Während die Bühne des Großen Palastsaales beim Internationalen Musikfestival „George Enescu“ großen Orchestern der Welt und monumentalen Werken der sinfonischen Musik vorbehalten ist, beschert die Bühne des Bukarester Athenäums den Festivalbesuchern musikalische Genüsse anderer Art: Soloabende, Darbietungen von Streichquartetten, Auftritte kleinerer Kammerensembles und Konzerte mit philharmonischen Orchestern. Der kleinere Rahmen, der durch das vergleichsweise geringe Fassungsvermögen des Athenäums bedingt ist, ermöglicht einen direkten, unmittelbaren, gleichsam intimen Kontakt zu den Musikern, die hier nicht in distanzierte Ferne entrückt sind wie auf der hohen Bühne des Großen Palastsaales.
So waren in den ersten beiden Wochen des Enescu-Festivals im Bukarester Athenäum nicht nur weltberühmte Pianistinnen und Pianisten wie Elisabeth Leonskaja, Maria João Pires, Fazil Say und Murray Perahia aus nächster Nähe zu hören, so traten dort nicht nur Streichquartette von internationalem Rang (Belcea, Solartis, Voces) auf, sondern die Zuhörer hatten, neben berühmten philharmonischen Orchestern, auch die Gelegenheit, kleinere Kammerensembles mit großen Künstlern zu bewundern. Besonders zu erwähnen sind hierbei die beiden Konzerte mit den „Tharice Virtuosi“ um den rumänischen Primgeiger Liviu Prunaru sowie mit dem „Scottish Ensemble“ und der aus der Republik Moldau gebürtigen Starviolinistin Patricia Kopatchinskaja, die sich dem Publikum mit einer grandiosen Darbietung von Tigran Mansurjans 2. Violinkonzert aus dem Jahre 2006 mit dem auf Brahms anspielenden Untertitel „Vier ernste Gesänge“ nebst einer bewegenden Zugabe für ihre 2012 verstorbene Freundin, die rumänische Pianistin Mihaela Ursuleasa, lebhaft einprägte.
In diesen Rahmen der kleineren Kammerensembles fügte sich auch der Auftritt von „Mutter’s Virtuosi“ ein, einer Streichergruppe mit Cembalounterstützung, die sich als Projekt der „Anne-Sophie Mutter Stiftung“ erstmals im Jahre 2011 zusammenfand und die aus gegenwärtigen wie ehemaligen Stipendiaten dieser von der großen Geigerin Anne-Sophie Mutter ins Leben gerufenen Stiftung besteht. Die Vielfalt der Aktivitäten dieser Stiftung bekam man beim Athenäumskonzert von „Mutter’s Virtuosi“ eindrücklich vorgeführt: Nicht nur waren sämtliche der hochbegabten Musiker in der Vergangenheit in den Genuss der Nachwuchsförderung der Stiftung gekommen, nicht nur hatten einige von ihnen hochwertige Instrumente (u. a. von Pietro Giacomo Rogeri aus dem achtzehnten und von Jean Baptiste Vuillaume aus dem neunzehnten Jahrhundert) von der Stiftung als Leihgabe erhalten, nicht nur hatten die jungen Musiker die Möglichkeit gehabt, von der Stifterin im Unterricht wie auf Konzertreisen Wesentliches zu lernen, sondern auch die Werke selbst, die sie aufführten, waren zum Teil von der Stiftung in Auftrag gegeben worden.
So begann das Nachmittagskonzert am zweiten Festivalmittwoch im Bukarester Athenäum mit zwei Auftragswerken der Stiftung: mit dem 2010 von Krzysztof Penderecki komponierten Duo concertante für Violine und Kontrabass, wobei das Werk von den beiden Widmungsträgern selbst, Anne-Sophie Mutter und Roman Patkoló, dargeboten wurde; sowie mit dem Nonett für zwei Streichquartette und Kontrabass von André Previn, das vor wenigen Wochen in Edinburgh seine Welturaufführung erlebt hatte. Beide Werke der Gegenwartsmusik waren in Rumänien zum ersten Male zu hören.
Bei beiden Werken bestach nicht nur das stupende Können der Solisten, sondern auch der koloristische Reichtum der dargebotenen Musik, die Vielfalt der klanglichen Valenzen und die expressive Sensibilität, die sich auch im Ensemblespiel beeindruckend manifestierte. Einen schönen Effekt bildete die Eingangssequenz des dritten Satzes von Previns Nonett, die einem ausführlichen instrumentalen Zwiegespräch von Geige und Kontrabass Raum gab. Wie im Eröffnungsstück, so gelang es dem dreiunddreißigjährigen Kontrabassisten Roman Patkoló auch hier, dem künstlerischen Niveau seiner weltberühmten Duopartnerin kongenial zu entsprechen. Nicht von ungefähr ist Roman Patkoló auch der erste Träger des Aida Stucki Preises, der seit 2011 von der Anne-Sophie Mutter Stiftung an herausragende, solistische Nachwuchsstreicher vergeben wird.
Das letzte Werk vor der Pause war zugleich das in diesem Konzert der Superlative beeindruckendste. Dargeboten wurde das Bachsche Doppelkonzert für zwei Violinen und Orchester in d-Moll (BWV 1043), mit der Besonderheit, dass Anne-Sophie Mutter in jedem der drei Sätze mit einem anderen Solopartner aus dem Kammerensemble musizierte, in den Ecksätzen Vivace und Allegro jeweils mit einem Mann, im Largo-Mittelsatz mit einer Frau. In der Interpretation durch „Mutter’s Virtuosi“ wurde Bachs berühmtes Doppelkonzert zu einem Werk, das wie in einem tönenden Bilderbogen die Musikgeschichte farbenreich auffaltet, von der italienischen Violintradition über die Bachsche Innerlichkeit bis zur gefühlvoll verschwebenden Romantik, insbesondere im langsamen Mittelsatz. Trotz der rasanten Tempi im Anfangs- und im Schlusssatz ruhte das Stück in sich und man konnte sich nur wundern, wie Anne-Sophie Mutter in den Sololäufen des ersten Satzes zusätzlich noch Verzierungen unterbringen konnte, ohne aus der Phalanx jener wilden Jagd auszubrechen.
Wie bei der Aufführung des Bachschen Doppelkonzertes, so blieb auch bei der Aufführung der Vivaldischen Violinkonzerte nach der Pause die Orchesterpartitur geschlossen. Zwar lagen die Noten der „Vier Jahreszeiten“ symbolisch auf dem Dirigentenpult, aber sie wurden niemals aufgeschlagen. Anne-Sophie Mutter, die auch als Dirigentin des Konzertnachmittags fungierte, leitete das Ensemble durch kleine Gesten und rasche Blicke, es war, als ströme die Musik der Dirigentin und Solistin, die in sich gekehrt oftmals die Augen geschlossen hielt, in dem von ihr gewünschten Zeitmaß zu, als habe das um sie gescharte Ensemble die Winke bereits verinnerlicht, die ein Dirigent äußerlich jeweils zu geben sich anschickt.
Auch die vier Vivaldischen Konzerte op. 8 Nr. 1 bis 4 wurden unter den Händen von „Mutter’s Virtuosi“ zu einem Klangerlebnis, das, angesichts der sattsam bekannten „Vier Jahreszeiten“, den Zuhörer immer wieder überrascht aufhorchen ließ und ihn immer wieder von Neuem in die Gegenwart des musikalischen Pulsschlages rief. Die Klangeffekte des Spiels al ponticello berührten ebenso wie die ätherischen Pianissimi in den musikalischen Landschaften der Vivaldischen Jahreszeiten. In den rasenden Läufen und in den kräftigen Tuttipassagen spürte man die Kraft des italienischen Barockkomponisten, die von Anne-Sophie Mutter fast manieristisch vor Augen geführt wurde, etwa in ihren Fortissimo-Aufstrichen an der Bogenspitze.
Das Ensemble und seine Gründerin bedankten sich beim heftig applaudierenden Publikum im übervollen, auch noch auf der Bühne bestuhlten Athenäum mit zwei Zugaben: mit der Wiederholung eines Satzes aus den „Vier Jahreszeiten“ und mit der berühmten Air von Johann Sebastian Bach aus dessen Orchestersuite in D-Dur (BWV 1068).