Blauviolette, leuchtende Blütenreihen bis zum Ende des Hügels, dazwischen ein weißes Fahrrad. Und ein tüllverhangenes Bänkchen in der duftenden Pracht, ringsum betörendes Bienengesumm. Je ein handgemaltes Schild in weiß und lila lädt ein: „Mach ein Foto“, „Entspann dich“, „Nimm Platz!“ Strohballen zum Sitzen, Hängematten. Zweimal im Jahr fällt hier der Himmel zu Boden und verzaubert diesen Ort. Zieht Verliebte an für Heiratsanträge, Brautpaare für den Fototermin – oder einfach nur Neugierige, die dieses Wunder der Natur einmal hautnah erleben möchten. Nein, wir sind nicht in der Provence gelandet – sondern in Siebenbürgen! Vor uns liegt das überschaubare, aber durchaus beeindruckende Lavendelfeld von Bekokten/Bărcuț.
Das versteckte Hinweisschild gleich nach der Kurve, wo das Jugendzentrum liegt, haben wir natürlich übersehen. Wir fragen einen kleinen Jungen mit Fahrrad. Das Lavendelfeld? Ja, natürlich kennt er das, und weist uns die Richtung. Ein Uralt-Traktor tuckert vorbei. Dorfleben, authentisch. Wir halten vor einem Haus. Auch hier die weiß-lila Schilder: „Lavendelfeld“, „Bărcuț 237“, „0735069472“. Mehr Werbung braucht es nicht, der Rest geht durch Mundpropaganda und Facebook. Wir haben den Tipp von Angelika Holdreich aus Deutsch-Tekes/Ticușu Vechi, die kennt jemanden, der wieder jemanden kennt... und ob wir uns das nicht mal alle zusammen ansehen wollen? Es könnte ja ein schöner Ausflugstipp für Gäste sein, die sich in diese Ecke Siebenbürgens verirren. Oder eine Reportage für uns?
Oma Anica mit den Lavendelaugen
Erwartungsvoll klopfen wir ans Tor. Ein Mütterchen mit einem strahlenden Lächeln und – kaum zu glauben – lavendelblauen Augen heißt uns fröhlich willkommen. Ana Stângu – Maicuță Anica, wie die meisten sie kennen – ist die Seele dieses zauberhaften Ortes, den ihr Enkel Florin Forsea hier vor fast fünf Jahren auf ihrem Grundstück geschaffen hat. Eine Oase für die Sinne, die seine Großeltern nun liebevoll hegen und pflegen.
Lebhaft plappernd führt uns Oma Anica durch einen schmalen Hof voller bunter, blühender Blumen. Rote Geranien, violette Klematis, vorbei an der Sommerküche, dann durch die Scheune, an deren Tor ein Lavendelkranz hängt, im Inneren baumeln duftende Bündel von der Decke: Lavendel überall! Man muss ihn im Dunkeln trocknen, damit die Blüten die Farbe behalten, verrät sie, während wir den bewaldeten Hügel erklimmen, begleitet von einem verspielten Bordercollie. Aus dem Schatten treten wir auf die sonnige Lichtung – geblendet vom irisierenden Blau! Aus der Ferne nähert sich ein junger Mann, bloßer Oberkörper, kurze Jeans, braungebrannt, einen Korb voll Lavendel im Arm. In welchem Märchen sind wir hier gelandet?
Am Anfang nur ein Hobby...
Maicuță Anica erzählt: „Am Anfang waren die Pflänzchen so dünn wie ein Bleistift. Im Oktober haben wir sie gesetzt.“ Am nächsten Tag kam der Regen und dann gleich der Schnee, was gut sei für die jungen Pflanzen, „nur zweimal mussten wir sie gießen“ und von 13.000 aus Temeswar angelieferten Stöckchen seien 95 Prozent angewachsen, ergänzt Florin Forsea und fügt an, bei einem Freund, der im April setzte, seien es nur zehn Prozent gewesen. Es war seine Idee, auf dem Grund seiner Großeltern eine Lavendelkultur ins Leben zu rufen – nicht als Geschäft, versichert der Post-Angestellte, sondern aus purer Freude. „Der Bub hatte die Idee“, bekräftigt Ana Stângu. „Oma, wollen wir hier Lavendel pflanzen?“, hat er mich eines Tages aus dem Blauen heraus gefragt.
Im ersten Jahr gab es ein paar Blüten, die hat sie auf Märkten verkauft. Im zweiten und dritten Jahr dann schon mehr. „Da haben wir nochmal zehn und 15 Ar gekauft“, meint stolz die Oma. Inzwischen ist das Lavendelfeld von Bekokten längst berühmt: Heiratsanträge werden vor der romantischen Kulisse unvergesslich, Brautpaare und sogar Silber- und Goldhochzeiter kommen vorbei. Ein Besucher schwärmte, er träume davon, im Zelt vor dem Lavendelfeld zu schlafen und bei Sonnenaufgang hier Kaffee zu trinken, amüsiert sich Florin. Andere fragen, ob man dort ein Picknick oder eine festliche Tafel organisieren könne. Inzwischen beliefert ihn seine gesamte Familie mit Ideen, wie man das Lavendelfeld noch besser in Szene setzen und vielleicht auch vermarkten könne – auch die anfänglichen Skeptiker. Niemand habe an die Idee geglaubt, nichtmal seine Frau Florina. Hoppla, zwei Blumennamen – Florin und Florina: Heißt es nicht, Nomen est Omen?
Sanfter Tourismus, ganz von selbst
„Man könnte hier vieles machen, Lavendelkuchen oder Lavendeleis servieren, Tourismus, Events organisieren, aber im Moment hab ich nur eine Lizenz als Produzent“, erklärt der junge Mann. Man müsse auch bedenken, dass das Spektakel nur zweimal in Jahr für wenige Wochen stattfindet, im Sommer von Mitte Juli bis Anfang August. Trotzdem hat er sich schon mal nach Hütten erkundigt, die man hier vielleicht aufstellen könnte.
Der sanfte Tourismus aber hat längst ganz von alleine begonnen. Gerne besuchen die Gäste der fünf Pensionen in Bekokten das blühende Lavendelfeld, oder die Kindergruppen des Jugendzentrums. „Einmal kamen zwei Touristenbusse aus Bukarest, die wollten hier bloß ein Glas Wein trinken – danach gab es eine Explosion auf Facebook“, lacht Florin.
Verdienen tut die Familie aber bisher nur von den Produkten. „Der Bub bringt den Lavendel zum Sterilisieren“, verkündet Oma Anica stolz – und erntet verwirrte Blicke. „Destillieren!“, korrigiert Florin und sie lacht belustigt auf. Geerntet wird im Freundeskreis, manuell, mit speziellen Sicheln, destilliert in Ocna Mureș, wo ein weiterer Freund elf Hektar Lavendelkultur besitzt – „die reicht wirklich bis zum Horizont! Wir destillieren, wenn er fertig ist“, erklärt Florin Forsea.
2000 Kilogramm Blüten liefert sein Feld, das ergibt eine Ausbeute von rund 15 Liter Lavendelöl. Würde man es en gros verkaufen, lohnte sich die Arbeit nicht. Er aber bietet seine Produkte den Besuchern direkt vor Ort an. Oder Oma Anica verkauft sie auf dem Markt, auf Veranstaltungen, an touristischen Orten. Etwa im Brambura Park bei Porumbacu, am verkehrten Haus – ein Haus, das auf dem Kopf steht, „foarte fain“, erklärt er – oder in Törzburg/Bran, am Brukenthal-Palast in Freck/Avrig, beim Drachenhaus in Sâmbata de Sus... Seine Produkte – Lavendelessenz, Blumenwasser, Seife, Sirup, Autoduft, Sträußchen und Säckchen für den Kleiderschrank – seien garantiert „bio“, er verwende weder Dünger noch Pestizide. Das Öl und das Blumenwasser – ein Nebenprodukt der Destillation – werden in Klausenburg/Cluj-Napoca zertifiziert.
Von Kronstadt bis Fogarasch die einzige Kultur
Das Hobby macht Freude, aber auch Mühe: Alle zwei Wochen muss man mit der Motorfräse zwischen den Reihen durchackern und zwischen den Pflanzen händisch hacken. Florin kommt meist erst nach der Arbeit dazu, seine Großeltern machen 90 Prozent der Arbeit, gesteht er. Hilfreich sind Klima, Boden und Hanglage, Lavendel verträgt keine Staunässe. Geerntet wird, wenn die Bienen verschwinden, dann erst produziert die Pflanze Öl. Bis dahin dient das Feld als Bienenweide für Lavendelhonig.
Zehn bis 15 Jahre kann man die Pflanzen nutzen, danach verholzen sie und die Blüten werden immer kleiner. Beschnitten wird im Herbst, damit der Schnee die Äste nicht bricht. Das Wissen hat sich Florin weitgehend im Internet angelesen. „Von Kronstadt bis Fogarasch bin ich der einzige Lavendelbauer, nur in Hermannstadt gibt es noch einen“, meint er stolz.
Die geschäftstüchtige Oma kommt mit körbeweise Produkten an – und erweist sich als fit im Kopfrechnen. Duftende lila Seife – drei Modelle, aromatischer Sirup, Lavendelessenz und Kleidersäckchen wandern in unsere Taschen. Das Blumenwasser – nein, es duftet nicht nach Blüten, eher herb nach den Stängeln – beruhigt die Haut nach dem Rasieren, bei Insektenstichen oder Sonnenbrand, verraten die Prospekte. Das Öl hilft beim Einschlafen, entspannt Muskeln bei der Massage, ist antiseptisch und entzündungshemmend. Wir versorgen uns ausgiebig mit Lavendel-Kosmetik für den Eigenbedarf und Souvenirs für die Lieben zuhause. Was sonst soll man mitbringen vom Dorfurlaub in Siebenbürgen? Knipsen massenweise Bilder von dem herrlichen Lavendelfeld im Sonnenschein – Selfies, Gruppenfotos und Schnappschüsse von dem lustigen Hund, der sich beim Stöckchenspiel fast überschlägt. Trunken vom betörenden Duft verlassen wir den Ort, der das Blau des Himmels reflektiert. Das Tor geht zu, wir sind wieder auf der Straße, im brütenden Sonnenschein. War das alles vielleicht nur ein Traum?