichern zerstört
Die Ende 13., Anfang 14. Jh erbaute Kirche von Dârjiu war auf den Grundmauern einer älteren romanischen Ziegelkapelle - eine Runeninschrift erwähnte als Baujahr 1274 – errichtet worden. 1602 war sie von den Österreichern niedergebrannt und 1605 in einem erneuten Angriff mitsamt großen Teilen der Ringmauer, einschließlich des benachbarten Pfarrhauses, zerstört worden. 1606 ließ sie der Adlige János Petky mit seinen Vasallen aus dem Dorf wieder aufbauen und eine Verteidigungsanlage mit Schießscharten und Pechnasen unter dem neuen Dach aufstocken. Bei der Verstärkung der Wände und der Errichtung des Arkadendachs, das sich auf Konsolen stützt, wurden die Innenfresken leicht beschädigt. Charmant sind die Konsolenfigürchen: neben christlichen und szeklerischen Symbolen kann man zwei lustige Gesichter entdecken, eines schmollend, das andere zieht sich mit zwei Fingern den Mund spöttisch in die Breite. Im Rahmen des Wiederaufbaus wurde die ovale Ringmauer durch eine viereckige ersetzt, so dass vier der alten Türme nun die Ecken bilden. 1640 fanden erneut Umbauarbeiten statt. Zur Zeit der Türkenangriffe 1661 hatten Kirche und Festung jedoch bereits ihre heutige Form.
Wiederentdeckte Fresken
Im Zuge der lutherischen Reformation in Siebenbürgen entstand 1568 auch die ungarische Unitarische Kirche Siebenbürgen, heute eine von 18 anerkannten Religionsgemeinschaften in Rumänien. Die Kirche von Dârjiu gehört zu ihren Gotteshäusern, 60 Prozent der Dorfbevölkerung sind Unitarier. Prägende Merkmale ihres Katechismus ist die Ablehnung der Dreifaltigkeit: Gott steht symbolisch für Geist und Liebe, Jesus gilt als Mensch. Vernunft und freier Wille spielen eine große Rolle. Wegen des Bilderverbots wurden die 1419 entstandenen Fresken - einer Inschrift zufolge von Meister Paul, dem Sohn des Meisters Stephan - damals mit Kalk übermalt und erst 1887 wieder freigelegt. 2007 wurden bei Renovierungsarbeiten weitere übertünchte Fresken entdeckt. An der Südwand zeigen sie den heiligen Michael mit der Seelenwaage und die Szene von der Bekehrung des Saul zum Jünger Paul.
Man sagt, der Maler habe im Gesicht seines Namensvetters seine eigenen Züge verewigt. Und noch einen Streich hat er sich geleistet, der in Touristenkreisen für Amüsement sorgt:Die Szenen an der Nordwand erzählen die Legende des heiligen Königs Ladislaus, der ein von den Kumanen entführtes Mädchen zurückerobert. Dieses kommt ihm zu Hilfe, indem es dem Gegner ein Beil in die Ferse rammt. Ihre schreckensgeweiteten Augen sind allerdings nicht auf die Waffe gerichtet - sondern, wie es scheint, auf die Unterseite des Pferdes. Die Ladislaus-Legende war bei den Szeklern überaus beliebt, auch in der Kirche des Nachbardorfes Mujna ist sie dargestellt. Wer die Region, die sich einschließlich der beschriebenen Anfahrt auch hervorragend für Fahrradausflüge eignet, noch näher erkunden möchte, kann sich im Pfarrhaus zu den Pensionen im Dorf erkundigen. Auch traditionelle Essen und Speck-Verkostungen in der Kirchenburg können dort organisiert werden.