Container und Rasierklinge für Sauerteig-Brot

Ein Ingenieur meistert autodidaktisch sein Bäckerleben

Der Mischmaschine, worin „der Teig zu heiß wird, wenn man ihn zu lange von ihr kneten lässt“, überlässt Virgil Bucșa das Schwere der wichtigsten Arbeit nur zum Teil.

Roggen-Brot-Experten waren die ersten deutschen Einwanderer in Nordamerika, die den Vorrat in Holztruhen verstauten und sie mit Baumwolltüchern umwickelten.

Zubehör, wie man es in einer Industrie-Bäckerei nicht findet. Auf Anfrage liefert Virgil Bucșa sein Brot mit einem Kurierdienst auch in die entlegensten Kreise Rumäniens (mehr Infos auf dem Link paine cumaya-byvirgil.ro).

Hat der Teig lange genug bei geeigneter Raumtemperatur in der Form gelegen, behält er diese auch im Ofen. | Fotos: Klaus Philippi

Wissen oder ahnen Sie, welche Getreidesorte im Urlaub die besten Chancen hat, sich als Sauerteig-Brot zu bewähren? Roggen! Böden, auf denen mit Weizen-Anbau nichts zu wollen ist, sind ihm gerade recht. Der kargere Streifen Terrain zwischen dem Ufer des Alt/Olt und dem Fogarascher Gebirge/Munții Făgărașului beispielsweise wäre bekannt für seine natürlich gute Roggen-Qualität, sagt Virgil Bucșa im Dorf Schellenberg/Șelimbăr bei Hermannstadt/Sibiu. Er ist Anfang 50, zweimal wöchentlich von sechs Uhr morgens bis elf Uhr abends vollbeschäftigt und der festen Meinung, dass „Roggen-Brot unterwegs lange hält, im Bedarfsfall drei bis vier Wochen. Das Brot, das auch ich für meinen Urlaub einpacke.“ 

Bäcker Virgil aber ist das Auspacken außerhalb der Urlaubszeiten am wichtigsten, da er dienstags und freitags mit seinem schwarzen Kleinwagen ganz Hermannstadt und noch ein paar Orte dazu abfährt, um sein Brot zu verkaufen. Die Runde startet um acht Uhr in der Früh und dauert bis vier Uhr nachmittags.

Was er bäckt, findet sich in keinem Laden, sondern kann nur auf Bestellung von ihm persönlich geliefert werden. Bio-Bauern, die vorgeben, in der Mühle waschechtes Öko-Mehl mahlen haben zu lassen, traut Virgil Bucșa kaum. „Einmal stand ich in der Scheune von jemandem, bei dem ich Roggenmehl einkaufen wollte, und den ein Dritter nach der Qualität seiner Ernte fragte, ohne dass ich dieselbe Frage zuvor angeschnitten hätte“, berichtet er als Autodidakt und Kleinbäcker, der vor 15 Jahren den Ingenieurs-Berufsalltag an den Nagel hängte und sich stattdessen eine Schürze umband. „Und der Landwirt prahlte damit, den Ernte-Ertrag durch Stickstoff mächtig angehoben zu haben. Ich ließ das Einkaufen selbstverständlich auf der Stelle sein.“ Lieber bei Großproduzenten Nachschub besorgen, die zwar nicht naturbelasses Getreide anbauen, jedoch kontrolliert mäßig auf chemische Dünger zurückgreifen und ihre Endprodukte regelmäßig zertifizieren lassen. Das schließlich garantiert konstante Qualität, und genau der ist Virgil Bucșa auf den Fersen. Denn „der Trend, gesund zu essen“, wäre selbst zu einer „Krankheit“ mutiert, wovon profitiert würde.

Als er in das Metier einstieg, hatte es noch nicht um sich zu greifen begonnen, das, wie er findet, „krankhafte“ Suchen von immer mehr Menschen nach möglichst unbedenklichen Lebensmitteln. Der jüngere seiner beiden Söhne litt als Siebenjähriger ernsthaft unter chronischen Kopf- und Bauchschmerzen, die ein Arzt nach dem anderen nicht erfolgreich behandeln konnte. Bis ein Mediziner in Klausenburg/Cluj-Napoca ihm den Rat gab, es doch einmal mit Brot ganz ohne Hefe zu probieren. Schlagartig blieben die Dauerbeschwerden aus. „Angefangen habe ich damit, jeweils fünf Roggen-Brote auf Vorrat für meinen Sohn zu backen“, erzählt Virgil Bucșa. „Bald fragte ein Bekannter an, ob ich auch seiner genauso von Schmerzen geplagten Frau welche backen könnte, und irgendwann wurde meiner Frau das viele Mehl in der Küche lästig.“ Neun Brote gleichzeitig hatten Platz im ersten Ofen, mit dem er sich um Kundschaft bemühte und es nicht scheute, ein Profi-Großgerät der bundesdeutschen Traditions-GmbH Wachtel für das Backen von bis zu 24 Portionen Teig auf einmal zu ordern. Nicht nur der Sauerteig gärte, sondern auch die Kundenzahl quoll über.

Den nächstgrößeren Backofen allerdings möchte und wird Virgil Bucșa sich nicht zulegen. Die 30 Quadratmeter seines Containers gäben das nicht her, und zudem kommt es ihm nicht in die Tüte, mit den Lebensmittelkonzernen als Bäcker von „Brot für fünf Lei“ konkurrieren zu wollen. Je nach vorbestellter Sorte kostet es bei ihm 20 oder mehr Lei. Ein satter Preis zwar, aber dafür macht es auch wirklich satt. Schummeln wie mit einer für das immer noch schnellere Aufgehen industriell produzierten Hefe – „man findet Hefe wie in früheren Zeiten gar nicht mehr“, meint Brotbäcker Virgil – ausgeschlossen.

Nicht infrage kommt es auch, sich den Maßstäben der Behörden für Lebensmittelschutz sowie Gesundheit und den teuren Forderungen der Handelskammer ohne eine gesunde Portion Starrköpfigkeit zu fügen. Leider nämlich verstünden die Beamten kaum, dass das für Konzerne gültige Bewertungs-Raster unverändert ganz schwer auf Einmannbetriebe übertragen werden kann. Denn bei Ex-Ingenieur Virgil Bucșa bekommt es der Teig nicht allein mit einem Maschine-Knethaken und einer blank gewienerten Arbeitsfläche aus Küchen-Edelstahl zu tun, nein. Die hölzernen Nudelwalker und der selbst gezimmerte Tisch brächten ihm regelmäßig die schlechte Laune der Kontrolleure ein, beschwert sich Virgil. Kafkaesk die Vorgabe, eine Lebensmittelwaage „alle zwölf Monate“ gegen dreistellige Gebühr auf ihre Funktion testen lassen zu müssen. „Es ist günstiger, einmal jährlich eine neue zu kaufen!“, hat Virgil Bucșa errechnet. Genauso, wie es auch besser ist, das Brot nicht in Formen zum Backen in den Ofen zu schieben. Roggen-Brote backen gelegentlich etwas flacher aus. „Sauerteig ist empfindlich.“ Anders als den pingeligen Examinatoren der öfters unverständigen Behörden gönnt er es ihm auch. Weil „Sauerteig die Kohlenhydrate verbrennt, noch bevor sie dem Stoffwechsel seines Essers zugeführt werden“, und ohne sie verhungern würde. Es käme eben darauf an, meint Virgil Bucșa, „den Sauerteig ab und zu hungern zu lassen. So steigert er seine Qualität, wenn die besten Bakterien darin sich vor anderen durchsetzen und die Nahrungs-Zwangspause überleben.“ Als autodidaktischer Bäcker hat Virgil gecheckt, den Sauerteig hin und wieder sich selbst zu überlassen. „Er ist überall mit mir in den Urlaub gereist.“ Und hat den Meister unterwegs im mediterranen Süden und Osten schon mehrmals davor gerettet, in die Produkte regional alternativloser Weißbrot-Kultur beißen zu müssen. Was das Schlimmste an ihr wäre? „Dass immer öfter auch Zucker ins Brot gemischt wird.“

In einem richtig guten Roggen-Brot hat Weizen folglich nichts zu suchen, und klar hält Virgil Bucșa sich in seinem Container gerne daran. Er hat ihn im Hof bauen müssen, um nicht mehr länger im Halbkellergeschoss backen zu müssen. Die Bauteile jedoch waren teuer und für ihn das Weihnachtsgeschenk des Lebens, als seine Frau und Freunde ihn mit einem prallen Umschlag überraschten. Virgil wusste genau, dass der Inhalt des Kuverts nur geborgt war und hat alles nach und nach zurückgezahlt. Aber er konnte sofort das vollständige Container-Material kaufen, hat ihn eigenhändig konstruiert und als gelernter Ingenieur auch die Stromleitungen selber gelegt. Es ist ein nüchterner Werkstattraum mit Neonröhre und in einheitlichem Grau, dem jedoch die besondere Stimmung nicht abgeht. „In Kombination mit dem Wasser und Klima ergibt sie das Spezifische am Sauerteig.“ Übrigens Wasser: Virgil Bucșa legt viel Wert darauf, dass der Chlor-Zusatz nicht mit dem Salz in Berührung kommt, und stellt das Leitungswasser abends vor dem  Morgen für das Mischen von Teig in Schüsseln auf – das Chlor verdunstet über Nacht.

Auch Mischbrot, Vollkornbrot, glutenfreies Brot, Baguettes, hartes italienisches Mandelbrot und manchmal sogar ein Nussbrot bäckt Schellenberger Virgil Bucșa als Verbraucher von „jährlich 30 bis 40 Kilogramm“ der öligen und sehr gesunden Frucht, die harte Schale nicht mitgerechnet. Sein letzter Einsatz als Ingenieur vor 15 Jahren? Die Renovierung der Hermannstädter Kinderklinik-Abteilung für Orthopädie, Chirurgie und Notfälle. „Ich war der Zweitwichtigste in der Firma und habe auf Baustellen immer aufgepasst, Leute von der Gerüst-Spitze durch andere zu ersetzen, wenn ich sah, dass sie sich ans Arbeiten unter gefährlichen Bedingungen gewöhnt hatten und dazu neigten, in ihrer Fortbewegung nicht mehr achtzugeben.“ Routine fürchtet Virgil Bucșa nicht, Verlust dagegen schon. Es ist besondere Routine, Brotteig vor dem Backen im Ofen einige Male mit der Rasierklinge einzuritzen. Und vorbeugend während des Nüsse-Knackens gerne zweimal nach tückischen Schalenresten zu suchen.