Bei der Gedenkveranstaltung aus Anlass der 75 Jahre seit der Deportation von Rumäniendeutschen zur Aufbauarbeit in die ehemalige Sowjetunion im Januar 1945 wird auch das in rumänischer Sprache im Honterus Verlag erscheinende Buch von Dr. Ilie Schipor „Deportarea în fosta URSS a etnicilor germani din România. Argumente arhivistice ruse“ vorgestellt. Das Buch umfasst eine Studie des Bukarester Militärhistorikers, in der die Deportation anhand der Unterlagen in russischen/sowjetischen Archiven dargestellt wird, sowie einen umfassenden Anhang mit aus dem Russischen übersetzten Urkunden und einige Dokumente als Faksimile im Original. Zu den wiedergegebenen Urkunden gehört eine Liste mit 488 in der Sowjetunion auf sieben Friedhöfen neben Arbeitslagern begrabenen Deportierten (die Namen wurden aus der kyrillischen Schrift transkribiert und die „russifizierte“ Schreibweise beibehalten, denn die korrekte war nicht in allen Fällen auszumachen), die Skizze eines Arbeitslagers, u. a. mehr.
Dr. Ilie Schipor, Absolvent der Geschichtsfakultät sowie der Militärakademie, war zwischen 2009 und 2019 Ministerialrat an der Botschaft Rumäniens in Moskau und hat in dieser Zeit in den wichtigsten Archiven in Moskau geforscht. Identifiziert hat er u. a. Dokumente betreffend die über 200.000 rumänischen Armeeangehörigen, die zwischen 1941-1956 in sowjetischer Gefangenschaft waren, die rumänischen Opfer der stalinistischen Repression (1937-1938), die rumänische politische Emigration in die Sowjetunion (1919-1948), aber auch die Deportation von Rumäniendeutschen und ihr Dasein in Arbeitslagern in der Zeitspanne 1945 bis 1956.
Im Folgenden werden in der Übersetzung von Hannelore Baier einige (leicht gekürzte) Abschnitte aus dem oben genannten Buch in drei Teilen bei Verzicht auf die Quellenhinweise abgedruckt.
Historischer und geopolitischer Kontext
Einigen der am besten dokumentierten Arbeiten über dieses dramatische Kapitel der Gegenwartsgeschichte zufolge (Pavel Polian: Gegen ihren Willen. Die Geschichte und Geografie der Zwangsmigrationen in die UdSSR, in russischer Sprache Moskau, 2001, in englischer Übersetzung: Against Their Will: The History and Geography of Forced Migrations in the USSR, 2004; N. P. Pobol, P. M. Polian (Hgg.), Die stalinistischen Deportationen. 1928-1953, in russischer Sprache in der Reihe „Rusia secolului XX, Documente“, Moskau 2005) haben die Moskauer Behörden zwischen 1920 und 1953 insgesamt 52 Deportationskampagnen unternommen, die auf 127 unterschiedliche Operationen strukturiert waren und infolge derer zwischen 6 und 6,4 Millionen Sowjetbürger deportiert und in Umerziehungs- und Arbeitslager beziehungsweise deren Abteilungen sowie Sonderkolonien und -ansiedlungen der Staatssicherheitsstukturen interniert worden sind. In diesem Kontext wurde auch das Tabu-Thema des während des Zweiten Weltkriegs und nach dessen Ende erlittenen Leids der zivilen Zwangsinternierten angesprochen, die in Lagern und Arbeitsbataillonen zum „Wiederaufbau” der UdSSR verwendet wurden.
Erstmals erwähnt hat das Nutzen fremder Arbeitskräfte durch die UdSSR Maxim Litwinow (der stellvertretende Außenminister der UdSSR zwischen 1941-1946) in einer Note mit dem Titel „Die Behandlung Deutschlands und der anderen Feindländer in Europa“, die das Datum des 9. Oktober 1943 trägt und vermutlich bei der Vorbereitung der Unterlagen für die Teheran-Konferenz (28. November – 1. Dezember 1943) verfasst worden ist.
Der Haupttheoretiker der sowjetischen Außenpolitik für die Nachkriegsepoche und insbeson-dere der Frage der Kriegsreparationen war jedoch Iwan Maiski, Botschafter der UdSSR in London. Im November 1943 nach Moskau zurückgekehrt, wurde er beauftragt, eine Kommission zu bilden, um die Frage der Kriegsreparationen zu untersuchen. Die Zusammensetzung, Aufgaben und der Arbeitsplan der Kommission wurden am 10. November 1943 genehmigt und am 11. Januar 1944 stellte Maiski dem Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten, Wjaceslaw Molotow, einen ersten Bericht mit dem Titel „Betreffend die Fundamente für die Gründung der zukünftigen Welt“ vor, ein Dokument, in dem außer Kontrollmechanismen und Verfahren zur Behinderung der Entwicklung in den feindlichen Staaten in Europa auch die „jährliche Aushebung von einigen Millionen Menschen von der Arbeitskraft des deutschen Staates“ vorgesehen war, „was die Wirtschaftsevolution unvermeidbar schwächen und sein militärisches Potenzial verringern wird”.
Unter der Anleitung von Maiski hat die Kommission sodann noch fast ein halbes Jahr an der Fertigstellung der endgültigen Fassung des „Programms zum Wiederaufbau der UdSSR“ gearbeitet; das „Reparationen. Note Nr. 1“ betitelte Dokument wurde Stalin am 27. Juli 1944 überreicht.
Die Kommission hatte den Gesamtwert der Kriegsreparationen, die von Deutschland zu fordern waren, auf ca. 70–75 Milliarden Dollar berechnet, von denen über die Hälfte durch „deutsche Zwangsarbeit“ bzw. das Verwenden von ca. 5 Millionen Arbeitern beim Wiederaufbau der UdSSR abgedeckt werden können, deren (nicht entlohnte – Anm. des Verf.) Arbeit bei einer Einsatzdauer von 10 Jahren auf 35–40 Milliarden Dollar geschätzt wurde. (...)
Obwohl die Motive für die Deportation der Rumäniendeutschen vielfältig sind und diese sowohl im geopolitischen Kontext infolge der Offensive der Roten Armee im Frühjahr – Sommer 1944 Richtung Mitteleuropa als auch der vom Sowjetregime über zwei Jahrzehnte bereits ausgeübten Praxis, Millionen eigene Bürger zwangsumzusiedeln, betrachtet werden muss, rechtfertigen die russischen Fachleute das Leid, dem über 70.000 rumänische Staatsbürger ausgesetzt waren, mit der Umsetzung von Verfügungen aus dem am 12. September 1944 in Moskau unterzeichneten Waffenstillstandsabkommen.
Offensichtlich ist, dass diese Erklärung nur im Falle einer übertriebenen Deutung der Verfügungen von Art. 2 (die Regierung und das Oberkommando Rumäniens verpflichten sich, Maßnahmen für die Entwaffnung und Internierung der sich auf rumänischem Territorium befindenden Streitkräfte Deutschlands und Ungarns sowie der Internierung der Bürger der beiden erwähnten Staaten zu treffen ...) und Art. 14 des Waffenstillstandsabkommens (die Regierung und das Oberkommando Rumäniens verpflichten sich, mit dem Alliierten (Sowjetischen) Oberkommando bei der Verhaftung und Verurteilung der für Kriegsverbrechen verurteilten Personen zu kooperieren) akzeptiert werden kann, zumal von der Deportationsmaßnahme auch Bürger europäischer Staaten betroffen waren, die kein ähnliches Abkommen unterzeichnet hatten. (...)
Vorbereitung der Deportation
Im Hinblick auf die Organisierung, Überwachung und Durchführung der Bestandsaufnahme von Personen deutscher Herkunft in den unter Oberherrschaft der sowjetischen Truppen gelangten Gebieten, erließ Lawrentij Beria, der Volkskommissar für innere Angelegenheiten der UdSSR, den NKWD-Befehl Nr. 001411 vom 24. November 1944 zum Bilden – im Rahmen der im Osten Europas eingesetzten Truppen – von drei operativen Gruppen, wobei jene innerhalb der 2. Ukrainischen Front (deren Truppen sich auf dem Gebiet Rumäniens befanden und im Einsatz waren) aus Sicherheitskommissar W.I. Smirnow, dem Leiter der Generaldirektion für Spionageabwehr SMERSch im Rahmen des NKWD, Oberstleutnant W.M. Ptizin, dem Leiter des für die Bewachung der Eisenbahnrouten zuständigen Dienstes des NKWD, sowie Oberstleutnant Sergjenko, dem Leiter des für die Bewachung der Dienstleistungen der NKWD-Truppen zuständigen Dienstes, bestand.
Diese operativen Gruppen hatten die Aufgabe, vor Ort die Anzahl der mit rumäniendeutscher Bevölkerung besiedelten Ortschaften festzustellen, eine allgemeine Übersicht der Rumäniendeutschen aufzustellen und deren Altersstruktur zu evaluieren, und zwar getrennt für Männer und Frauen zwischen 16 und 50 Jahren (Pkt. 2 des Befehls). Desgleichen sollten die geeignetsten Punkte für das Sammeln und Übernehmen der Rumäniendeutschen festgelegt werden, und zwar sollten diese „in der Nähe von Bahnhöfen“ sein (Pkt. 3). (...)
Am 5. Dezember 1944 berichteten die Generäle N. A. Apollonow (stellvertretender Volkskommissar für innere Angelegenheiten) und I. M. Gorbatjuk (Leiter der NKWD-Generaldirektion für die Bewachung des Gebietes beim Vordringen der Roten Armee) L. Beria, dass 106 operative Gruppen gebildet worden sind, bestehend aus 816 sowjetischen Militärangehörigen (200 Offiziere der Roten Armee bzw. 616 Agenten des NKWD und der Gegenspionagetruppen SMERSch). (...) … am 15. Dezember konnte Beria Stalin und Molotow einen schlussfolgernden Bericht über den Abschluss der Bestandsaufnahme der Personen deutscher Herkunft in den osteuropäischen Staaten vorlegen.
Aus dem Dokument geht hervor, dass bis Mitte Dezember 1944 in den fünf osteuropäischen Staaten (Rumänien, Ungarn, Jugoslawien, CSSR und Bulgarien) 551.049 Personen deutscher Herkunft registriert worden waren (240.436 Männer und 310.613 Frauen), die meisten (421.846, davon 70.476 arbeitstaugliche Männer im Alter zwischen 17 und 45 Jahren) waren Staatsbürger Rumäniens. Die anderen 129.203 waren in Jugoslawien (73.572), Ungarn (50.292), Tschechoslowakei (4250) und Bulgarien (1089) verzeichnet worden. Die Urkunde hält desgleichen fest, dass von den 551.049 registrierten Deutschen nur ein geringer Anteil deutsche Staatsbürger (Reichsdeutsche) sind: 16.804 in Jugoslawien (bereits in 22 internen Lagern interniert) und 7890 in Rumänien (in 15 Lagern interniert).
Unter diesen Bedingungen wurde einen Tag später mittels Beschluss des Staatskomitees für Verteidigung Nr. 7.161ss vom 16. Dezember 1944 angeordnet:
„1. Die Mobilisierung und Internierung aller arbeitsfähigen Deutschen – Männer im Alter von 17 bis 45 Jahren, Frauen von 18 bis 30 Jahren -, die sich auf den von der Roten Armee befreiten Territorien Rumäniens, Jugoslawiens, Ungarns, Bulgariens und der Tschechoslowakei befinden, und ihre Verbringung zur Arbeit in die UdSSR.“ (... Da der 10 Punkte umfassende Geheimbefehl an anderer Stelle bereits abgedruckt und weitgehend bekannt ist, wird hier darauf nicht weiter eingegangen).
Gleichzeitig sandte die Hauptabteilung Sicherheit und öffentliche Ordnung im Generalinspektorat der rumänischen Gendarmerie an das rumänische Innenministerium ein am 17. Dezember 1944 unter Nummer 50.229 registriertes Dokument mit dem Titel „Mappe/Dossier mit den Vorschlägen im Zusammenhang mit den im Gebiet des Banats und in den Verwaltungskreisen Arad und Hunedoara durchzuführenden Operationen zwecks Beseitigung der Spionage und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Hinterland der Armee“. (...) Den Vorschlägen des Dokumentes zufolge sollten eine Reihe Maßnahmen getroffen werden, die insbesondere die Bevölkerung deutscher Herkunft betrafen. (…)