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Die Wahlen für das Europäische Parlament in Rumänien

Die Jugend – ein Hoffnungsschimmer?

Der im Mai 2024 von der Europäischen Kommission veröffentlichter Eurobarometer: „Jugend und Demokratie“ platziert die rumänischen Erstwähler an erster Stelle in der Europäischen Union, was die Absicht, sich an den Wahlen zu beteiligen, betrifft.

Zugleich sind die rumänischen Jugendlichen (die Studie beleuchtet die Altersgruppe 15-30 Jahre) mehr als ihre Altersgenossen in der EU überzeugt, dass ihre Bildung sie mit genügend digitalen Kompetenzen ausgestattet hat, um Fake News leichter zu erkennen.

Am 31. Mai 2024 berichtete die Sportzeitung gsp.ro von einer skurill-komischen Begebenheit aus der Welt des Fußballs in Ungarn. In der Meisterschaft der Mannschaften unter 14 Jahren wurde vor dem letzten Spiel der Saison der erste Platz der Rangliste von GYFE Miklos belegt. Auf dem zweiten Platz mit gleichem Punktestand befand sich die Mannschaft Kerekegyhaz. Die beiden Mannschaften unterschieden sich nur dadurch, dass die Erstplatzierten im Laufe der Saison 40 Tore mehr geschossen hatten. Im letzten Spiel der Saison gewinnt GYFE Miklos mit 1:0 und ist sich des Titels sicher. Man stelle sich aber die Überraschung der Spieler und der Trainer vor, als diese erfuhren, dass Kerekegyhaz im Spiel gegen Palmonostora mit 43:1 gewonnen und sich so den Titel geholt hatte. Beim Lesen dieser Begebenheit musste ich unwillkürlich an die in Rumänien bevorstehenden Wahlen am 9. Juni 2024 denken und ich konnte das Gefühl einer gewissen Gemeinsamkeit zwischen den beiden Ereignissen nicht los werden. 

Eine beabsichtigte Politikverdrossenheit?

Der erste Urnengang im Superwahljahr 2024 steht vor der Türe. An diesem Wochenende sollen in Rumänien die Vertreter des Landes im Europäischen Parlament und die gesamte Lokalverwaltung gewählt werden. Auf nicht weniger als fünf Stimmzetteln (EU-Parlament, Bürgermeister, Stadtrat, Kreisrat, Kreisratsvorsitzender) werden die Bürger Rumäniens ihre Stimme abgeben. Würde man nicht hie und da ein Wahlplakat sehen, von dem ein Kandidat oder eine Kandidatin einem glücklich, einstudiert professionell und vertrauensvoll entgegenlächelt, würde man gar nicht bemerken, dass in unserem Land ein Wahlkampf tobt. Eigentlich nicht einer, sondern zwei parallelverlaufende Wahlkämpfe sollten die Tagesthemen bestimmen. Während in den Medien zu den Lokalwahlen noch manche Nachrichten oder Wahlkampfanzeigen was zu finden sind, werden die Wahlen für das Europäische Parlament in Rumänien totgeschwiegen. Scheinbar hat dadurch die Regierungsallianz, gebildet von den rumänischen Sozialdemokraten (PSD) und den National-Liberalen (PNL), ihr beabsichtigtes Ziel erreicht. Was ihnen noch mehr in die Hand spielen würde, wäre, wenn es am 9. Juni 2024 regnet. Traditionell bleiben die Rumänen den Wahlen an regnerischen Tagen noch stärker fern als gewöhnlich. 

Die diesjährigen Europawahlen sind von der genannten Regierungskoalition als Experiment und breitangelegte Meinungsumfrage für die auch in diesem Jahr anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen degradiert und missbraucht worden. Indem zum gleichen Termin, unter dem Vorwand der Kosteneffizienz, die Lokalwahlen angelegt wurden, wurde jedes Thema, welches mit der Zukunft der Europäischen Union in Verbindung hätte stehen können, vom Tisch gefegt. Das einzige, was zur Sprache kommt, sind die EU-Förderungen die jeder der Kandidaten auf lokaler Ebene für das Wohl der Bürger einsetzen möchte, indem man diese in nie dagewesenen Mengen abschöpfen wird. Um das Tohuwabohu zur Kür zu erheben, wird nicht nur mit gezinkten Karten gespielt, sondern es werden mehrere Spielkartensätze durcheinandergemischt, so dass dem Wähler so wenig Chancen wie nur möglich gegeben werden, den Durchblick zu bewahren: Während auf der Ebene der EU-Wahlen die Regierungskoalition als solche auftritt und auf den Stimmzetteln geführt wird, bleibt die Allianz bei den Lokalwahlen nur nach Bedürfnis und Gegebenheiten vor Ort bestehen. Diese Form einer Nichtangriffsvereinbarung zwischen den beiden wichtigsten Parteien auf der rumänischen politischen Bühne hat von vornherein jede reale Debatte (egal von welcher der beiden Wahlen man spricht) unmöglich gemacht. Die Wahlen scheinen nur eine reduzierte Zweckmäßigkeit zu haben: die EU-Wahlen sollen zeigen, welches die Wahlabsicht der rumänischen Bevölkerung hinsichtlich der Parlamentswahlen in der zweiten Jahreshälfte sein wird, wobei auf lokaler Ebene die amtierenden Bürgermeister der beiden Parteien im Amt bestätigt werden sollen. Mit wenigen Ausnahmen ist man sich in der Regierungskoalition des Wahlsieges sicher. Wobei nicht vergessen werden darf, dass der rumänische Wähler hier vor einem anderen Dilemma steht: die beiden Parteien gehören auf europäischer Ebene in zwei verschiedene politische Familien, die in vielen Aspekten ganz andere Prioritäten setzen. Volens nolens muss man aber, indem man für die Allianz stimmt, auch die eventuell entgegengesetzte Position in Kauf nehmen, da man diese ungewollt mitlegitimiert hat. 

Die Kontrahenten der Regierungsallianz, die Allianz der Vereinigten Rechten (ADU) und die Nationalpopulisten der Allianz für die Einigkeit der Rumänen (AUR) scheinen eher geringe Chancen auf einen großen Sieg zu haben. Ihre Chancen zu minimieren war eine weitere Absicht bei der Zusammenlegung der beiden Wahlen. Alle anderen Parteien haben so niedrige Zuspruchszahlen, dass sie nicht in die Waagschale fallen. Um sich so die prognostizierten Wahlergebnisse zu sichern, setzt die Regierungsallianz verstärkt auf das Wegbleiben der Wählerschaft, denn eine überraschend hohe Wahlbeteiligung könnte das Kartenspiel erneut aufmischen. 

„Ja, aber...“

Wie immer im politischen Diskurs der Parteien in Rumänien geht es weniger um das eigene Programm, um die eigenen Zielsetzungen oder Vorhaben, sondern in erster Linie um „die anderen“. Man könnte von einem „Ja, aber...“-Diskurs sprechen. Es gibt halt einen Feind, egal ob das die politischen Kontrahenten sind oder das pauschalisierende „Brüssel“ oder ein erdachter Feind - und diesen gilt es niederzuzwingen. Da entstehen teilweise bizarre Situationen: die Euro-Skeptiker von AUR, die natürlich Plätze am Tisch des Feindes, dem Parlament in Brüssel, haben möchten, beschreiben sich als „euro-realistische Partei“, wobei „die Politik Rumäniens zu Hause und nicht in Brüssel oder Moskau gemacht werden muss“ so George Simion, Vorsitzender der Partei, welche nun doch Politiker entsenden möchte, die Politik in Brüssel machen sollen. Das Fehlen öffentlicher Debatten zu Europäischen Themen sollte aber nicht wirklich überraschen: im Allgemeinen sind diese im rumänischen öffentlichen Raum eher eine Rara Avis. Diese werden sowohl von der politischen Klasse nicht angesprochen oder erklärt, als auch von den Massenmedien gemieden. Dazu kommt noch eine allgemeine Unbildung der rumänischen Bevölkerung, was die Struktur und die Funktionsweise der Europäischen Union betrifft, zugegeben, da sind wir auf EU-Ebene nicht alleine. Man muss auch die Ehrlichkeit mitbringen und zugeben, dass der größte Teil der rumänischen Wählerschaft, die Politiker nach Brüssel entsenden soll, nicht weiß, wofür sie eigentlich wählen soll.  

Ein Lichtschimmer?! 

Die Alternativlosigkeit im politischen Angebot scheint eher die Jugend und die jungen Erwachsenen zu treffen. Die Urnengänge vor vier Jahren haben gezeigt, dass die Alterssparte 18-45 den Wahlen eher ferngeblieben ist. Hoffnung kommt aber anscheinend von den Erstwählern, d. h. junge Erwachsene, die in den letzten vier Jahren bis zum Datum der Wahlen 18 Jahre alt geworden sind und zum ersten Mal in ihrem Leben wählen dürfen, auf. Der im Mai 2024 von der Europäischen Kommission veröffentlichter Eurobarometer: „Jugend und Demokratie“ platziert die rumänischen Erstwähler an erster Stelle in der Europäischen Union, was die Absicht, sich an den Wahlen zu beteiligen, betrifft. Wenn diesbezüglich der Europäische Durchschnitt bei 64 Prozent liegt, haben 78 Prozent der jungen Wähler in Rumänien erklärt, dass sie an den Wahlen teilnehmen werden. Zugleich sind diese auch überzeugt, dass ihre Bildung sie mit genügend digitalen Kompetenzen ausgestattet hat, dass sie Fake News leicht erkennen könnten. Weiterhin betrachten 41 Prozent der befragten jungen Erwachsenen (die Studie beschäftigt sich mit der Altersgruppe 15-30) die Teilnahme an den EU-Wahlen als die effektivste Möglichkeit, ihre Stimme auf europäischer Ebene hörbar zu machen. Die Kehrseite der Medaille sind die Kandidaten, für die sie ihre Stimme abgeben sollen. Auf keiner der Listen der Parteien, die sich zur Europawahl gestellt haben, befindet sich auch nur ein Vertreter oder eine Vertreterin dieser Generation auf einem Platz, der den Einzug ins europäische Parlament sichern würde. Trotzdem erklärt jede dieser Parteien, dass für sie die junge Generation eine der wichtigsten Prioritäten darstellen würde. Wie diese Generation die Wahlen am Sonntag beeinflussen wird, bleibt abzuwarten. Man wird wirklich sehen müssen, wie viele der 1 Million jungen Menschen, die zum ersten Mal wählen dürfen, auch den Weg ins Wahllokal finden werden. 

Diese eher optimistische Ausgangslage wird von einer Studie der Onlinezeitung PressOne vom 13. Mai 2024 relativiert. Die Zielgruppe der Studie war die gleiche: die Altersgruppe 18-35. Doch anhand der Fragestellung zeichnet sich bei der gleichen Generation ein ganz anderes Wirklichkeitsbild ab: nur 6 Prozent der Befragten haben Interesse am politischen Geschehen in Rumänien, wobei 35 Prozent gar kein oder sehr wenig Interesse zeigen. 39 Prozent vertrauen der rumänischen Demokratie wenig oder gar nicht und nur 8 Prozent betrachten die EU-Wahlen als die wichtigsten Wahlen in diesem Jahr. 

Bis jetzt wurde dieser Teil der Wählerschaft scheinbar von niemandem nach den eigenen Wahlabsichten befragt. Sollten die Parteien das gemacht haben, haben sie die Ergebnisse zumin-dest nicht an die Öffentlichkeit weitergegeben. Sollten sie tatsächlich in dem hohen Maße, wie das zitierte Eurobarometer angibt, an den Wahlen teilnehmen, könnten wir am Sonntagabend vor einem überraschenden 43:1 Sieg stehen. 

Die Frage bleibt offen, wer diesen Sieg davon tragen könnte. Dafür müssen wir den Anpfiff des Spiels am Sonntag um 7.00 Uhr, wie auch den Schlusspfiff um 22.00 Uhr abwarten. Nicht vergessen werden darf, dass jeder in diesem Spiel nicht nur ein Ersatzspieler ist, auch wenn mancher Politiker dieses gern so hätte, sondern, dass wir aktiv auf dem Feld mitspielen, am Ball sind und vor einer wichtigen Torchance stehen.