Von betagten Leuten fühlte Walther Konschitzky sich schon immer angezogen. Für die Artikelreihe „Dem Alter die Ehr“ befragte er den jeweils ältesten Bewohner einer Banater Ortschaft nach seinem Leben. Sein Glück hat es so gefügt, dass er in Temeswar wiederholt ausführlich mit einer Lehrerin sprechen konnte, die seit Jahrzehnten systematisch Erinnerungen sammelte, zum einen, weil sie die Familiengeschichte in Ehren hielt, zum anderen, weil sie sich mit der Stadtgeschichte beschäftigte: Else von Schuster, geborene Schmaus. Die Idee zu einem Buch nahm Gestalt an, als das Demokratische Forum der Deutschen im Banat Frau von Schuster anlässlich des 90. Geburtstags für ihre langjährige ehrenamtliche Tätigkeit durch die Veröffentlichung ihres Lebenslaufs würdigen wollte; das Forum klopfte an seine Tür. Konschitzky kannte Frau von Schuster seit seiner Schulzeit, denn sie ist im Lenau-Lyzeum seine Lehrerin gewesen (wie auch meine). Und mit ihrem Ehemann, dem Architekten und Kunstfotografen Paul von Schuster, hat er Anfang der achtziger Jahre ein umfangreiches Gespräch für den „Neuen Weg“ geführt. Nun sah er sich mit dem Problem konfrontiert, aus zigtausend Fotos hundert passende auszuwählen, um das Buch zu illustrieren. Bei diesem Problem setzt das Interview an, das den zweiten Teil des Buchs bildet.
Wir erfahren die aufwühlende Lebensgeschichte einer römisch-katholischen Lehrerin, die ihre Laufbahn in der Klosterschule begonnen hat, sich dann aus Vernunftgründen für ein Studium der russischen Sprache und Literatur entschied, aber nicht der kommunistischen Partei beitreten wollte, und einen Mann heiratete, der mit katholischen Geistlichen befreundet und zeitweilig eingesperrt war. Als die Funktionäre noch hofften, sie für die Partei gewinnen zu können, teilten sie ausdrücklich mit, dass sie sich durch diese Heirat den Weg zum Aufstieg selbst versperre. Nach der Wende, sie war bereits verwitwet, hat sie sich entschlossen, im Banat zu bleiben. Durch den Aufbau des Demokratischen Forums der Deutschen und durch die Einrichtung des Adam-Müller-Guttenbrunn-Hauses hat sich für sie die Möglichkeit ergeben, an der Gestaltung des deutschen Kulturlebens und einer sinnvollen Freizeit mitzuwirken.
Seither hält Frau von Schuster im Rahmen der Volkshochschule Vorträge in deutscher und in rumänischer Sprache, sie sang im Chor, nahm an Umzügen und Ausflügen teil und führte ausländische Besucher durch Temeswar. Kurz nach der Wende hat sie in der Zeitung Artikel über die Geschichte und bedeutende Bauwerke der Stadt publiziert, aus dieser Beschäftigung entstand ein Buch, das 1996 auch in rumänischer Sprache erschienen ist. Die erste Auflage verkaufte sich wie warme Semmeln. So hat ihre publizistische Tätigkeit begonnen.
Die zweite und die dritte Auflage illustrierte Frau von Schuster mit Fotos, die ihr Mann gemacht hatte. Dann stellte das Bürgermeisteramt ihr einen ausgemusterten Rechner zur Verfügung, der die Schreibarbeit wesentlich erleichterte. Es folgte das Buch „Fahrt in die Vergangenheit der Temeswarer Stadtteile“, dann ein Kinderbuch, dann das Hundetagebuch „Heddas Flegeljahre“, dann ein Band mit Kurzprosa und Gedichten, schließlich eine Übersetzung aus dem Rumänischen über die Brücken von Temeswar. Zu den Büchern gesellte sich eine CD mit der Überschrift „Spaziergang durch die Temeswarer Altstadt“. Das Interview führt weit zurück in die Vergangenheit, bis zu den Großeltern, die um 1880 aus Böhmen ins Banat eingewandert sind und sich in Steierdorf niedergelassen haben. Der Großvater war Grubenzimmermann, der Vater Meister in der Reparaturwerkstätte des Unternehmens UDR. Daran erinnert die Grubenlampe, die Frau von Schuster neben das Adelswappen ihres Mannes stellt. Dort im Bergland erlebte sie eine märchenhafte Kindheit, die alle Abschnitte des Buches überstrahlt, auch die schrecklichen Erinnerungen an den Krieg. Im Herbst 1944 flüchtete die Familie mit Tausenden anderen nach Westen und gelangte zuletzt in die Stadt Prachatitz in der Tschechoslowakei, wo sie den Kontakt zu Verwandten herstellte. Der Vater sprach noch Tschechisch, Else galt als „Rumunka“ (Rumänin), dank dieser Umstände hat man sie 1946 nicht zusammen mit den in der Tschechoslowakei beheimateten Deutschen vertrieben.
Dutzende Male in ihrem langen Leben hat das Schicksal Else von Schuster in die Zange genommen: Trennung von der Familie – Flucht ins Ausland – Armut – politischer Druck – große berufliche Verantwortung als Schulleiterin – Krankheiten – Todesfälle. Aber sie hat nicht kapituliert, sich nicht aufgegeben. Diese Haltung, der von den Eltern anerzogene Optimismus, kommt im Titel zum Ausdruck: „Die Suche nach dem Frühling“. Die Geburtstagsfeier fand am 8. November 2015 im Adam-Müller-Guttenbrunn-Haus statt. Das Buch wurde kostenlos vertrieben, es ist vergriffen, man kann es nirgends kaufen. Man kann es nur geschenkt bekommen
Else von Schuster: „Auf der Suche nach dem Frühling. Ein Leben im Wandel der Zeit“. Redaktion, Interview: Dr. Walther Konschitzky. Temeswar: Cosmopolitan Art, 2015. 158 Seiten.