„ …dass kein Volk aufblühen kann durch die Verletzung  fremden Rechts“

Über einen Großen der Gründerzeit in Siebenbürgen: Dr. Carl Wolff

Kurzsichtig, doch mit Weitblick. Carl Wolffs Büste, ein Werk von Kurtfritz Handel aus dem Jahr 1994, im Foyer des Hermannstädter Altenheims Foto: Ursula Philippi

Vor 175 Jahren erblickte Carl Wolff in Schäßburg/Sighișoara das Licht der Welt. Dieses Jubiläum nimmt der Verein „Dr. Carl Wolff“ in Hermannstadt/Sibiu gemeinsam mit der Carl-Wolff-Gesellschaft in Deutschland zum Anlass, einen bedeutenden Mann zu ehren und an sein wegweisendes Wirken zu erinnern.  Vom 11. bis zum 13. Oktober dieses Jahres veranstalten die beiden Vereine in Hermannstadt und Umgebung die Gedenktage für ihren gemeinsamen Namensgeber. Mit Festvorträgen, einer Exkursion, Spaziergängen auf den Spuren Carl Wolffs sowie einem Wettbewerb für Schüler und Schülerinnen soll an den Mann erinnert werden, dem Hermannstadt, aber auch ganz Siebenbürgen entscheidende Impulse zur Modernisierung auf vielen Gebieten zu verdanken hat.

Wer den Namen Carl Wolff googelt, landet zunächst beim Hermannstädter Altenheim Dr. Carl Wolff, bei der Carl-Wolff-Gesellschaft in Deutschland oder beim Verein Dr. Carl Wolff. Auf Wikipedia informiert ein bescheidener Artikel knapp über den Volkswirt, Politiker und Journalisten Carl Wolff (1849-1929). Kein Foto ziert den Beitrag. An seiner Wirkungsstätte als Direktor der Hermannstädter Allgemeinen Sparkasse erinnert (noch) keine Gedenkplatte an den Mann, dem sowohl Hermannstadt als auch ganz Siebenbürgen so vieles zu verdanken hat.

Auf die Frage, wer Dr. Carl Wolff war, geben heute die meisten Menschen vage Antworten. Das Elektrizitätswerk im Zoodt-Tal und das Volksbad in Hermannstadt werden am ehesten in Verbindung mit seinem Namen gebracht. Woher kam das Geld? War er ein Industrieller? Nur wenige wissen näher Bescheid. Warum ist dieser Mann, der sich für seine Landsleute so außergewöhnlich eingesetzt hat, heute derart in den Hintergrund geraten? Hat Carl Wolff selbst dazu beigetragen, indem er im Alter zurückgezogen und in bescheidenen Verhältnissen am Stadtrand von Hermannstadt lebte, sich der seltsamen Welt-Eis-Theorie widmete und den neuen Zeiten ab 1918 fremd gegenüberstand?

Ohne sein vorausschauendes Wirken wäre die Modernisierung Hermannstadts nicht so zügig erfolgt, hätten Bauernhöfe in ganz Siebenbürgen aufgegeben werden müssen, wäre der Siebenbürgische Karpatenverein oder der Verschönerungsverein in Hermannstadt nicht gegründet worden und, und, und… Es ist nicht möglich, alle Verdienste Dr. Carl Wolffs in diesem Rahmen umfassend zu würdigen. Vielleicht regen die Streiflichter dieses Beitrags zu vertiefenden Recherchen über einen Großen der Gründerzeit in Siebenbürgen an.

Carl Wolff erblickte 1849 in Schäßburg das Licht der Welt. Es war das Jahr, in dem Stephan Ludwig Roth hingerichtet wurde. Schlagwörter sollen zunächst das Bild dieses Mannes skizzieren, wie es uns aus Selbstzeugnissen, aus Schriften von Zeitgenossen sowie aus Büchern und Essays der letzten hundert Jahre entgegentritt: Wortgewandt, ja wortgewaltig, gleichzeitig ein Mann der Tat. Für Einigkeit werbend, Großes im Blick, aber zu fast jeder Anstrengung selbst bereit. Seine eigene Person zurücknehmend. Ein Visionär, ein großer Träumer, gleichzeitig das Praktische im Blick, vor keiner Anstrengung zurückscheuend. Viel Macht in seiner Person vereinend, aktiv im Raum der Kirche, in der Politik, in der Gesellschaft. Hellwach am Puls der Zeit. Große Ziele vor Augen. Von verbindlicher Überzeugungskraft. 

Im kollektiven Gedächtnis Hermannstadts ist die Einführung des elektrischen Stroms durch den Bau des Elektrizitätswerks am Zoodt mit dem Namen Carl Wolff fest verbunden. Inspiriert von den Entwicklungen im Westen Europas, setzte er das große Projekt 1896 gegen beharrliche Widerstände durch. Eine Hermannstädter Delegation besuchte 1892 die Elektrische Ausstellung in Frankfurt am Main. In der Folgezeit musste noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. Dabei stellte sich natürlich auch die Frage der Finanzierung. Und: Wie sollte der Strom von Zoodt/Sadu nach Hermannstadt gelangen, fragten sich die Bürger der Stadt. Im gleichen Jahr besuchte der berühmte Münchner Ingenieur Oskar von Miller auf Einladung Carl Wolffs Hermannstadt. Er hielt einen vielbeachteten Vortrag und erstellte das Projekt zum Bau des siebenbürgenweit ersten E-Werks nahe der Stadt.

Zum Vergleich: rund um Kronstadt/Bra{ov gab es erst ab 1903 beginnend mit Zeiden/Codlea private kleine E-Werke auf dem Lande. Erst  nach dem Ersten Weltkrieg war die Elektrifizierung im Burzenland vergleichbar fortgeschritten. Was der anfangs so argwöhnisch beäugte elektrische Strom leistete, erfuhr man dann bald: elektrisch angetriebene Webstühle in Heltau/Cisn²die und andere Industrie- und Landwirtschaftsgeräte, Straßenbeleuchtung, Heizung, Beleuchtung und eine moderne Großorgel in der Hermannstädter Stadtpfarrkirche sowie eine aBahn ins Naherholungsgebiet Junger Wald waren nur einige der Neuerungen, die das Gesicht der Stadt und ihrer Umgebung grundlegend prägten.

Früh zeigte sich Carl Wolffs Wirtschaftssinn. Eine Anekdote aus Kindertagen berichtet: Die Mutter bat Josephine (Pepi), die ältere Schwester Carls, dem Vorschulkind etwas Unterricht zu geben und versprach ihr dafür 20 Kreuzer. Worauf der junge Carl geantwortet haben soll: „Mutter, wenn du nicht auch mir 20 Kreuzer gibst, so lerne ich nichts!“

Als Bankdirektor mit dem großzügig-sozialen Blick, als vorausschauender Gründertyp, hat Carl Wolff für die ländliche Bevölkerung tatkräftig Raiffeisen-Spar- und Vorschussvereine gegründet. Damit war er sehr erfolgreich und konnte in vielen Dörfern die Menschen vor dem grassierenden Wucher bewahren, den Fortschritt in der Landwirtschaft ermöglichen und die Auswanderung der Landbevölkerung nach Amerika zum Teil verhindern. Das Konzept der Konsumvereine, die Wolff später gründete, hatte jedoch nicht den gleichen Erfolg und musste aufgegeben werden.

Nach dem Studium der Rechtswissenschaften begann Wolff zunächst als Journalist bei der angesehenen „Neuen Freien Presse“ in Wien. Schon als Student hatte er wortgewaltig gegen Bemühungen Ungarns polemisiert, die Autonomie der Siebenbürger Sachsen einzuschränken. Der Beitrag wurde in zwei deutschen Zeitungen gedruckt und Wolff zog damit den Unmut der ungarischen Presse auf sich. „Der Dämon der Druckerschwärze ließ mich nicht mehr los“. 1873 wurde Carl Wolff zum ersten Leiter des „Siebenbürgisch-Deutschen Tageblattes“ ernannt, dieser wichtigsten Zeitung der Siebenbürger Sachsen um die Jahrhundertwende.

Über das Familienleben Wolffs ist trotz zahlreicher schriftlicher Zeugnisse wenig zu erfahren. Carl Wolffs eigener Bericht in seinen Erinnerungen wirft ein Schlaglicht auf das Familienleben in Wien, als verantwortlicher Redakteur bei der „Neuen Freien Presse“. Zu dieser Zeit war er bereits mit der Schäßburgerin Friederike Lehrmann verheiratet. „Wochenlang konnte ich nach Schluss meiner Redaktionsarbeit um neun Uhr abends nicht nach Hause gehen, sondern traf mit meiner Frau auf halbem Weg zum Abendessen im Hotel Victoria zusammen. Nach einer Stunde trennten wir uns wieder, meine Frau begab sich in unsere Wohnung und ich in entgegengesetzte Richtung, um die nächste Morgennummer zu überprüfen, so dass ich gewöhnlich erst um zwei Uhr nachts daheim anlangte.“ Bescheidenheit in persönlichen Belangen gehörte zu seinen Wesenszügen. Das spät erbaute, kleine Eigenheim am Hermannstädter Erlenpark ist heute nicht mehr erhalten. Eine längst fällige Gedenkplatte für diesen bedeutenden Mann der Stadt wird vo-raussichtlich an seiner Dienstwohnung neben dem Gebäude der Hermannstädter Allgemeinen Sparkasse, am Großen Ring Nr. 4, im Rahmen der Festtage im Oktober angebracht werden.

Von 1881 bis 1887 war Carl Wolff Abgeordneter im Budapester Parlament, eine kräftezehrende Tätigkeit, während derer er sich vehement gegen die Magyarisierungsversuche Budapests in Siebenbürgen stemmte. Zahlreiche Äußerungen belegen seine Heimatverbundenheit und auch die weitsichtige Nationalitätenpolitik. „ …dass kein Volk aufblühen kann durch Verletzung fremden Rechts und dass Gerechtigkeit das Lebensprinzip der ethischen Weltordnung ist“ sei hier pars pro toto zitiert. Viel Gegenwind, auch aus den eigenen Reihen, blies dem streitbaren Siebenbürger Sachsen entgegen. Aber: Was er einmal für wichtig erkannt hatte, bestimmte das weitere Leben Carl Wolffs. Konsequent handeln, trotzdem verbindlich und zugewandt bleiben, war seine Stärke. Dabei hatte er das Wohl der Zeitgenossen stets im Blick. 

Vom Publizisten Carl Wolff ist der Satz überliefert: „Unbedingt festzuhalten ist nur, dass Gegenwärtiges den Ausgangspunkt zu bilden hat.“ Wie hätte sein Wirken heute, in Zeiten der Digitalisierung, der globalen Märkte und Künstlichen Intelligenz ausgesehen?