Denkender Geist und fühlende Begeisterung

Ein Gespräch über Heimatverbundenheit mit Dr. Anneli Ute Gabanyi

Dr. Anneli Ute Gabanyi wird an diesem Wochenende die Wahlen in der Bundesrepublik für rumänische Fernsehanstalten kommentieren. Nach derzeitigem Kenntnisstand war eine Live-Sendung auf Antena 3 CNN für Freitag, 17 Uhr, eingeplant. Am Sonntag findet ein Gespräch mit Cosmin Prelipceanu in „Jurnalul de seară“ statt, auf Digi24.

„Denken, was wahr, und fühlen, was schön, und wollen, was gut ist: darin erkennt der Geist das Ziel eines vernünftigen Lebens.“ (Platon)

Hermannstadt hat nicht nur in seiner Wortwurzel einen besonderen „Stern“, dessen Strahlkraft alle mitnehmen, die dort geboren sind oder das Glück haben in diese Stadt zu kommen. Seine Aura wird gelebt, fließt grenzenfrei und bereichernd in das Leben ein und bleibt sich selbst trotzdem immer treu, auch wenn sich das Leben irgendwann in der Ferne abspielt. Den Gedanken des in Selbstverständlichkeit bindenden, ausstrahlenden Heimatgefühls, das sich weder örtlich noch zeitlich einschränken lässt, wollte ich unbedingt in meinem Gespräch mit Dr. Anneli Ute Gabanyi festhalten. Sie ist eine namhafte sach- und fachkundige Politikwissenschaftlerin und eine der bekanntesten Rumänienexpertinnen der Gegenwart, eine Persönlichkeit mit Präsenz nicht nur in den Kreisen der siebenbürgisch-sächsischen Landsleute, sondern auch eine anerkannte Meinungsbildnerin in europäischen geschichtlich-politischen Bildungsforen, mit Schwerpunkt auf Erforschung der Entwicklungsprozesse in Rumänien und Osteuropa, innerhalb ihres Zusammenhangs, ihrer Wechselwirkung und komparativ festgestellten Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Dr. Anneli Ute Gabanyi ist Autorin zahlreicher Bücher, Artikel, Aufsätze und Fachberichte, die ihre hohe Kompetenz beweisen, doch in der Anthologie „Im Schnee der Erinnerungen“ bleibt sie auch als Autorin eines berührenden, literarisch vollendeten Erinnerungsbeitrags als bekennendes „Kind Hermannstadts“ im Gedächtnis.     
                                                                                                             
Brigitte Kräch

Liebe Anneli, Heimat ist ein einerseits präziser, andererseits weitläufiger Begriff, der von jedem anders – entsprechend dem eigenen Bewusstsein und Gefühl der Verbundenheit – verstanden wird. Es kann die Zugehörigkeit zum Geburtsort, zur „Wiege“ sein, aber auch jene zu dem Ort, mit dem man sich aufgrund seiner dort erlebten glücklichen Zeit, den nahestehenden Menschen, verbunden fühlt. Wissen und Verständnis lassen die gefühlte Dimension von Heimat wachsen. Kannst du mir darin zustimmen?

Heimat ist in sich gefestigt durch unser Gefühl, reicht aber von Verlust bis Gewinn, und das gegeneinander ausloten muss jeder selbst. Dazu muss man sich die Frage stellen: Wer bin ich in Bezug auf das, was ich Heimat, meine Heimat, nenne? Heimat ist subjektiv, sie ist ein Gefühl der Geborgenheit – in der Landschaft, in der Gemeinschaft, in der Geschichte –, sie ist aber auch ein bewusster Akt des Bekenntnisses zu den Werten und zum Wollen einer zeitlich und räumlich geprägten Gemeinschaft.

Heimat, das ist das Bild, das Menschen sich von ihren Wurzeln machen, um wachsen und sich entfalten zu können. Heimat - das sind die Wurzeln im Herzen, die Wurzeln im Kopf.

Du bist zwar in Bukarest geboren, eine zur damaligen Zeit „boomende“ Großstadt, die jungen Leuten größere Chancen bot, doch bedingt durch die politischen Wirren der russischen Besatzung kehrte deine Familie in das sicherere Hermannstadt zurück, welches dir seit deiner frühen Kindheit, trotz den Schwierigkeiten der damaligen Zeit, zur geliebten Heimat wurde. In deinem Interview mit Prof. Michael Gehler, Leiter des Instituts für Geschichte an der Universität Hildesheim sprichst du von „widersprüchlichen Erinnerungen an die geheimnisumwitterte Altstadt mit ihren mittelalterlichen Befestigungen“. Kannst du bitte dazu einiges sagen?

Meine Faszination für Hermannstadt begann schon als Kind, und obwohl ich in meinem damals enteigneten Elternhaus in räumlicher Einschränkung aufwuchs, erlebte ich dort, in der Alexandru-Vlahu]² Straße eine behütete und glückliche Kindheit und Schulzeit, innig verbunden mit Familie, früh geknüpften Freundschaften und der Nähe des malerischen Erlenparks.

Sehr interessant war für mich zu lesen, dass deine Familientradition und Verknüpfung mit Hermannstadt bis zu Samuel von Brukenthal zurückgeht. Wo gliedert er sich in deine Familiengeschichte ein?

Die Familien beider Elternteile gehörten spätestens seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Hermannstädter Patriziat. Das Hermannstädter Adressbuch von 1898 weist Gustav Moess, meinen Urgroßvater väterlicher-seits, als Kassenfabrikant und Kunstschlosser aus. In den 1920er Jahren fuhr er einen Mercedes Benz Maybach. Mein Urgroßvater mütterlicherseits war der Architekt und Baumeister Gustav Maetz, der an der Errichtung des Volksbades, des Stadtparksanatoriums sowie des Astra-Palastes beteiligt war. Seinem älteren Bruder C.W. Friedrich Maetz verdankt Hermannstadt den Bau des Hotels „Römischer Kaiser“ in der Heltauergasse und des Naturwissenschaftlichen Museums. Diesem Familienzweig der Maetz, der dem siebenbürgisch-sächsischen Orgelbauergeschlecht entstammt und der über Maria Elisabeth Hirling, die älteste Schwester Baron von Brukenthals, letzteren in meine Familiengeschichte bringt, fühle ich mich sehr nahe.

Dein Bildungsweg ist umfangreich und vielseitig, begann nach dem Lyzeum in Hermannstadt, setzte sich dann im Studium der Anglistik und Romanistik in Klausenburg fort, wurde durch die Ausreise deiner Familie in der Bundesrepublik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München wiederaufgenommen und erfolgreich abgeschlossen. Darauf folgte dein Studium der Komparatistik in Clermont-Ferrand und der Politikwissenschaft in Los Angeles mit abschließender Promotion zum Doktor der Philosophie. Das sind sehr viele und tiefgehende Inkursionen in unterschiedliche Wissensgebiete. Du hast mir auch von deinem Orgelunterricht bei Prof. Franz Xaver Dressler erzählt und somit gehören auch die musischen Künste zu deinen wissenschaftlichen und kulturellen Interessengebieten.  Wann und woher erhieltst du die wegweisenden Impulse zu deinem beeindruckenden Werdegang?

In erster Reihe haben meine Eltern durch ihre gleichzeitig liebevolle und standhafte Erziehung in Zeiten des großen Umbruchs meine Denkweise und Entwicklung mitbestimmt. Durch das umsichtige und vorurteilsfreie Politikbewusstsein meines Vaters, der sich auch in diktatorischen Zeiten nie verbiegen ließ, wuchs ich vorsichtig informiert – gewissermaßen durch eine Erziehung zu schizophrener Denkweise – in das geschichtlich-politische Zeitgeschehen, mit Interesse und Neugier für meine zuerst nähere dann weitere Umgebung hinein. Mein Wissen von Hermannstadt, auf Siebenbürgen, Rumänien und Osteuropa auszuweiten war dann irgendwann naheliegend für mich. Später erkannte ich irgendwann den unwiederbringlichen Verlust, den wir erlitten hatten, dass uns in der Kindheit und Jugend die Geschichte der Siebenbürger Sachsen nicht nahegebracht wurde.

Meine Begeisterung für die Musik, die Freude am Orgelspiel, verdanke ich meiner Maetz-Großmutter. Erwähnen will ich unbedingt auch die für mich so wichtige Persönlichkeit meiner Englischlehrerin, Frau Irma Bilek, die außer meinem Interesse für die englische Sprache noch Wissensbegier für die Weltliteratur und die bildenden Künste weckte. Von ihr erhielt ich auch tiefere Einblicke in die politischen Übergriffe zur Zeit der Besetzung Rumäniens durch die Sowjettruppen, erfuhr mehr über den Geheimdienst und antikommunistische Bewegungen. Als ihre Lieblingsschülerin ließ sie mich auch an ihren Kursen für Literatur und Kunstgeschichte teilhaben, die sie den siebenbürgisch-sächsischen Hausfrauen bei sich zu Hause erteilte.

Deine große Sprachbegabung und Wortgewandtheit stehen außer Frage und sind in deinen zahlreichen Rundfunk- und Fernsehbeiträgen, Expertisen (z. B. für das Auswärtige Amt) sowie in deinen langjährigen und vielschichtigen Publikationen ersichtlich. Dazu gehören deine erfolg- und lehrreichen Bücher über die Machtpolitik im kommunistischen Rumänien, die Revolution, dann später über Systemwechsel und Transformation in Rumänien, sowohl in Deutsch als auch Rumänisch verfasst, in tiefer Vertrautheit mit beiden Sprachen.

Deine Beziehung zu Rumänien und zur rumänischen Sprache ist eine beständige, obwohl du seit so vielen Jahren in räumlicher Entfernung davon lebst. Wie beantwortest du die Frage zu dieser gebliebenen Beständigkeit?


Die Jahre in Bukarest haben meinen Eltern und durch sie auch mir einen Weitblick ermöglicht, der von dem Umgang mit und der Kommunikation mit rumänischsprachigen Bildungskreisen bestimmt war, und so wurde die rumänische Sprache für mich das Tor zur Welt, zum notwendigen Verständnis meines Heimatlandes in seiner Gesamtheit. Durch mein Studium in Klausenburg hatte ich die wertvolle Gelegenheit, meinen siebenbürgischen Horizont zu erweitern und die gesamt geschichtliche Problematik besser zu verstehen. Nicht zuletzt erleichterte mir das Rumänische das Erlernen von Französisch und Italienisch. Dazu kam, dass ich, dank meiner der Kultur Osteuropas aufgeschlossenen Professoren an der LMU München auch einen Rumänisch-Studiengang belegen konnte und so mit Leichtigkeit zum Rumänischen zurückfand. In München kam ich auch in Kontakt mit der rumänischen Diaspora-Intellektualität.

Deine berufliche Laufbahn war von Erfolg geprägt, du warst als Rumänien-Referentin, später als Abteilungsleiterin am Forschungsinstitut von Radio Free Europe tätig, danach wissenschaftliche Referentin am Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit der Stiftung Wissenschaft und Politik, in der Forschungsgruppe EU-Außenbeziehungen. Doch sogleich nach deiner Ausreise hast du dich der Herausforderung für die eigene Identität im bundesdeutschen Umfeld gestellt und wurdest auch zur Beisitzerin im Bundesrat der Siebenbürger Sachsen. Welche Rolle hat die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen für dich gespielt?

Sie war in meinem westdeutschen Leben immer präsent. Meine Beschäftigung mit der siebenbürgisch-sächsischen Geschichte und Kultur – Literatur, Musik– schaffte und vertiefte meine Identität, meinen Stolz auf die Leistungen der Geschichte unserer siebenbürgischen Gemeinschaft auf den Gebieten von Architektur, Bildung, religiöser Toleranz. Ich kam in Verbindung mit herausragenden Vertretern der siebenbürgisch-sächsischen Diaspora. Hierbei will ich an einige davon erinnern: Erhard Plesch, Landsmannschaft; Hans Hartl, Südost-Institut, Prof. Hermann Gross, Südosteuropa-Gesellschaft. Besondere Freude bereitet mir die Tatsache, dass die Siebenbürgische Jugend sich so aktiv einbringt und dabei hilft, unsere Heimattraditionen zu bewahren.

Du hast für dein wertvolles jahrelanges Schaffen zahllose Ehrungen, Auszeichnungen und Preise erhalten, du bist Ehrenmitglied so vieler Organisationen und Institutionen, immer wieder Ehrengast bei den Treffen der Siebenbürger Sachsen oder Hermannstädter, wo deine interessanten Vorträge sehr beliebt sind. Beim Heimattag 1990 in Dinkelsbühl hast du Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher, der als Festredner eingeladen war, dein Buch „Die unvollendete Revolution“ überreicht. Die erteilten Ehrungen und Preise sind nicht nur zeitlose Beweise der Anerkennung und Wertschätzung für den Geehrten, sie drücken auch den Stolz und das Vertrauen der Preis vergebenden Person oder Institution aus, sie beinhalten eine Gegenseitigkeit und Relevanz, die beiderseits gewürdigt wird.  Welcher der von dir bisher empfangenen Preise ist dir persönlich der wertvollste?

Der Orden „Kreuz Rumäniens“ im Range eines Kommandeurs, der mir vom Rumänischen Königshaus verliehen wurde. Als einzige Deutsche bin ich Mitglied des Königlichen Rates.  

Nun möchte ich abschließend auf deine Verbundenheit mit Hermannstadt zurückkommen. Für mich ist sie auch offensichtlich in deinem interessanten Aufsatz über die Historie der heutigen Lucian-Blaga-Universität, deren Grundstein durch den Umzug der rumänischen Klausenburger Universität zur Zeit des von den Ungarn besetzten Nordsiebenbürgens gelegt wurde. Darin beweist du anhand von überlieferten Fakten die Eignung Hermannstadts zur Universitätsstadt, die sich entgegen aller politischer Widrigkeiten und vor allem durch den gemeinsamen Einsatz der hermannstädtischen Bildungsschicht vollzog.  Hast du selbst die Gelegenheit gehabt,  maßgebliche Hermannstädter  Persönlichkeiten aus jener Zeit kennenzulernen?

Der Zufall wollte es, dass ich einige der rumänischen Studenten, die damals dem von Lucian Blaga geleiteten „Hermannstädter Literaturkreis“ – Cercul Literar de la Sibiu – angehörten, kennenlernen durfte, allen voran den Dichter und Literaturhistoriker Ion Negoi]escu. Im Jahre 1977 veröffentlichte ich die deutsche Übersetzung des Briefes, worin er sich als einziger rumänischer Schriftsteller mit der Protestbewegung Paul Gomas solidarisch erklärte, in der Tageszeitung „Die Welt“.