ADZ-Reihe: Wertvolle Jugendbücher Der Tod ist ein sanftmütiger Erzähler

„Die Bücherdiebin“, Markus Zusak, cbt Verlag, ausgeliehen in der Bibliothek des Goethe-Instituts Bukarest, Calea Dorobanäi 32/Pavilion, www.goethe.de/bukarest


Selten hat mich ein Buch so im tiefsten Herzen berührt, so gebeutelt, so nachhaltig bewegt. Und dies mit einer wortgewaltigen Schönheit, der immerhin der Schrecken eines Krieges gegen-übersteht... Hauptfiguren sind: die Bücherdiebin, Liesel Meminger, ein dreizehnjähriges Mädchen, das, traumatisiert vom plötzlichen Tod des kleinen Buders, auf dessen Begräbnis ihr erstes Buch stiehlt. Nun ja, eigentlich steckt sie es nur heimlich ein. Es ist einem der Totengräber aus der Tasche gefallen. Dabei kann Liesel da noch nicht einmal lesen...

Dann gibt es noch Mama und Papa, Rosa und Hans Hubermann, Liesel Memingers Pflegeeltern, die in Molching bei München in der Himmelsstraße wohnen. Dort landet Liesel, dort hätte sie eigentlich mit ihrem Bruder leben sollen, während die Mutter – eine Kommunistin wohl? – ins Unbekannt verschwindet. Rosa Hubermann: eine resolute Frau wie ein Schrank, ihren weichen Kern versteckt sie hinter lautstarkem Schimpfen. An Liesel gerichtet: Saumensch! An ihren Mann: Saukerl! Nur heimlich umarmt sie nachts sein Akkordeon, als Hans in den Krieg ziehen muss. Der gutmütige silberäugige Hans, der nachts an Liesels Bett wacht, um sie sanft aus ihren Albträumen abzuholen. Manchmal gehen sie dann zusammen in den Keller, ihr gemeinsames Refugium, und Papa spielt für Liesel Akkordeon. Papa, ein einfacher Anstreicher, ist es auch, der zuerst von Liesels Herzenswunsch erfährt: Sie möchte das Lesen lernen! Das gestohlene Buch, „Anleitung für Totengräber“, wird Buchstabe für Buchstabe, Nacht für Nacht an die Kellerwände geschrieben, bis Liesel sich irgendwann traut, sogar in der Schule vorzulesen, wo sie bisher unbeachtet in der letzten Bank saß, weil jeder wusste, dass sie es nicht konnte.

Dann gibt es noch Rudi, den Jungen mit den Zitronenhaaren, der Liesel nicht von der Seite weicht. Mit Rudi geht Liesel zum Fußballspielen, zum Äpfelstehlen, an die Amper oder zur Bibliothek der Bürgermeistergattin Elsa Hermann...

Liesel soll im Laufe der Geschichte noch weitere Bücher stehlen: eines nach einer öffentlichen Bücherverbrennung im Dritten Reich, eines, das ihr eigentlich geschenkt werden sollte, sie aber nicht annehmen konnte, eines, das seltsam auffällig im stets leicht geöffneten Fenster der Bibliothek von Elsa steht, wo Liesel, bewacht von Rudi, des Öfteren heimlich ein- und aussteigt. Rudis größter Liebesbeweis: Er rettet für Liesel ein Buch aus der Amper. Den heiß ersehnten Kuss bekommt er trotzdem nicht.

Im Hintergrund das Treiben des Zweiten Weltkriegs: Hitlerjugend, Hakenkreuze, Gruß mit ausgestrecktem Arm. Braune Demonstrationen, Anträge auf die Aufnahme in die Nazi-Partei, bei Papa halbherzig und vergeblich. Niemand kann sich entziehen. Familien entzweien sich im flammenden Für und verhaltenen Wider. Der Sohn der Hubermanns schämt sich für seinen Vater, geht auf Nimmerwiedersehen. Eines Tages nimmt Papa Liesel ein großesVersprechen ab: ein Geheimnis zu bewahren, wenn es so weit sei...  

Es folgen: Bombenangriffe der Alliierten, Zuflucht im Luftschutzkeller in der Nachbarschaft, weil der eigene Keller zu niedrig ist, gottseidank! – Warum gottseidank? Weil dort seit Wochen jemand sitzt, den niemand sehen darf, verborgen hinter einer Wand aus Farbeimern und alten Lumpen: Max. Später wird ihn Liesel mit den Augen in jedem Zug Juden suchen, der durch die Straßen von Molching getrieben wird, nach Dachau, ins KZ...

Was Liesel mit Max verbindet: Zu allererst die Geschichte, wie Papa zu seinem Akkordeon kam, damals, im Ersten Weltkrieg. Dann die dreizehn Geschenke, die den kranken Max vor dem Tod retten sollten, während Hans und Rosa die Frage quält: Was macht man mit der Leiche eines Juden? Ein toter Jude im Keller ist schlimmer als ein lebender...  Und zwei Bücher, die Max für Liesel schreibt, auf die weiß übertünchten Seiten von Hitlers „Mein Kampf“: zuerst „Der Überstehmann“, dann „Die Worteschüttlerin“. Letzteres beginnt mit der Machtergreifung des Führers über die Worte, lange bevor er sie über die Menschen hatte...

Liesel, die so schwer lesen lernte, liest jetzt im Luftschutzkeller den Zufluchtsuchenden vor. Eines Tages schenkt ihr Elsa Hermann ein leeres Buch. Da beginnt sie auch zu schreiben, im eigenen Keller, Nacht für Nacht: das Buch von der Bücherdiebin, das ihr eigenes Leben retten sollte...

Ach ja, wir haben einen Haupthelden vergessen - den Tod! Den Tod als poetischen Erzähler. Ein sanfter Tod, der den Krieg nicht als Verbündeten empfindet, dann schon eher als harten Arbeitgeber, der ihm rücksichtslos immer mehr und mehr aufbürdet. Nacht für Nacht muss er hunderte Seelen sanft aus ihren Körperhüllen lösen, Deutsche wie Juden, und nur die Kinderseelen küsst er, bevor er sie davonträgt... Der Tod ist allgegenwärtig, auf allen Seiten. Die Menschen zu verstehen versucht er schon lange nicht mehr. Manche trifft er überraschend, andere haben ihn gerufen, mal vergeblich, mal wird er herbeigezwungen, wie im Fall von Michael Holzinger, der ohne seinen Bruder aus Stalingrad zurückkam und eines Tages an einem Balken baumelte, obwohl er doch noch so große Sehnsucht nach dem Leben hatte.  Die Bücherdiebin aber entkommt ihm immer wieder. Und obwohl er sie nie gesucht hat, beginnt er, sie ins Herz zu schließen...

Trotz des allgegenwärtigen Grauens ist dies eines der zauberhaftesten Jugendbücher seit Langem!


Die monatliche ADZ-Reihe „Wertvolle Jugendbücher“ möchte Kinder und Jugendliche zum Lesen in deutscher Sprache anregen. Die Bücher sind in den deutschsprachigen Bibliotheken des Goethe-Instituts auszuleihen.