Der Große Herodes: Tradition im Spannungsfeld zwischen Herausforderung und Scheitern

Aufführung des Großen Herodes in der Hl.-Anna-Kirche in Oberwischau. Fotos: Daniel Andreica

Weihnachten ist bekanntlich die schönste Zeit des Jahres. Familien, Freunde und sogar Fremde kommen zusammen und feiern miteinander. Aufeinander treffen dabei auch westlicher Konsumismus und lokaler Traditionalismus. Geschenke, reich geschmückte Tannenbäume, bunt beleuchtete Häuser und überfüllte Festtagstische gehören unweigerlich zu dem Bild, das wir von Weihnachten haben. Größer, bunter, teurer – so könnte man es beschreiben.
Bei den Zipsern in Oberwischau/Vișeu de Sus ist jedoch das Einzige, was von wahrer Größe zeugt und an Weihnachten nicht fehlen darf, der Große Herodes, in der Wischaudeutschen Mundart „Tär Kroßi Herodes“ genannt. Ein Weihnachten ohne dieses volkstümliche Spiel ist unvorstellbar.

Obwohl es, so überliefert, den Großen Herodes mindestens seit dem Jahr 1820 gibt, damals geleitet von Andreas Atzberger, ist es heutzutage eine echte Herausforderung, dieses Brauchtum jedes Jahr am Leben zu erhalten. Es herrscht ein Paradoxon: Einerseits ist der Andrang der Zipser, beim Großen Herodes mitzuspielen, kaum vorhanden, andererseits möchte man sich die Kritik der Gemeinde nicht vorstellen, wenn die Aufführung einmal ausfallen würde.

Die früheren massiven Auswanderungswellen der Oberwischauer nach Deutschland, Österreich und andere westliche Länder, die bis heute in abgeschwächter Form anhalten, sind wohl der Hauptgrund dafür, dass sich nur schwer Darsteller finden lassen. Obwohl viele der ehemaligen Teilnehmer zu Weihnachten in ihre Heimat Oberwischau zurückkehren, finden die meisten genügend Gründe, nicht aktiv teilzunehmen – bei der Aufführung sind sie jedoch gern dabei. Die erheblichen Vorbereitungen für das Fest, die oft zitierte fehlende Zeit oder schlicht das mangelnde Interesse sind Faktoren, die das Aufstellen des Großen Herodes heute zu einem Kraftakt machen und langfristig gefährden könnten. Sicherlich dürfen auch die demografischen Aspekte nicht außer Acht gelassen werden: Die Geburtenrate bei den Zipsern ist auf einem Tiefstand.

Nichtsdestotrotz schafft es die Gemeinde jedes Jahr, die Herodes-Aufführung zu organisieren. Nicht selten beginnen die Proben jedoch erst knapp vor Weihnachten und finden seltener statt, als es eigentlich nötig wäre.
Am Abend des 24. Dezember findet gegen 20 Uhr die letzte Probe statt, die sogenannte Hauptprobe. Diese letzte Vorführung vor Weihnachten wird meist in einem privaten Haushalt durchgeführt, zu dem die Herodesspieler eingeladen wurden und wo sich Familie und Freunde dazugesellen. Von hier aus geht es ins Stadtzentrum, wo seit mehreren Jahren die Veranstaltung „Noaptea Viflaiemurilor“ stattfindet. Bei diesem Treffen werden die Herodesspieler jeder Kirche der Stadt auf die Bühne gebeten, um gemeinsam zu singen. Danach geht es zurück ins deutsche Viertel, die Zipserei, von wo aus der Große Herodes etwa eine halbe Stunde vor Beginn der Mitternachtsmesse, begleitet von Gemeindemitgliedern, zur Kirche ins Stadtzentrum zieht. Abwechselnd wird gesungen, und die Teufelsspielfiguren springen mit ihren Glocken.

Um Mitternacht betritt der Große Herodes die Kirche und singt laut: „Wir kommen herein, ganz abends so spät...“ Am Weihnachtstag wird das Spiel nach der deutschsprachigen Messe in der Kirche aufgeführt. Einheimische und Fremde versammeln sich, um diese einzigartige Darbietung zu erleben.
Seit Generationen wird dieses Schauspiel weitergegeben. Insgesamt 18 Darsteller verkörpern Rollen wie den Vorläufer, den Wirt, den Wirtshäuser, Josef und Maria, den Engel, die beiden Hirten, die drei Könige, zwei Diener, Herodes, den Chretz, den Tod, den Futter und den Teufel. Gemeinsam stellen sie in traditioneller Weise – wie es der Brauch vorschreibt – die biblischen Ereignisse dar: die Herbergssuche von Josef und Maria, die Anbetung des Kindes durch Hirten und Könige sowie schließlich den Kindermord durch Herodes, der dafür sein Leben lässt.

Im Laufe der Zeit wurde das Drehbuch mehrfach volkstümlich angepasst. Obwohl die heutige Fassung in korrektem Hochdeutsch geschrieben ist, weicht die mündliche Aussprache oft von der Vorlage ab. Dies liegt einerseits daran, dass viele den Text durch Zuhören und mündliche Überlieferung erlernt haben und dabei auch die sprachlichen Ungenauigkeiten ihrer Vorgänger übernommen haben. Andererseits hatten die Oberwischauer Deutschen in der Vergangenheit aufgrund verschiedener Umstände oft nur eine begrenzte schulische Ausbildung und waren mit ihrem heimischen Dialekt vertrauter als mit der hochdeutschen Sprache.

Der Ursprung des He-rodesspiels ist nicht eindeutig geklärt. Da das Herodesspiel in deutscher Sprache verfasst ist, liegt die Vermutung nahe, dass seine Wurzeln in der deutschen oder österreichischen Tradition liegen. Anton-Joseph Ilk und Johann Traxler weisen in ihrem Werk Liedgut und Bräuche aus dem Wassertal darauf hin, dass der Ursprung des Textbuches des Großen Herodes in der Zips liegt. Diese Annahme stützen sie auf die Namen und Trachten der Hirten sowie einige charakteristische Zwischenrufe. Diese könnten jedoch im Laufe der Zeit in die deutsche Urfassung aufgenommen worden sein. Zusätzlich untermauern die Einwanderungsjahre der Zipser aus der Tatra ins Wassertal – 1796, 1812 und 1829 – diese Theorie. Bis zum Jahr 1820, in dem das He-rodesspiel erstmals nachweislich organisiert wurde, war genügend Zeit, um diese damals neue Tradition einzuführen und zu etablieren.
Ilk und Traxler betonen außerdem, dass ein solches Spiel im Salzkammergut, der Herkunftsregion der deutschen Minderheit in Oberwischau, nicht bekannt ist. Anders verhält es sich jedoch in der Unterzips, der heutigen Slowakei. Dort ist die Schmöllnitzer Schäferkomödie verbreitet, eine Aufführung, deren Text auffällige Parallelen zum Herodesspiel aufweist.

In der von Ingeborg Glier herausgegebenen Geschichte der deutschen Literatur im späten Mittelalter 1250 – 1370 wird auf die lateinische Dramatik des deutschen Mittelalters verwiesen. Zu dieser Zeit waren Spiele wie das Hirtenspiel, das Dreikönigs- (oder Magier-)Spiel und sogar ein Herodesspiel fester Bestandteil der Weihnachtszeit. Obwohl diese Spiele meist als eigenständige Szenen aufgeführt wurden, kam es gelegentlich vor, dass sie zu einem zusammenhängenden Ablauf kombiniert wurden.

Ähnlich wie im Oberwischauer Herodesspiel dreht sich das Hirtenspiel des 13. und 14. Jahrhunderts um die Suche der Hirten nach dem neugeborenen Jesuskind. Die Hirten empfangen die frohe Botschaft vom Engel, werden jedoch vom Teufel verwirrt, finden schließlich aber unter dem Gesang Gloria in excelsis Deo die Krippe. Im Oberwischauer Herodesspiel hingegen hat der Teufel keinen direkten Bezug zu den Hirten; stattdessen übernimmt der Chretz eine ähnlich negative Rolle.
Die Handlung des Dreikönigs- (oder Magier-)Spiels entspricht weitgehend der des Oberwischauer Herodesspiels. Die drei Könige folgen dem Stern, treffen unterwegs aufeinander und setzen ihre Reise gemeinsam fort. Ein Bote informiert Herodes über die Könige, die auf ihrem Weg auch an seinem Hofe Halt machen. Danach treffen sie Hirten, die ihnen den Weg zum neugeborenen Jesus weisen. Dort angekommen, bringen sie ihre Gaben dar: Gold, Weihrauch und Myrrhe.

Das Herodesspiel des 13. Jahrhunderts verbindet diese Szenen des Hirtenspiels mit den nachfolgenden biblischen Ereignissen. Herodes fordert von den Königen, dass sie ihm nach der Auffindung des Kindes Bericht erstatten. Doch die Könige täuschen ihn und kehren auf einem anderen Weg heim. Daraufhin befiehlt Herodes den Kindermord, wofür er letztlich mit seinem eigenen Leben bezahlt. Diese Handlung entspricht weitgehend dem Oberwischauer Herodesspiel, mit dem Unterschied, dass hier alle Szenen in einem einzigen Stück vereint sind. Es gibt also unbestreitbare Ähnlichkeiten zwischen den Weihnachtsspielen des 13. und 14. Jahrhunderts aus dem deutschsprachigen Raum und dem Herodesspiel der Oberwischauer Zipser. Allerdings lässt sich kein klarer Ursprungspfad zwischen den mittelalterlichen Aufführungen, der Zips als potenziellem Ursprungsort des Herodesspiels und dem heutigen Tär Kroßi Herodes nachzeichnen, da zahlreiche Überschneidungen und Gemeinsamkeiten in allen Traditionen vorhanden sind.

Besetzung 2024: Herodes – Alfred Fellner, Erster König – Kristian Babutzki, Zweiter König – Dorin Tomoiaga, Dritter König – Fabian Caciar, Josef – Langtaler Leopold, Maria – Zavaczki Renate, Erster Diener – Julian Bora, Zweiter Diener – Daniel Pop, Erster Hirt – Cristian Bodnar, Zweiter Hirt – Gabriel Bodnar, Wirtshäuser – Matei Roznicsuk, Wirt – Alexander Nyak, Futter – Eduard Langtaler, Vorlaufer – Astrid Zavaczki, Engel – Emma Langtaler, Tod – Werner Bossa, Chretz – Harwig Vlasin, Teufel – Ludovic Vrabel und Robert Vrabel.